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ASIEN/921: Afghanistan - hinter den Kulissen ... (SB)


Afghanistan - hinter den Kulissen ...


Bei der fünften Runde der Friedensverhandlungen, welche die USA und die Taliban miteinander in Doha, der Hauptstadt Katars, führten, wurden offenbar Fortschritte erzielt. An den Gesprächen, die vom 25. bis zum 28. Februar dauerten, nahm neben US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad erstmals auch Mullah Abdul Ghani Baradar, stellvertretender Chef der Taliban, der in den neunziger Jahren zusammen mit Mullah Mohammed Omar die Organisation gegründet hatte, teil. Baradar hatte vor rund zehn Jahren eine eigene Friedensinitiative gestartet und Kontakt zur Regierung Afghanistans um den damaligen Präsidenten Hamid Karsai aufgenommen, war dafür jedoch in Pakistan, weil Islamabad am eigenständigen Vorstoß seiner Verbündeten keinen Gefallen fand, verhaftet worden. Erst im vergangenen Oktober ließen die pakistanischen Behörden Baradar auf Drängen der US-Regierung Donald Trumps frei.

Vor dem Treffen hob Khalilzad die Bedeutung der Begegnung der bisher ranghöchsten Vertreter der USA und der Taliban hervor und äußerte die Hoffnung, dadurch die bisher diskutierten Maßnahmen zur Schaffung eines dauerhaften Friedens in Afghanistan konkretisieren zu können. Dies scheint gelungen zu sein. Noch im Januar hieß es, die US-Delegation habe sich mit den Taliban-Vertretern im Prinzip auf die Lösung eines Abzugs aller ausländischen Streitkräfte gegen verläßliche Sicherheitsgarantien, daß Afghanistan nicht wie vor den angeblich von Al Kaida verübten Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 in New York und Arlington von irgendeiner "terroristischen" Gruppe als Rückzugsgebiet genutzt wird, geeinigt. In Doha hat nun Khalilzad die Heimkehr aller amerikanischen Truppen aus Afghanistan innerhalb von fünf Jahren in Aussicht gestellt. Im Gegenzug sollen die Taliban demobilisiert werden - ein Teil von ihnen wird ins Zivilleben zurückkehren, der andere in die afghanischen Streitkräfte aufgenommen und dort integriert werden. Dies erklärte am 28. Februar Taliban-Sprecher Suhail Shahin gegenüber der Presse in Doha.

Daß der Friedenswille der Taliban ernst gemeint ist, davon sind die meisten Beobachter überzeugt. In einem Interview mit dem afghanischen Onlineportal TOLOnews, das ebenfalls am 28. Februar erschienen ist, erklärte der ehemalige Mudschaheddin-Anführer Gulbuddin Hekmatyar: "Ich denke, daß nicht nur unsere Nation, sondern auch die Mehrheit der Taliban-Kämpfer kriegsmüde ist und Frieden will." Nach dem Aufstand gegen die Sowjetarmee in den achtziger Jahren war Hekmatyar ein führender Akteur beim darauffolgenden Bürgerkrieg, der in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre durch den Siegeszug der Taliban quasi zu Ende ging. Nach dem Einmarsch westlicher Truppen im Oktober 2001 wurde Hekmatyar zum Taliban-Verbündeten und ging wie sie in den Untergrund. 2016 hat seine religiös-konservative Gruppe Hisb-e-Islami einen Separatfrieden mit Kabul geschlossen. 2017 kehrte Ex-Premierminister Hekmatyar in die afghanische Hauptstadt und damit ins öffentliche Leben zurück. Seitdem betätigt sich die Hisb-e-Islami als reguläre politische Kraft.

Mohammed Hanif Atmar hat als Nationaler Sicherheitsberater von Präsident Ashraf Ghani den Ausstieg Hekmatyars aus dem Guerillakrieg ausgehandelt und ermöglicht. Schon damals sahen viele in dieser Entwicklung die Eröffnung eines Weges, den irgendwann auch die Taliban beschreiten könnten - was sich dieser Tage zu bewahrheiten scheint. Atmar kämpfte vor dreißig Jahren als Geheimdienstoffizier der kommunistischen Regierung Afghanistans gegen die Mudschaheddin und hat dabei ein Bein verloren. Während der Präsidentschaft Karsais, die von 2002 bis 2014 dauerte, hatte er verschiedene Ministerposten inne, darunter für ländliche Entwicklung, Bildung und Inneres. 2010 verließ Atmar die afghanische Regierung, um seine eigene gemäßigt-reformistische Justiz- und Gerechtigkeitspartei zu gründen. Vier Jahre später half er Ashraf Ghani, die Präsidentenwahl zu gewinnen, und diente ihm in der Folge als Nationaler Sicherheitsberater. In dieser Funktion handelte er 2014 das Sicherheitsabkommen mit den USA aus.

Im vergangenen August verließ Atmar wegen "ernsthafter Meinungsverschiedenheiten" mit Präsident Ghani die afghanische Regierung. Bei der Präsidentenwahl, die im Mai stattfinden soll, kandidiert er gegen seinen ehemaligen Vorgesetzten. Doch inzwischen plädiert Atmar für eine Verschiebung des Urnengangs und zwar aus zwei Gründen: erstens, weil die Mängel, welche die Präsidentenwahl 2014 und die Parlamentswahlen im vergangenen Herbst begleitet haben, nicht behoben worden sind, und zweitens, weil es angesichts der politischen Entwicklung besser wäre, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden, die den Friedensprozeß begleiten könnte. Bisher lehnen die Taliban jegliches Gespräch mit der Ghani-Regierung ab, die sie für eine Marionetten-Administration Washingtons halten. Doch für die ausbleibende Versöhnung zwischen Kabul und Taliban sind offenbar letztere nicht allein verantwortlich.

In einem Interview, das Reuters am 1. März veröffentlichte, hat Atmar die Haltung Ghanis heftig kritisiert, weil die Regierung in Kabul die große Afghanistan-Konferenz, die Anfang Februar in Moskau stattfand, boykottierte und weil sich Afghanistans Präsident vor kurzem mit der Bitte an die Vereinten Nationen gewandt hat, für eine Durchsetzung des internationalen Reiseverbots für die Taliban-Führung zu sorgen. Am 17. März sollen in Kabul mehr als 2000 Vertreter aller wichtigen gesellschaftlichen Gruppen Afghanistans über das weitere Vorgehen im Friedensprozeß beraten. In Doha haben die Amerikaner die Taliban zur Teilnahme an dem großen Treffen gedrängt. Ob die Männer um Mullah Baradar dem Rat Khalilzads folgen, muß sich zeigen. Nähme Präsident Ghani die konstruktive Kritik Atmars ernst, müßte auch er der Konferenz beiwohnen oder zumindest eine eigene Delegation hinschicken.

4. März 2019


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