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HISTORIE/336: Libanon - Kriegsbündnisse ... (SB)


Libanon - Kriegsbündnisse ...


Angeblich stehen Israel und der Libanon kurz davor, in direkte Verhandlungen über eine Beilegung des Kriegszustands und eine Verwandlung ihrer brüchigen Feuerpause in einen dauerhaften Frieden einzutreten. Gegenstand der Verhandlungen, die demnächst unter der formellen Aufsicht der Vereinten Nationen stattfinden sollen, ist der Verlauf sowohl der Land- als auch der gemeinsamen Seegrenze. Acht Jahre mühseliger Diplomatie der USA haben die Annäherung zwischen Beirut und Tel Aviv ermöglicht. Hier agiert Washington nicht zuletzt im Interesse der eigenen Energiekonzerne, denn gelingt es, die Streitigkeiten im östlichen Mittelmeer über die jeweilige staatliche Wirtschaftszone zu beenden, könnte im großen Stil mit der Ausbeutung der gigantischen Öl-und Gasreserven begonnen werden.

Gleichzeitig werden die Verhandlungen jedoch durch den plumpen Versuch der USA, im Rahmen besagter Gespräche auch eine Entwaffnung der schiitischen Hisb-Allah-Miliz herbeizuführen, welche Washington und Tel Aviv seit Jahren als "Terrororganisation" brandmarken, gefährdet. Vor der Fortsetzung solcher Machenschaften hat Hisb-Allah-Chef Hassan Nasrallah die Regierung von US-Präsident Donald Trump bei einer Fernsehrede am 31. Mai gewarnt. Während er einerseits die Unterstützung der Hisb Allah für direkte Friedensverhandlungen zwischen Israel und dem Libanon beteuerte, verwahrte sich Nasrallah andererseits gegen die aus seiner Sicht unzulässige Einmischung der USA in die libanesische Innenpolitik und wies dabei Behauptungen aus Israel, die Hisb-Allah-Miliz verfüge bereits über eigene Raketenfabriken, entschieden zurück: "Die Amerikaner haben hier nichts mitzureden. Wir haben das Recht auf Waffen, um unser Land zu verteidigen, und auch das Recht, diese Waffen selbst herzustellen", so Nasrallah.

Seit Jahren läßt Israel immer wieder Ziele in Syrien von seinen Kampfjets unter dem Vorwand, Lieferungen ballistischer Raketen aus dem Iran an die Hisb Allah zu verhindern, angreifen und beruft sich dabei jedesmal auf das Recht auf Selbstverteidigung. Im Sommer 2006 haben sich Israel und die Hisb Allah einen kurzen - er dauerte lediglich einen Monat - aber heftigen Krieg geliefert. Bei den Gefechten an der Grenze kamen 121 israelische Militärangehörige und mehrere hundert Hisb-Allah-Kämpfern ums Leben. Infolge des massiven Bomben- und Raketeneinsatzes starben 44 israelische und 1191 libanesische Zivilisten. Die Diskrepanz bei den Opferzahlen resultierte aus der größeren militärischen Schlagkraft der israelischen Streitkräfte, die damals im Rahmen der sogenannten "Daniyeh-Doktrin" wenig bis gar keine Rücksicht auf die libanesische Zivilbevölkerung nahmen.

In einem Artikel, der am 31. Mai online erschienen ist, enthüllte The Intercept hochinteressante, bisher unbekannte Einzelheiten aus dem Archiv Edward Snowdens über die umfangreiche Zusammenarbeit zwischen den israelischen und amerikanischen Geheimdiensten während des Libanonkriegs vor dreizehn Jahren. Aus den Dokumenten geht die Verzweiflung der israelischen Seite deutlich hervor, daß man ungeachtet der eigenen Brutalität und der Zerstörung weiter Teile der libanesischen Infrastruktur, vor allem im Raum Beirut, nicht in der Lage gewesen ist, die Hisb Allah zur Kapitulation zu zwingen und deren Abfeuern von Raketen über die gemeinsame Grenze hinweg zu unterbinden. Noch während des Krieges sahen die Israelis den Nimbus der eigenen Unbesiegbarkeit verschwinden, was ihnen sehr zu schaffen machte.

Darum wandte sich, je länger der Krieg andauerte, die Israeli SIGINT National Unit (ISNU) um so drängender an den amerikanischen Schwesterdienst National Security Agency (NSA) mit der dringenden Bitte um Erkenntnisse, mittels derer man der Hisb Allah vielleicht doch noch den entscheidenden Schlag versetzen könnte. Dies geht aus einer NSA-Studie des Konflikts aus demselben Jahr hervor, aus der im Artikel des Intercepts ausgiebig zitiert wird. Demnach habe der Konflikt mit der Hisb Allah die ISNU derart an "die Grenze ihre technischen Fähigkeiten und ihre Ressourcen gebracht", daß man rasch keine andere Möglichkeit sah, als sich an den großen Bruder in Fort Meade, Maryland, zu wenden. Dazu heißt es in der Studie vom Oktober 2006: "Die Abhängigkeit der ISNU von der NSA war erheblich und bezog sich auf Bitten um zeitnahe Informationen der Aufgabenerteilung und Bedrohungserkennung, darunter taktische Zielvorgaben sowie geographische Angaben zu Hisb-Allah-Personen und -Zielen".

Für die NSA wurde die Zusammenarbeit mit dem ISNU jedoch problematisch, denn die Weitergabe von Geheimdiensterkenntnissen an einen anderen Staat, damit dessen Vertreter gezielte Tötungen durchführen können, war - und ist bis heute - illegal. ISNU-Chef Dani Harari wußte um die gesetzlichen Einschränkungen bei der NSA, drängte aber dennoch auf ihre Umgehung mit dem Argument, das Verbot der Weitergabe der von Tel Aviv erwünschten Informationen stehe "im Widerspruch nicht nur zur Unterstützung Israels bei seinem Kampf gegen die Hisb Allah, sondern auch zu den Zielen des globalen Antiterrorkriegs der USA". Am Ende setzten sich die Israelis mit ihrer Forderung nach der bedingungslosen Solidarität der USA durch. Das Office of the Director of National Intelligence (ODNI) arbeitete eine Regelung aus, die zu Kriegszeiten das gesetzliche Verbot der Weitergabe solcher personenbezogenen Informationen aufhebt. Diese Regelung, deren Existenz bis zur Veröffentlichung des besagten Intercept-Artikels geheim geblieben war, soll noch heute in Kraft sein.

5. Juni 2019


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