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ASIEN/875: Taliban lehnen Friedensgespräche für Afghanistan ab (SB)


Taliban lehnen Friedensgespräche für Afghanistan ab

In Afghanistan ist der Krieg längst zum Selbstzweck geworden


Am 16. Oktober kommen die Vertreter der USA, Afghanistans, Chinas und Pakistans in der omanischen Hauptstadt Muskat zusammen, um über eine Wiederbelebung der Friedensverhandlungen mit den Taliban zu beraten. An den Gesprächen werden sich Mitglieder sowohl der afghanischen Regierung als auch des Hohen Friedensrats in Kabul beteiligen. Nicht anwesend werden jedoch die Taliban sein. Am 11. Oktober zitierte die Nachrichtenagentur Reuters zwei nicht namentlich genannte Führungsmitglieder der Gruppe mit der kategorischen Aussage, daß sie keine Delegation nach Muskat schicken wird. "Bis jetzt haben wir keine Einladung erhalten, aber selbst wenn wir eine bekämen, unsere Führungsmitglieder haben sich gegen eine Teilnahme am Treffen entschieden", sagte einer der beiden Männer.

Der Entschluß der Taliban ist leicht nachvollziehbar. US-Präsident Donald Trump will das Büro, das die Taliban 2013 in Doha in Absprache mit der Regierung Katars eröffnet haben, um in Kontakt mit Abgesandten der anderen Kriegsparteien zu kommen und mit ihnen über Wege zur Beendigung des Kriegs zu diskutieren, schließen lassen. Die Existenz der inoffiziellen Taliban-Botschaft in Katar wird seit dem Ausbruch einer diplomatischen Krise am Persischen Golf in diesem Sommer von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten als Beleg für die These verwendet, Doha fördere den "internationalen Terrorismus". Während US-Außenminister Rex Tillerson bislang vergeblich zwischen Doha, Riad und Abu Dhabi zu vermitteln versucht, hat Trump Partei für die Saudis und die Emirater ergriffen und damit Katar in eine schwierige Lage gebracht.

Nach dem Scheitern dieser Eskalation samt Truppenaufstockung um 30.000 Soldaten, zu der in Afghanistan die US-Militärführung 2009 ihren damals frischgebackenen Präsidenten Barack Obama gedrängt hat, sah es zunächst aus, als hätte die NATO die Sinnlosigkeit des Afghanistankriegs und die Unmöglichkeit des Erringens eines militärischen Sieges erkannt. Deswegen wurde die Eröffnung des Taliban-Büros in Doha von der Hoffnung begleitet, durch Gespräche ließe sich irgendein Kompromiß finden, mit dem alle Seiten leben könnten. Die Hoffnungen gingen jedoch 2015 jäh zu Ende, als die CIA den damaligen Taliban-Chef Mullah Akhtar Mansur per Drohnenangriff tötete, als dieser mit dem Auto von einer Reise in den Iran zurückkehrte und in der westpakistanischen Provinz Belutschistan unterwegs war. Bis heute ist unklar, ob Obama vorab von der Liquidierung Mansurs wußte und für die spektakuläre Aktion die Genehmigung erteilt hat, oder ob die CIA nach eigenem Gutdünken handelte.

Wiewohl die Taliban in den letzten Jahren ihre Bereitschaft bekundet haben, sich wieder in die afghanische Politik zu integrieren, keine Einwände mehr gegen die Schulbildung für Mädchen und Frauen zu erheben und vor allem keiner "Terrorgruppe" wie einst Osama Bin Ladens Al Kaida eine Rückzugsmöglichkeit zu gewähren, ist ihre Kernforderung nach dem Abzug aller ausländischen Streitkräfte für die NATO im allgemeinen und die USA im besonderen offenbar vollkommen inakzeptabel. Allen Bekenntnissen zum "globalen Antiterrorkrieg", der quasi am 7. Oktober 2001 am Hindukusch begann, zum Trotz ging es den USA in Afghanistan niemals in erster Linie um die Beseitigung irgendwelcher dschihadistischer Netzwerke. Der Krieg in Afghanistan war und ist bis heute nur ein Vorwand - wenngleich ein sehr teuerer vor allem für die afghanische Bevölkerung - für eine militärische Präsenz der USA in unmittelbarer geographischer Nähe zu Rußland, China, Pakistan und dem Iran.

