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ASIEN/823: Holt China Pakistan aus der wirtschaftlichen Misere? (SB)


Holt China Pakistan aus der wirtschaftlichen Misere?

Gigantisches Investitionspaket bringt Islamabad und Peking näher


Der zweitägige Staatsbesuch Xi Jinpings am 20. und 21. April in Pakistan - die erste Auslandsreise des chinesischen Präsidenten in diesem Jahr - wird als Meilenstein in die Geschichtsbücher eingehen. Bereits im Vorfeld verwendeten die internationalen Medien den Begriff historisch - und das zu Recht. Während Xis Aufenthalt in Islamabad sollen die Verträge über ein gigantisches, 45 Milliarden Dollar schweres, chinesisches Investitionsprogramm in Pakistan paraphiert werden (zum Vergleich: Seit seiner Gründung im Jahr 1948 hat Pakistan von den USA Wirtschaftshilfen in einer Gesamthöhe von rund 50 Milliarden Dollar erhalten). Mit dem Mammutprojekt will China der kränkelnden Wirtschaft des langjährigen Verbündeten Auftrieb verleihen, Pakistan dadurch politisch stabilisieren und den Einfluß Pekings am Persischen Golf stärken. Mit der Hilfe der Volksrepublik hofft die Regierung in Islamabad, den chronischen Strommangel, unter dem nicht nur viele pakistanische Betriebe, sondern die Menschen im Alltagsleben leiden, zu beheben und das Land in eine ernstzunehmende regionale Wirtschaftsmacht zu verwandeln.

Im Mittelpunkt der Pläne für eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit der beiden Himalaya-Anrainerstaaten steht der China-Pakistan Economic Corridor (CPEC), der den Tiefseehafen Gwadar in der unterentwickelten pakistanischen Provinz Belutschistan am Arabischen Meer mit der Stadt Kaschgar in der Autonomieregion Xinjiang im Westen Chinas verbinden soll. Der 3.000 Kilometer lange Korridor, der bis 2030 fertiggestellt sein soll, sieht Öl- und Gaspipelines sowie Straßen und Bahnverbindungen vor. Hinzu kommen wichtige Teilprojekte wie der Ausbau Gwadars zu einer Freihandelszone à la Singapur, die Modernisierung des Karakorum Highway, der seit 1978 existierenden höchstgelegenen Fernstraße der Welt zwischen Kaschgar und Abbottabad, damit sie ganzjährig befahrbar wird, der Ausbau des 1.264 Kilometer langen Indus Highway zwischen der Hafenmetropole Karatschi und Peschawar, Hauptstadt der Provinz Khyber Pakhtunkhwa an der Grenze zu Afghanistan, die Verlegung einer Glaskabelverbindung zwischen Rawalpindi und Kaschgar sowie eine Modernisierung des öffentlichen Nahverkehrs mit Schnellbussen und U-Bahn in den Städten Faisalbad, Gujranwala, Karatschi, Lahore, Multan und Rawalpindi. Bei all diesen Teilprojekten werden chinesische Bauunternehmen eine führende Rolle spielen.

Bei seiner Wahl zum pakistanischen Premierminister 2013 hatte Nawaz Sharif von der Pakistanischen Moslemliga seinen Landsleuten eine Lösung des Stromproblems versprochen. Durch das CPEC könnte Sharif sein Versprechen einlösen. Im Rahmen des Projekts haben sich die Chinesen bereiterklärt, an der Errichtung und Finanzierung einer ganzen Reihe neuer Kraftwerke in Pakistan mitzuwirken. Mit einem Investionsvolumen von 15,5 Milliarden Dollar in neue Kohle-, Solar-, Wasser- und Windkraftwerke sollen bis 2018 zusätzliche 10.300 Megawatt Strom in das nationale Elektrizitätsnetzwerk eingespeist werden. In den darauffolgenden Jahren soll die Stromproduktion in Pakistan für 18,3 Milliarden Dollar um weitere 6.600 MW erhöht werden. Insgesamt würde sich die Stromerzeugung in Pakistan damit verdoppeln. Symbolträchtig war daher auch die Ankündigung anläßlich der Rede Xis am 21. April vor beiden Häusern des pakistanischen Parlaments, das Gebäude solle mit chinesischen Solarzellen ausgestattet und dadurch demnächst die erste Volksversammlung der Erde sein, deren Strombedarf allein mit Sonnenenergie gedeckt wird.

