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ASIEN/826: Indiens Premierminister Modi auf Staatsbesuch in China (SB)


Indiens Premierminister Modi auf Staatsbesuch in China

Historisches indisch-chinesisches Gipfeltreffen weckt Erwartungen


Am 16. Mai, genau eine Woche, nachdem Einheiten der chinesischen und indischen Streitkräfte bei der großen Militärparade zum Feier des 70. Jahrestags des Siegs über Nazi-Deutschland mit ihren russischen Kameraden stolz über den Roten Platz in Moskau marschierten, hat Indiens Premierminister Narendra Modi in Schanghai eine historische Rede gehalten. Modi, der wie der chinesische Präsident Xi Jinping vor sieben Tagen neben Wladimir Putin auf der Ehrentribüne an der Kremlmauer saß, will die alte Rivalität zwischen China und Indien in eine Partnerschaft verwandeln. Die Chancen dafür stehen gut. In der chinesischen und indischen Presse wird der dreitägige Besuch Modis in der Volksrepublik als der wichtigste dort seit dem von US-Präsident Richard Nixon im Jahre 1971 bezeichnet. Die damaligen Gespräche zwischen Nixon und Mao Zedong haben zum Ende des Vietnamkriegs, zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Washington und Peking, zum Austausch Taiwans gegen die Volksrepublik als Vetomacht im UN-Sicherheitsrat, zur ökonomischen Öffnung Chinas und letztlich zu dessen Aufstieg zur größten Volkswirtschaft der Welt geführt.

Es sind auch in erster Linie wirtschaftliche Überlegungen, die Modi nach China geführt haben. Obwohl Indiens Bevölkerung mit 1,2 Milliarden Menschen nur knapp hinter Chinas - 1,4 Milliarden - liegt, ist sein Bruttosozialprodukt nur 20 Prozent so groß wie das des Nachbarlands. Indiens verarbeitende Industrie gilt als schwach und international wenig konkurrenzfähig. Es kommen jeden Monat in Indien eine Million weitere Menschen in den Arbeitsmarkt, doch für einen Gutteil von ihnen fehlen die Betätigungsmöglichkeiten. Darum sollen Chinas große und mittlere Unternehmen die Infrastruktur Indiens - Straßen, Eisenbahn, Stromerzeugung - ausbauen, um das Land wirtschaftlich voranzubringen und politisch zu stabilisieren. Es sollen die Investitionsmöglichkeiten in Indien erleichtert werden, damit Chinas Gerätehersteller von den niedrigeren Löhnen dort profitieren können. Darüber hinaus wollen Chinas Konsumgüterproduzenten die indische Mittelschicht, die zwischen 200 bis 300 Millionen Menschen beträgt, erobern und somit die nachlassende Nachfrage im eigenen Land kompensieren.

Chinesische und indische Wirtschaftsvertreter haben am 16. Mai in Schanghai und im Beisein von Modi und Xi diverse Absichtserklärungen mit einem Gesamtwert von 22 Milliarden Dollar unterzeichnet. Zu den angepeilten gemeinsamen chinesisch-indischen Projekten in Indien gehören Solarzellenfabriken, Windkraftanlagen, Stahlwerke, Industrieparks für Konsumgüterproduktion, eine Partnerschaft der beiden Hafenstädte Mundra und Guangzhou, verstärkte Zusammenarbeit in den Bereichen IT und Unterhaltungsindustrie, Erkundung und Erschließung von Erdgasreserven u. v. m. Sollten alle Vorhaben verwirklicht werden, wird das Konzept "Made in India", für das Modi in China geworben hat, als Erfolg in die Geschichtsbücher eingehen.

Bei ihrem Treffen am 14. Mai in Xi'an im Nordwesten Chinas und am 15. Mai in Peking haben der Hindu-Nationalist Modi und der Kommunistenchef Xi die wichtigsten bilateralen Probleme ihrer Staaten behandelt. Es geht hier um chinesische Besitzansprüche auf Teile des ostindischen Bundesstaats Arunachal Pradesh sowie die Besetzung des nördlichen Teils von Dschammu und Kaschmir am Himalaya durch die Volksrepublik. An beiden Grenzabschnitten haben sich China und Indien 1962 einen kurzen aber heftigen Krieg geliefert. 1993 und 1996 haben Neu-Delhi und Peking in Staatsverträgen vereinbart, den De-facto-Grenzverlauf zu respektieren und die Regelung des Streits einer gemeinsamen Expertenkommission zu überlassen. Deren Arbeit tritt jedoch seit Jahren auf der Stelle, und ein abschließendes, für beide Seiten zufriedenstellendes Ergebnis ist nicht in Sicht.

Über die wirtschaftliche Annäherung wollen die beiden asiatischen Großmächte nun die politische Distanz überwinden. In Indien hat man im April die Vereinbarung, derzufolge China mit Investitionen in Höhe von 46 Milliarden Dollar Pakistans Wirtschaft aus der Krise helfen will, wohlwollend aber mit einem gewissen Neid zur Kenntnis genommen. Zu den angepeilten Infrastrukturprojekten gehört die Errichtung einer gigantischen Straßen- und Eisenbahnverbindung sowie Öl- und Gaspipeline, die von der Hafenstadt Gwadar in Belutschistan am Arabischen Meer über den pakistanischen Teil Kaschmirs bis in die westchinesische Provinz Xianjiang reichen soll. Auf ähnliche Weise ist Indien gerade dabei, die ostiranische Hafenstadt Chabahar zu einer Freihandelszone auszubauen, über die die Iraner Öl- und Gas nach Indien exportieren sollen und die Inder den eigenen Handelsweg nach Afghanistan und Zentralasien ausbauen wollen. In China hat Modi davon gesprochen, das 21. Jahrhundert zum einem "asiatischen" zu machen. Auch wenn die Verantwortlichen in Washington, London, Paris und Berlin es nicht gern hören, Neu-Delhi und Peking sind auf dem besten Weg, diese Vision zu verwirklichen.

16. Mai 2015


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