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ASIEN/816: Afghanistans Präsidentenwahl endet erneut in Chaos (SB)


Afghanistans Präsidentenwahl endet erneut in Chaos

Wird Abdullah Abdullah zum zweiten Mal betrogen?



Am 31. Dezember 2014 geht die Militärintervention der NATO in Afghanistan, die am 7. Oktober 2001 begann, offiziell zu Ende. Zurück bleibt eine kriegsgeplagte Trümmerlandschaft. Die Milliarden für den "Wiederaufbau", von afghanischen Warlords und westlichen Dienstleistungsunternehmern untereinander aufgeteilt, sind längst in dunkle Kanäle verschwunden. Frauenrechte bleiben weiterhin eine Fata Morgana. Bittere Armut und Arbeitslosigkeit herrschen vor, während der Mohnanbau, die Grundvoraussetzung für den weltweit illegalen Heroinhandel, wie nie zuvor gedeiht. Die Vision von einer Demokratie in Afghanistan, die diesen Namen verdient, hat sich als Illusion erwiesen. Dies zeigt der Verlauf der afghanischen Präsidentenwahl, die aktuell mehr Chaos als Klarheit erzeugt.

Bereits 2009 endete die Wiederwahl Hamid Karsais zum Präsidenten in einer Farce. Die damalige afghanische Präsidentenwahl, ein Vorzeigeprojekt, das sich die "internationale Gemeinschaft" mehr als 400.000 Dollar kosten ließ, wurde vom Vorwurf des Betrugs und der Manipulation im großen Stil überschattet. Wegen der zahlreichen, nicht zu übersehenden Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe und -zählung weigerte sich der beim ersten Wahlgang auf dem zweiten Platz gelandete Kandidat, Ex-Außenminister Abdullah Abdullah, an der geplanten Stichwahl teilzunehmen. Daraufhin erklärte die Wahlkommission den Amtsinhaber Karsai, der im ersten Wahlgang Platz eins errungen hatte, kurzerhand zum neuen und alten Staatsoberhaupt. Abdullah weigerte sich, die Niederlage anzuerkennen, da sie nach seiner Meinung und der zahlreicher Beobachter, auf unkorrekte Weise zustande gekommen war.

Nach der Verfassung von 2003 durfte Karsai nicht für eine dritte Amtszeit kandidieren. An der ersten Runde der diesjährigen Präsidentenwahl, die am 5. April stattfand, nahmen acht Kandidaten teil. Die meisten Stimmen erhielt Abdullah Abdullah - 54 Prozent - gefolgt von Ex-Finanzminister Aschraf Ghani Ahmadzai mit 32 Prozent. Am 14. Juni erfolgte die Stichwahl, bei der es zu einer großen Überraschung gekommen ist. Entgegen dem Ergebnis der ersten Runde und allen bisherigen Umfragen liegt laut Hochrechnung - die Auszählung dauert noch an - nicht Abdullah, sondern Ahmadzai vorne. Abdullah, der am 6. Juni nur knapp einem Bombenanschlag der Taliban entkommen ist, sieht sich erneut als Opfer eines großangelegten Betrugsmanövers.

Die Vermutungen des halb-tadschikischen, halb-paschtunischen Abdullah sind begründet. Aus Protest gegen den Betrug hat er seinen Rückzug aus dem Wahlververfahren bekanntgegeben und dabei Präsident Karsai und Ziaulhaq Amarkhil, den Leiter der afghanischen Wahlkommission, bezichtigt, das Ergebnis der Stichwahl zugunsten Ahmadzais zu verfälschen. (Alle drei Männer gehören der größten Volksgruppe Afghanistans, den Paschtunen, an.) Als Beleg für die Richtigkeit der Vorwürfe veröffentlichte Abdullah am 22. Juni den Tonmitschnitt mehrerer Gespräche, auf denen angeblich Amarkhil und einige seiner Mitarbeiter mit Vertrauensleuten Ahmadzais darüber beraten, wie sie dessen Stimmenergebnis aufpolieren können.

In einem 15minütigen Gespräch reden zwei Männer auf einen Vertreter der Wahlkommission ein, drängen ihn, nicht-paschtunische Mitarbeiter durch Anhänger Ahmadzais zu ersetzen und Wahllokale in Gegenden, wo Abdullah populär ist, zu schließen. In der Unterredung geht es auch um die Bestechung von Wahlmitarbeitern und Stammesoberhäuptern in den ländlichen Regionen, um die Anzahl der Stimmen für Ahmadzai in den Urnen zu steigern. Dabei benutzen die Männer einen Afghanistan gerechten Code: "Nehmen Sie die Schafe in die Berge und bringen Sie sie gefüllt zurück." Gleichzeitig beschwert sich der Sprecher über die Kosten der Wahlfälschung. "Der Preis von Schafen und Ziegen ist dieser Tage gestiegen", moniert er.

Hinweise, wonach mehr Stimmen bei der Stichwahl als bei der ersten Runde abgegeben wurden, obwohl der Andrang in den Wahllokalen laut Beobachtern eigentlich niedriger ausgefallen war - ein Phänomen, das sich laut bisheriger Zählung vor allem in den paschtunischen Siedlungsgebieten im Osten und Süden Afghanistans bemerkbar macht - erhärten den Betrugsverdacht. Um sich aus der Schußlinie zu bringen, trat Amarkhil am 23. Juni nach eigenen Angaben des "Nationalinteresses" wegen als Chef der Wahlkommission zurück. Ob dies genügen wird, um Abdullah zu besänftigen und wieder zur Teilnahme am Wahlverfahren zu bewegen, ist zweifelhaft. Der Kandidat der Nationalen Koalition verlangt, die Stichwahl in den Regionen, in denen Ahmadzai zuletzt ungewöhnlich hohe Ergebnisse erzielte, zu wiederholen. Ahmadzai selbst drängt auf die Veröffentlichung des Ergebnisses der bisherigen Zählung, während seine Berater Abdullah per Twitter offen aufgefordert haben, die Niederlage endlich einzugestehen und sich wie ein guter Verlierer zu verhalten. Derzeit finden unter Vermittlung der Vereinten Nationen zwischen beiden Lagern Gespräche statt, die den Disput entschärfen sollen.

Leider sieht es so aus, als sei der paschtunischen Politelite die Durchsetzung ihres traditionellen Führungsanspruchs in Afghanistan wichtiger als die Einhaltung irgendwelcher demokratischer Spielregeln nach westlichem Vorbild. Diese Haltung macht natürlich die Hoffnungen auf eine reibungslose, gesetzes- und verfassungsmäßige Machtübergabe in Kabul zunichte, wodurch nach dem Abzug der NATO eine Fortsetzung des Grundkonflikts zwischen Paschtunen, als deren Vertreter sich die Taliban verstehen, und den anderen Volksgruppen, die sich früher hinter der sogenannten Nordallianz scharten, unausweichlich wird.

25. Juni 2014