Vor kurzem hat das US-Militär den afghanischen Streitkräften ihre ersten Hubschrauber vom Typ Black Hawk UH-60 übergeben. Insgesamt sollen es 159 Stück werden. Gegen einen Umstieg der afghanischen Streitkräfte von sowjetischen bzw. russischen Hubschraubern vom Typ M-17 auf den Black Hawk hat sich die NATO lange gesperrt; zum einen wegen der Kosten und zum anderen wegen der langen Ausbildungszeit. Erforderlich wurde die Maßnahme jedoch durch die Eintrübung der Beziehungen zwischen Moskau und Washington. Seit die USA 2014 geholfen haben, in der Ukraine die Regierung Viktor Janukovichs zu stürzen, und im Gegenzug Rußland die Krim annektiert hat, herrscht zwischen den beiden Supermächten wieder Kalter Krieg. Eine Versorgung der afghanischen Streitkräfte mit M-17-Hubschraubern und entsprechenden Ersatzteilen ist daher nicht mehr ohne weiteres möglich.

Dessen ungeachtet hat Trump dem Pentagon in Afghanistan quasi freie Hand gegeben. In einem ersten Schritt hat US-Verteidigungsminister James Mattis vor einiger Zeit die Einsatzregeln gelockert, was die Anforderung von Luftangriffen betrifft. Es muß nicht mehr eine akute Bedrohung von US-Bodentruppen vorliegen, vielmehr haben es die Militärkommandeure vor Ort selbst in der Hand, ob sie ein verdächtiges Objekt oder eine Gruppe Männer, bei denen man vermutet, daß es sich um feindliche Kämpfer handelt, aus der Luft mit Bomben und Raketen angreifen lassen. Infolge der Neuregelung schießt die Anzahl der Luftangriffe in die Höhe. Im September waren es 751 Einsätze - ein Anstieg um 50 Prozent im Vergleich zum August mit 503 Einsätzen und die höchste Zahl in einem Monat seit sieben Jahren. Wie die Air Force Times am 9. Oktober berichtete, hatten Flugzeuge der NATO und der afghanischen Streitkräfte von Januar bis Ende September 3238 Luftangriffe geflogen. Das ist mehr als in allen Kalenderjahren seit 2012. Werden die Luftangriffe in dieser Häufigkeit fortgesetzt, dürfte man 2017 den bisherigen Rekord von 4084 aus dem Jahr 2012 leicht übertreffen.

In Absprache mit Trump hat Mattis im September mit der Entsendung zusätzlicher US-Soldaten nach Afghanistan begonnen. Wie viele das sind, weiß man nicht. Das Pentagon hält die Zahl geheim, um die Taliban darüber im dunkeln zu lassen. Beobachter gehen davon aus, daß zu den bereits in Afghanistan stationierten 11.000 Soldaten rund 3000 weitere hinzukommen werden. Mit der Truppenaufstockung wollen Pentagon und Weißes Haus gegenüber den Taliban Entschlossenheit und Durchsetzungswillen demonstrieren, damit letztere endlich das Handtuch werfen. Doch die Vorstellung, in Afghanistan würden die Verteidiger der eigenen Heimat eher als die ausländischen Invasoren aufgeben, widerspricht allen Erfahrungen der Weltgeschichte. Nicht umsonst zitierte der vielbeachtete Militärexperte Brian Cloughley am 22. September bei Counterpunch den ehemaligen kanadischen Generalstabschef Rick Hillier mit den Worten, in Afghanistan habe die NATO "einen Pfad betreten, der ihre Glaubwürdigkeit zerstört und in jedem Mitgliedsstaat der Allianz die Unterstützung für die Mission erodiert hat. ... Afghanistan hat gezeigt, daß die NATO den Zustand einer verwesenden Leiche erreicht hat."

14. Oktober 2017


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