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ASIEN/795: In Japan erwacht der Militarismus zu neuem Leben (SB)


In Japan erwacht der Militarismus zu neuem Leben

Tokio zieht sicherheitspolitischen Nutzen aus der Koreakrise



Im achten Weißbuch seit 1998 hat die Volksrepublik China erstmals die Bewaffnung und Zusammensetzung ihrer Streitkräfte offengelegt. Demnach beträgt die Stärke der Volksbefreiungsarmee 850.000 Männer und Frauen bei den Landstreitkräften, 398.000 bei der Luftwaffe und 235.000 bei der Marine. Der Wehretat der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt nach den USA ist 2012 um 11 Prozent auf erstmals mehr als 100 Milliarden Dollar gestiegen, von denen ein Gutteil in die Modernisierung, einschließlich der Entwicklung und Indienststellung neuer Waffensysteme, fließt. Im Weißbuch hat das chinesische Verteidigungsministerium die Pazifikstrategie von US-Präsident Barack Obama, die seit zwei Jahren mit der Verlegung größerer Teile der amerikanischen Militärmaschinerie Richtung Asien einhergeht, als destabilisierend kritisiert. Nichts verdeutlicht die Richtigkeit der Beschwerde Chinas besser als das Auftreten Japans. Ermutigt durch das Bestreben des Pentagons, China einzudämmen, befinden sich die japanischen Militaristen auf dem Vormarsch und sind gerade dabei, die letzten Einschränkungen ihrer nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg von den USA auferlegten pazifistischen Verfassung abzulegen. Tokio hat die jüngsten Spannungen um Nordkorea genutzt, um sich als treuester Verbündeter der USA in Asien aufzuspielen.

Vor dem Hintergrund des Säbelrasselns zwischen Washington und Pjöngjang haben die Amerikaner zusätzliche Teile ihres Raketenabwehrsystems auf der südpazifischen Insel Guam - eine Batterie des Terminal High Altitude Area Defense (THAAD) - und in Japan - eine X-Band-Radaranlage - stationiert. Am 31. März hat die US-Luftwaffe zwei Tarnkappenjets vom Typ F-22 Raptor von ihrer Heimatbasis Kadena auf der südjapanischen Insel Okinawa auf den südkoreanischen Stützpunkt Osan verlegt. Am 5. April haben die USA und Japan ihren jahrelangen Streit um die geplante Schließung des amerikanischen Stützpunktes Futenma im Zentrum der Stadt Ginowan auf Okinawa im Austausch gegen den Bau eines neuen Standortes für die US-Marineinfanterie an der Nordküste der Insel beigelegt. Im Rahmen der Vereinbarung, die Japans konservativer Premierminister Shinzo Abe persönlich verkündete, sollen in den kommenden Jahren rund 9000 US-Marineinfanteristen, die bisher auf Okinawa stationiert sind, woanders in der Region - auf Hawaii, auf Guam sowie im nordaustralischen Darwin - untergebracht werden. Neben Futenma werden fünf weitere US-Militärstützpunkte im Süden Okinawas bis 2022 komplett geräumt.

Ebenfalls am 5. April berichtete die japanische Zeitung Sankei Shimbun von der erstmaligen Verlegung des Global Hawk nach Japan. Vom Fliegerhorst Misawa im Norden der japanischen Hauptinsel Honshu soll das unbemannte Spionageflugzeug die Aktivitäten der Nordkoreaner im Bereich der ballistischen Raketen im Blick behalten. Am 6. April gab die japanische Regierung die Stationierung einer Patriot-Raketenabwehrbatterie auf dem Gelände des Verteidigungsministeriums im Zentrum der Hauptstadt Tokio bekannt. Beide Maßnahmen werden als Reaktion auf eine Meldung der südkoreanischen Nachrichtenagentur Yonhap gewertet, wonach die Regierung in Pjöngjang mehrere Musudan-Raketen, die eine Reichweite von 3000 Kilometern besitzen und damit Ziele in ganz Japan und eventuell auch Guam treffen können, in unterirdischen Silos an der Ostküste Nordkoreas in Stellung gebracht hatte. Zuvor hatte der japanische Verteidigungsminister Itsunori Onodera den Streitkräften seines Landes ausdrücklich den Befehl erteilt, jede nordkoreanische Rakete, die sich Nippon bedrohlich nähert, abzuschießen. Im Ernstfall sollten das entweder japanische Lenkwaffenzerstörer, ausgestattet mit dem Aegis-Raketenabwehrsystem, oder die Patriot-Raketen auf dem Festland erledigen. Neben der jüngst in Tokio aufgestellten Patriot-Batterie verfügen die japanischen Landstreitkräfte über zwei weitere, die seit Wochen im Betrieb sind.

