Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


ASIEN/831: Machtkämpfe in Afghanistan treiben den Krieg voran (SB)


Machtkämpfe in Afghanistan treiben den Krieg voran

Gerüchte über den Tod des neuen Taliban-Chefs Mansur reißen nicht ab


Die Friedenshoffnungen, die in den ersten Staatsbesuch des im letzten Jahr gewählten afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani in Pakistan gesetzt wurden, haben sich als illusorisch erwiesen. Wenngleich viele Afghanen der erklärten Bereitschaft Islamabads, stärker als bisher gegen die Nutzung pakistanischen Territoriums als Rückzugsgebiet durch die Taliban vorzugehen, mißtrauen, sind es hauptsächlich Ränkespiele und Machtkämpfe auf afghanischer Seite, die ein baldiges Ende des Krieges dort als höchst unwahrscheinlich erscheinen lassen. Seit Ende Juni der Tod von Mullah Mohammad Omar bekannt wurde, tobt innerhalb der Taliban ein blutiger Machtkampf um die Führung, während sich die Bewegung gegen das Aufkommen des Islamischen Staates (IS) in Afghanistan zur Wehr setzen muß. Gleichzeitig wird die Position von Präsident Ghani in Kabul vom langjährigen Vorgänger Hamid Karsai und dessen Gefolge unterminiert.

Eigentlich hätten die Rahmenbedingungen für den zweitägigen Besuch des neuen afghanischen Präsidenten in Islamabad nicht besser sein können. Zu seiner Überraschung wurde Ghani auf der Rollbahn des internationalen Flughafens von der gesamten politischen und militärischen Führung Pakistans samt Premierminister Nawaz Sharif empfangen und mit 21 Salutschüssen geehrt. Anschließend nahmen beide Regierungschefs als Ko-Vorsitzende an einer Konferenz mit Namen "Das Herz Asiens" teil, zu der die meisten Länder Süd- und Zentralasiens ihre Außen- und Wirtschaftsminister entsandt hatten und bei der es um Möglichkeiten des verstärkten Handels in der Region ging. An den bilateralen Gesprächen Ghanis und Sharifs über eine Beendigung des Krieges in Afghanistan nahmen auch ranghohe Diplomaten aus den USA und China teil.

Doch kaum war Ghani am Vormittag des 9. Dezember in Islamabad angekommen, holten ihn die Negativschlagzeilen aus der Heimat wieder ein. Am Abend davor hatten die Taliban den Militärflughafen von Kandahar, Hauptstadt der gleichnamigen südafghanischen Provinz, überfallen. Die Kämpfe sollten zwei Tage dauern und mehr als 50 Menschen das Leben kosten. An der Aktion waren 14 Taliban-Freiwillige, darunter mehrere Selbstmordattentäter, beteiligt. Am zweiten Tag der Operation veröffentlichten die Taliban im Internet ein Video, in dem sie die beteiligten Kämpfer vorstellten und mit dem sie den eigenen Kampfwillen unterstrichen. Fast gleichzeitig überfielen Taliban-Kämpfer im Bezirk Khanasin in der Provinz Helmand eine Polizeiwache und brachten ein Dutzend Polizisten um.

Die schockierenden Vorgänge in Kandahar nutzte Rahmatullah Nabil als Gelegenheit, um am 9. Dezember als Chef der afghanischen Geheimdienste spektakulär zurückzutreten. Auf seiner Facebook-Seite erhob Nabil, der den Posten lange innehatte und als Vertrauensmann Karsais und Favorit der USA gilt, schwere Vorwürfe gegen den eigenen Präsidenten. Nabil führte die ungebrochene Kampfkraft der Taliban auf die stille Unterstützung Pakistans zurück. Nabil zufolge sei Ghani blauäugig, sich auf die Friedensbeteuerungen Islamabads einzulassen. Medienberichten zufolge stammte die Nachricht vom Juni über das Ableben von Taliban-Gründer Mullah Omar vor zwei Jahren aus dem Umfeld Nabils und Karsais, die damit eine Annäherung Kabuls und Islamabads torpedieren wollten.

Jedenfalls haben die Taliban mit den Überfällen von Kandahar und Khanasin nach der vorübergehenden, mehrtägigen Einnahme der Stadt Kundus im Norden Afghanistans im September gezeigt, daß an ihnen bei einer Friedensregelung niemand vorbeikommt. Das Problem ist nur, daß die Taliban nicht mehr mit einer Stimme sprechen. Die Bewegung hat sich im Sommer gespalten. Seit Tagen kursieren Gerüchte, denenzufolge es bei einem Treffen führender Taliban-Kommandeure am 1. Dezember im pakistanischen Quetta zu Handgreiflichkeiten gekommen ist, in deren Verlauf Omars umstrittener Nachfolger Mullah Akhtar Mansur tödlich verletzt wurde. Die Veröffentlichung einer Tonbandaufnahme, angeblich mit der Stimme Mansurs, am 6. Dezember hat die Gerüchte nicht abflauen lassen.

Die meisten Beobachter gehen davon aus, daß Mansur entweder tot ist oder sich in einem kritischen Zustand befindet und somit bis auf weiteres handlungsunfähig ist. Sowohl die Fraktion um Mansur, dem eine Nähe zum pakistanischen Geheimdienst Inter-Services Intelligence Directorate (ISI) nachgesagt wird, als auch deren Gegner, zu der die Familie Omars zählt, haben in den letzten Wochen ihre Bereitschaft erklärt, an einer Beendigung des Kriegs mitzuwirken, sofern der Abzug aller ausländischen Streitkräfte aus Afghanistan garantiert wird. Dafür gibt es jedoch seitens der USA nicht das geringste Anzeichen. Im Gegenteil bietet die zunehmende Aktivität der "Terrormiliz" IS in Afghanistan dem Pentagon den perfekten Anlaß, sich dauerhaft militärisch am Hindukusch festzusetzen.

12. Dezember 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang