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ASIEN/916: Afghanistan - reform- und friedensbereit ... (SB)


Afghanistan - reform- und friedensbereit ...


Nach zehn Jahren Krieg zwischen der Mudschaheddin und der Sowjetarmee, anschließend 12 Jahren Bürgerkrieg zwischen den Milizen der verschiedenen Warlords sowie weiteren 18 Jahren Konflikt zwischen den Taliban und der NATO scheint erstmals seit langem der Frieden in Afghanistan zum Greifen nahe. Bei seiner diesjährigen Rede zur Lage der Nation am 5. Februar hat US-Präsident Donald Trump ein Ende des Konflikts am Hindukusch in Aussicht gestellt mit den Worten: "Große Nationen führen keine endlosen Kriege" (wenn sie groß bleiben wollen - bekanntlich ein Lehrsatz des altchinesischen Philosophen und Kriegstheoretikers Sun Tsu). In diesem Zusammenhang verwies Trump indirekt auf jene Friedensgespräche, die am 5. und 6. Februar im Moskauer Nobelhotel Präsident unter Teilnahme der meisten politischen Fraktionen sowie zivilgesellschaftlichen Gruppen einschließlich der Taliban und von Ex-Präsident Hamid Karsai stattfanden. Von dort kamen ermutigende Signale.

Am Ende der zweitägigen Beratungen verabschiedeten die Teilnehmer der Moskauer Friedensgespräche eine Neun-Punkte-Erklärung, die künftig als Grundlage für den innerafghanischen Dialog dienen soll. Zu den in der Erklärung enthaltenen Prinzipien und Zielen gehören u. a. die Aufnahme regelmäßiger Gespräche im katarischen Doha, wo die Taliban seit 2012 ein Verbindungsbüro unterhalten und seit Herbst vergangenen Jahres mit Vertretern Washingtons offizielle Friedensverhandlungen führen, die Schaffung eines dauerhaften Friedens, die Bildung neuer staatlicher Institutionen auf der Grundlage des islamischen Rechts, der Schutz von Minderheiten sowie die Wahrung von Frauenrechten, der Abzug aller fremdländischer Streitkräfte aus Afghanistan und die Garantie, daß afghanisches Territorium niemals wieder von irgendwelchen "terroristischen" Netzwerken als Rückzugsgebiet benutzt werden dürfe.

Mit Verlauf und Ergebnis der Gespräche erklärte sich Karsai "sehr zufrieden" und bedauerte lediglich, daß weder die Regierung von Präsident Ashraf Ghani noch die USA bei dem Treffen in Moskau vertreten waren. Sher Mohammad Abbas Stanikzai, der Leiter des Verbindungsbüros in Katar, der die Taliban-Delegation in Moskau anführte, bekannte sich vor Journalisten zum Recht von Frauen und Mädchen auf Bildung, Arbeit und Sicherheit. Er stellte erneut das Ultimatum der Taliban nach Abzug aller kämpfenden ausländischen Soldaten, ließ jedoch gleichzeitig die Möglichkeit offen, daß befreundete Staaten später Ausbilder oder Militärberater nach Afghanistan entsenden könnten. Die Taliban lehnen einen Verbleib amerikanischer Elitesoldaten zwecks "Terrorbekämpfung" in Afghanistan ab, weil sie das als Aufgabe einheimischer Kräfte eines souveränen Staats sehen. Daß sie ebenso wie die USA und die afghanische Armee die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) für den Feind halten und deren Anhänger erfolgreich zu bekämpfen wissen, haben sie in den letzten drei Jahren bewiesen.

Einziger Schönheitsfehler beim großen afghanischen Friedensrat im Moskau war die bereit erwähnte Nicht-Anwesenheit von Vertretern der Kabuler Regierung von Präsident Ashraf Ghani. Dies hängt mit der Haltung der Taliban zusammen, für die Ghani-Administration sowie die afghanische Armee und Polizei als Erfüllungsgehilfen Washingtons gelten. Man kann aber davon ausgehen, daß bei der nächsten Verhandlungsrunde Ende Februar in Doha der amerikanische Chefunterhändler Zalmay Khalilzad, der wie Karsai, Ghani und die große Mehrheit der Taliban Paschtune ist, auf eine Einbindung Kabuls in den afghanischen Friedensprozeß beharren wird. Washington wird keinen Separatfrieden mit den Taliban abschließen und seine bisherigen Verbündeten einfach fallenlassen. Genauso wie sie nach außen hin die militärische Niederlage am Hindukusch nicht eingestehen können, werden die Amerikaner in Afghanistan auf einen "Frieden mit Würde" drängen.

Die Taliban verhandeln inzwischen aus einer Position der Stärke. Sie haben bewiesen, daß ihr Durchhaltevermögen größer als das der NATO ist. Seit die nordatlantische Allianz 2014 mit einer drastischen Reduzierung ihrer Truppenpräsenz in Afghanistan begonnen hat, fehlt es Kabuls Armee und Polizei deutlich an Kampfkraft. In den letzten vier Jahren sind 45.000 Mitglieder der afghanischen Streitkräfte gefallen. Die Verluste sind in diesem Ausmaß - 2,9 Prozent der kämpfenden Truppe pro Monat - einfach nicht mehr haltbar. Deshalb suchen Trump und Khalilzad nach einem Ausweg aus dem Afghanistankrieg, der Washington das Gesicht wahren läßt. Ghani ziert sich vielleicht noch, doch um eine Verständigung mit den Taliban kommt auch er nicht mehr herum.

Für ein Gelingen des afghanischen Friedensprozesses ist nicht nur der Wille zur Versöhnung unter den Afghanen selbst, sondern vor allem eine produktive Zusammenarbeit der ausländischen Mächte vonnöten. Deswegen heißt es in der Neun-Punkt-Erklärung von Moskau, man wünsche sich keine ausländische Einmischung in die afghanische Innenpolitik, dafür sehr wohl eine aufrichtige Teilnahme der Nachbarländer und der Großmächte am Wiederaufbau. Bekanntlich pflegt der Iran gute Verbindungen zur shiitischen Volksgruppe der Hasara, Rußland zu den Usbeken und Tadschiken, während sich Pakistan quasi als Schutzmacht der Paschtunen betrachtet.

Aufgrund seiner geographischen Position und seiner Bodenschätze bleibt Afghanistan weiterhin ein Objekt der Begehrlichkeiten vor allem im Ringen der beiden Supermächte China und die USA. Leider zeichnen sich die Beziehungen zwischen diesen Akteuren - zwischen den USA auf der einen Seite, Iran, Rußland und China auf der anderen sowie zwischen Pakistan und Indien, das sich spätestens seit 2001 intensiv um Einfluß bei den Nicht-Paschtunen bemüht - durch Spannungen und zunehmende Rivalität aus. Mag bei den Afghanen höchste Reform- und Friedensbereitschaft vorherrschen, für eine endgültige Beilegung des Kriegs am Hindukusch stehen die geopolitischen Vorzeichen nicht unbedingt günstig.

8. Februar 2019


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