Die Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Pakistan und China läuft auf eine Neuausrichtung der Außenpolitik Islamabads hinaus. Damit entzieht sich Pakistan allmählich dem Einfluß der USA und Saudi-Arabiens. Auf Drängen Washingtons und Riads diente Pakistan in den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts als Aufmarsch- und Rückzugsgebiet für die Mudschaheddin und die paschtunischen Taliban, die in Afghanistan gegen die Sowjetarmee beziehungsweise gegen die Nordallianz kämpften. Infolge des Einmarsches der Streitkräfte der USA und ihrer Verbündeten 2001 in Afghanistan, der die Taliban-Regierung stürzen und die Jagd auf Al Kaida eröffnen sollte, wurde der Dschihadismus nach Pakistan reimportiert. Der Kampf gegen die pakistanischen Taliban hat bisher rund 20.000 Pakistanern das Leben gekostet. Darüber hinaus haben die zahlreichen von den Saudis finanzierten religiösen Schulen zu einer Stärkung des sunnitischen Fundamentalismus geführt, weswegen Christen, Schiiten, Ahmadis und Sufis immer häufiger Opfer salafistischer Überfälle und Anschläge werden.

Durch eine verstärkte Orientierung an China hofft Pakistan von dessen Entwicklungsmodell profitieren und mehr gesellschaftlichen Frieden schaffen zu können. Damit kehrt Pakistan dem blutigen sunnitisch-schiitischen Konflikt, den die autokratische Monarchie Saudi-Arabiens aus innen- und außenpolitischen Gründen im Irak, in Syrien und im Jemen schürt, den Rücken. Als die saudische Luftwaffe am 25. März ihre bis heute anhaltenden Angriffe auf die Huthi-Rebellen im Jemen startete, nannte das Außenministerium in Riad voreilig Pakistan als eines der Länder, das aktiv an der multinationalen Operation Entscheidender Sturm teilnimmt. Prompt kam aus Islamabad das Dementi.

Statt dessen sprach sich die pakistanische Regierung anläßlich des Besuchs des iranischen Außenministers Javad Zarif in Islamabad am 9. Mai für eine Feuerpause und Friedensgespräche aus. Am selben Tag meldete das Wall Street Journal, der staatliche chinesische Ölkonzern China National Petroleum Corporation (CNPC) werde für zwei Milliarden Dollar die Gaspipeline, die ursprünglich Pakistan und Indien mit Erdgas aus dem schiitischen Iran versorgen sollte, jedoch bislang aber am Widerstand der USA gescheitert war, fertigstellen. Statt nach Indien soll die Energietrasse nun über Pakistan nach China führen. Islamabad verdient an den Transitgebühren und bekommt auch iranisches Gas geliefert. Am 10. April hat das Parlament in Islamabad mit großer Mehrheit beschlossen, keine pakistanischen Truppen zur Unterstützung der Saudis bei deren Jemen-Feldzug zu entsenden.

Über die pakistanische Positionierung in der Jemen-Krise soll Saudi-Arabien, das in den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts das pakistanische Atombombenprogramm maßgeblich finanziert und Nawaz Sharif lange Zeit politisches Asyl gewährt hat, nachdem er 1999 als Premierminister von General Pervez Musharraf gestürzt worden war, sehr verärgert sein. Die nachträgliche Entsendung mehrerer pakistanischer Kriegsschiffe, um das vom UN-Sicherheitsrat über den Jemen verhängte Waffenembargo durchzusetzen, dürfte das Königshaus in Riad nicht milde stimmen. Für Pakistan und dessen rund 188 Millionen Einwohner, von denen etwa 20 Prozent der schiitischen Minderheit angehören, ist die Entscheidung, sich nicht in Riads Konfrontation mit Teheran hineinziehen zu lassen, dennoch richtig.

Schon einmal war es beim Thema Sunniten und Schiiten zu Differenzen zwischen Riad und Islamabad gekommen. 1982 hatte Pakistan 12.000 Soldaten nach Saudi-Arabien entsandt, die das Königreich gegen eventuelle Vergeltungsmaßnahmen Teherans wegen der Unterstützung Riads für die Regierung Saddam Husseins im Iran-Irak-Krieg schützen sollten. Als die Behörden in Riad 1987 von der pakistanischen Armeeführung die Namen aller in Saudi-Arabien stationierten pakistanischen Offiziere schiitischen Glaubens verlangte, hatte sich Islamabad dem verweigert und das komplette Truppenkontingent abgezogen.

21. April 2015


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