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ASIEN/878: Washington erhöht Zahl der US-Soldaten in Afghanistan (SB)


Washington erhöht Zahl der US-Soldaten in Afghanistan

Karsai macht die USA für Präsenz des IS am Hindukusch verantwortlich


5,6 Billionen Dollar - so viel hat laut der Studie "Costs of War" des Watson Institute of International and Public Affairs an der renommierten Brown University in Providence, Rhode Island, in den vergangenen 16 Jahren der "Antiterrorkrieg" im Irak, in Syrien, Afghanistan und Pakistan die USA gekostet. Man kann davon ausgehen, daß in etwa die Hälfte dieser astronomischen Summe für die Bekämpfung der Taliban beiderseits der Durand-Linie ausgegeben worden ist. An diesem Kriegsschauplatz sind nach Angaben der Watson-Studie seit 2001 175.000 Menschen gewaltsam ums Leben gekommen. Und ein Ende des Blutvergießens ist nicht in Sicht. Die US-Generalität, derzufolge der Einsatz in Afghanistan noch Jahrzehnte dauern könnte, hat Donald Trump seine im Wahlkampf 2016 verkündeten Absagen an "sinnlose Kriege" ausgetrieben und den neuen Präsidenten im Weißen Haus trotz anfänglichen Widerstands doch noch auf eine Fortsetzung des bisherigen Kurses in Afghanistan einschwören können. Aktuell wird die Zahl der dort stationierten Soldaten von rund 11.000 auf rund 16.000 Mann erhöht.

Zwecks Pflege des eigenen Images als knallharter Typ und wegen seines Mangels an militärischem Sachverstand hat Trump gleich nach der Amtseinführung als Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte für die Kommandeure vor Ort - entweder in Afghanistan selbst oder beim Regionalkommando CENTCOM - die Einsatzregeln gelockert. Seit Januar können zum Beispiel die US-Militärs im Feld selbst entscheiden, wann und wozu sie Luftunterstützung anfordern. Dafür müssen die im Einsatz befindlichen US-Soldaten oder ihre Kameraden von der afghanischen Armee nicht unmittelbar bedroht sein, wie es unter Barack Obama der Fall gewesen ist. Infolge der Anweisung Trumps schießt, wenig überraschend, die Zahl der getöteten und verletzten Zivilisten in die Höhe.

Anfang November meldeten die Vereinten Nationen, in den ersten neun Monaten 2017 seien in Afghanistan durch Luftangriffe 205 Zivilisten getötet und 261 schwer verletzt worden. Bei der Todesrate ist damit im Vergleich zum gesamten Jahr 2016 ein Anstieg um 52 Prozent zu verzeichnen. Da die Bombardierung weiter fortgesetzt wird, dürften die Opferzahlen Ende des Jahres einen noch drastischeren Anstieg aufweisen. Allein bei einem US-Luftangriff am 3. November auf das Dorf Katl-e Aam im Bezirk Chardara im nordafghanischen Kundus, in dem Taliban-Kämpfer vermutet wurden, sind 19 Zivilisten - vier davon Kinder - getötet und sechs weitere verletzt worden.

Wegen solcher Vorfälle hat vor wenigen Tagen Fatou Bensouda, die aus Gambia stammende Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag, die Aufnahme von Ermittlungen gegen US-Militärangehörige wegen des Verdachts, Kriegsverbrechen in Afghanistan verübt zu haben, angeregt. Doch da die USA noch während der Präsidentschaft von George W. Bush ihre Unterschrift unter dem Gründungsvertrag zurückgezogen haben, besteht die Möglichkeit der Überstellung nach Den Haag und im Falle einer Verurteilung der Bestrafung amerikanischer Staatsangehöriger nicht. Deswegen hat Frances Boyle, Professor für internationales Recht an der Universität von Illinois und langjähriger, profilierter Kritiker der imperialen Außen- und Sicherheitspolitik Washingtons, den Vorstoß Bensoudas als eine "politische Charade" abgetan.

Noch schwerere Vorwürfe hat Hamid Karsai, der von 2004 bis 2014 Präsident Afghanistans war und in seiner Heimat, besonders bei der Volksgruppe der Paschtunen, nach wie vor über großen politischen Einfluß verfügt, an die Adresse Washingtons gerichtet. In einem Interview beim arabischen Nachrichtensender Al Jazeera am 10. November bezichtigte Karsai die Amerikaner, für das Aufkommen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Afghanistan, die sich dort seit zwei Jahren bemerkbar macht und als radikalere Alternative zu den Taliban um junge Männer wirbt, verantwortlich zu sein. Der IS habe seine Präsenz in Afghanistan "im vollen Blick des Militärs, der Geheimdienste und der Politik" der USA ausgebaut. "Zwei Jahre lang hat das afghanische Volk dies beklagt und dagegen protestiert, aber es wurde nichts dagegen unternommen", so Karsai.

Afghanistans früheres Staatsoberhaupt beschwerte sich darüber, daß die Trump-Regierung im vergangenen April die Anwesenheit von IS-Kämpfern in der ostafghanischen Provinz Nangahar als Vorwand benutzt habe, durch Abwurf auf ein dortiges Höhlensystem die 10.000 Tonnen schwere Bombe vom Typ GBU-43/B, auch "Mother Of All Bombs" (MOAB) genannt, zu testen. "Gleich am nächsten Tag hat der IS den benachbarten Bezirk erobert. Das beweist uns, daß jemand seine Hand im Spiel hat und dies kann nur die Hand der USA in Afghanistan sein", erklärte er. Bei einem früheren Interview, das am 15. Oktober bei der Asia Times Online erschienen war, hatte Karsai den USA vorgeworfen, unter dem Vorwand der "Terrorbekämpfung" Afghanistan als Plattform zu benutzen, um Rivalität unter den geopolitischen Rivalen, den Anrainerstaaten Iran, Rußland, China, Pakistan und Indien, zu schüren. Die USA würden auf Kosten der einfachen Menschen in Afghanistan "strategische Spielchen" spielen. Karsai, der sich nach wie vor im Prinzip als Partner des Westens betrachtet, spricht lediglich das aus, was eine Mehrheit der Menschen in Afghanistan - und Pakistan - schon lange denkt. Bei soviel Ressentiments und Mißtrauen dürfte es den Taliban niemals an Rekruten und Sympathie, wie versteckt oder offen auch immer, bei der einheimischen Bevölkerung fehlen.

14. November 2017


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