Am 10. April hat sich die Abe-Regierung im Schatten der Koreakrise eine schwere Provokation gegenüber China geleistet, als sie ein Abkommen mit Taipeh beschloß, das taiwanesischen Fischern Zugang zu den Gewässern um die Senkaku-Inseln im Ostchinesischen Meer gewährt. Der Vertrag kommt einer diplomatischen Aufwertung Taiwans gleich. Damit hat sich die ehemalige Kolonialmacht Japan, die Taiwan von 1895 bis 1945 besetzte, aus der Sicht Pekings direkt in die chinesische Innenpolitik eingemischt. Schließlich gilt Taiwan für die Volksrepublik als abtrünnige Provinz. Eine direkte Infragestellung der Ein-China-Politik kommt für Peking quasi einem Kriegsgrund gleich. Ohnehin liefern sich Japan und China seit Sommer 2012 um die Senkakus, die in der Volksrepublik die Diaoyu-Inseln genannt werden, einen heftigen diplomatischen Streit, der von einem Konfrontationskurs der Küstenwachen beider Staaten begleitet wird. Anlaß zum Ausbruch des Streits war die Entscheidung Tokios, die Senkakus, die bis dahin formell einer japanischen Familie gehörten, aufzukaufen und damit in den japanischen Staatsbesitz zu übernehmen. Kein Wunder also, daß die Chinesen nach Bekanntwerden der Einigung zwischen Tokio und Taipeh über die Fischereirechte in den umstrittenen Gewässern "rot" sahen, wie es Jens Kastner am 15. April bei der Asia Times Online formulierte.

Ebenfalls am 15. April schlossen Japan und die NATO, die sich immer mehr als Weltpolizei aufspielt, ein Sicherheitsabkommen. Unterzeichnet wurde der Vertrag von Premierminister Abe und dem NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Anläßlich des Besuchs in Tokio erklärte der ehemalige konservative Premierminister Dänemarks, Japan und die NATO sollten die "sich herauskristallisierenden Herausforderungen" gemeinsam meistern. Als Beispiele nannte er "Terrorismus, Hackerangriffe, Piraterie und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, einschließlich der dazugehörigen Transportsysteme". Man braucht keine besondere Fantasie, um sich den Aufstieg Chinas als eine "emerging security challenge" für Brüssel und Tokio vorzustellen.

Durch den Zuspruch des Westens sind Japans Militaristen dabei, ihren sicherheitspolitischen Bewegungsspielraum kräftig auszubauen, wie auch die jüngsten Äußerungen Shigeru Ishibas zeigen. Der ehemalige Verteidigungsminister gehört zu den einflußreichsten Mitgliedern der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP) Japans und gilt als möglicher künftiger Premierminister. Bei einem Fernsehinterview am 14. April reklamierte Ishiba für Japan das Recht, einen präemptiven Angriff gegen Nordkorea durchzuführen. Er erklärte, die vom Abe-Kabinett geplante Verfassungsänderung solle hierfür die notwendigen völkerrechtlichen Bedingungen schaffen. Mit Hinweis auf die Bedrohung durch Nordkorea und die Spannungen mit China fordern die Rechten in Japan bereits, daß sich das Land nuklear bewaffnen sollte. Ein solches Vorhaben wäre für die Japaner, deren zahlreiche Kernkraftanlagen über die Jahre größere Mengen Plutonium sowie hochangereichertes Uran erzeugt haben, ein Kinderspiel.

18. April 2013