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JUSTIZ/639: Niederlage Obamas im Rechtsstreit um NSA-Überwachung (SB)


Niederlage Obamas im Rechtsstreit um NSA-Überwachung

Obama verteidigt Bushs Vorstellung von der imperialen Präsidentschaft


Wer nach der Wahl des als liberal geltenden Demokraten Barack Obama eine grundlegende Abkehr der USA vom Imperialismus in der Außenpolitik und von zunehmender polizeistaatlicher Überwachung im Innern erwartet hat, sieht sich dieser Tage getäuscht. Zwar will Obama das umstrittene Internierungslager Guantánamo Bay auf Kuba schließen, sich um eine Lösung des Nahostkonfliktes kümmern und sich mehr mit den Verbündeten abstimmen, doch auch nach dem angekündigten, bis August 2010 abzuschließenden "Truppenabzug" aus dem Irak sollen dort rund 50.000 amerikanische Soldaten stationiert bleiben, während Obama vor wenigen Tagen 17.000 Armeeinfanteristen und Marines zum Kampf gegen die Taliban in Afghanistan entsandt hat und die CIA-Angriffe auf "terroristische" Ziele in Pakistan verstärkt.

Immer deutlicher stellt sich die versprochene Abkehr der Obama-Regierung vom "Antiterrorkrieg" des Republikaners George W. Bush als Etikettenschwindel heraus. In Februar hat das Justizministerium unter dem neuen Attorney General Eric Holder vor unterschiedlichen Gerichten die Zurückweisung der Klage mehrerer Guantánamo-Häftlinge gegen ein am CIA-Programm der "Folterflüge" beteiligtes Boeing-Subunternehmen aus Gründen der "nationalen Sicherheit" gefordert und sich gegen die Zulassung der Klage einiger Gefangener des berüchtigten Kerkers auf dem Gelände des US-Militärflughafens Bagram in Afghanistan nach der Habeaskorpusakte ausgesprochen. Damit hat man in beiden Fällen einen mit dem der Bush-Administration identischen Standpunkt vertreten.

Was die völlig überzogenen, angeblich zum Schutz vor "Terrorismus" ergriffenen Überwachungsmaßnahmen im Innern betrifft, ist auch keine Besserung in Sicht. Wie die Washington Post am 27. Februar berichtete, hat Obama in den letzten Wochen in mehreren zum Teil vertraulichen Präsidialdirektiven den "expansivsten" Ausbau des Nationalen Sicherheitsrats seit dem Zweiten Weltkrieg initiiert. Künftig soll dieses dem Präsidenten unterstellte Gremium auch mit Bedrohungen der Nationalen Sicherheit Amerikas in den Bereichen Wirtschaft, Klima, Energie und Internet befassen. Zu diesem Zweck gehören künftig automatisch die Minister für Justiz, Energie und Heimatschutz sowie der UN-Botschafter dem Nationalen Sicherheitsrat an. Was die sogenannte "Cybersecurity" betrifft, so hat am 25. Februar Admiral a. D. Dennis Blair, der neue Director of National Intelligence (DNI), bei einem Auftritt vor dem Kongreß dafür plädiert, der National Security Agency (NSA) die Verantwortung für den Schutz der amerikanischen Telekommunikationsinfrastruktur zu übertragen.

Ursprünglich war die in Fort Meade, Maryland, ansässige NSA in erster Linie für die Gewinnung militärischer Erkenntnisse auf dem elektronischen Wege da. Während des Kalten Krieges war die NSA hauptsächlich mit äußeren Feinden wie der Sowjetunion beschäftigt. Abhörmaßnahmen der NSA im Innern durften nur nach Erteilung eines entsprechenden Durchsuchungsbefehls des 1978 unter dem Eindruck des Watergate-Skandals nach dem Federal Intelligence Surveillance Act (FISA) geschaffenen Sondergerichts durchgeführt werden. Als im Dezember 2005 die New York Times publik machte, Bush jun. hätte bereits 2001 per Geheimerlaß der NSA den Befehl zur Spionage im Innern ohne richterliche Genehmigung erteilt, löste die Nachricht eine heftige, jahrelange Kontroverse aus.

John Dean, der frühere Rechtsberater Richard Nixons, der selbst beim Watergate-Skandal eine führende Rolle gespielt hatte, forderte ein Amtsenthebungsverfahren gegen Bush, weil sich dieser mit jenem Befehl einen offenen Verstoß gegen die Verfassung und das Gesetz geleistet hatte. Diverse Menschenrechtsorganisationen, Anwaltsvereinigungen und Privatpersonen haben die mutmaßlich am NSA-Programm beteiligten Telekomunternehmen wegen Verletzung der Privatsphäre angeklagt und Schadensersatz in Milliardenhöhe gefordert. Um die ganze Affäre aus der Welt zu schaffen, haben im Sommer letzten Jahres auf Drängen des Weißen Hauses Repräsentantenhaus und Senat ein Gesetz verabschiedet, das den betroffenen Telekom-Unternehmen rechtliche Immunität gewährt. Für das Gesetz stimmte - entgegen anderslautender Erklärungen - auch der damalige Präsidentschaftskandidat der Demokraten, der Noch-Senator aus Illinois, Barack Obama.

Mit der Verabschiedung des Gesetzes und seiner anschließenden Unterzeichnung durch Bush wurden auf einmal fast alle Klagen gegen die Telekom-Unternehmen gegenstandslos - unter anderem deshalb, weil die Kläger lediglich mit begründetem Verdacht die Gerichte angerufen hatten und erst im Verlauf der juristischen Auseinandersetzung die Herausgabe der Dokumente bzw. Aufnahme der Aussagen erwirken wollten, welche die Mißachtung ihrer Rechte beweisen sollten. Für eine einzige Klage trifft dies nicht zu, nämlich für die von Wendell Belew und Asim Ghafoor, den früheren Anwälten der in Oregon ansässigen Dependence der Wohltätigkeitsvereinigung Al Haramain Islamic Foundation. 2004 hatte das Finanzministerium in Washington die islamische, von Saudi-Arabien unterstützte Wohltätigkeitsvereinigung zu einer Organisation erklärt, die den "Terrorismus" fördert, und ihre Konten gesperrt. Kurz danach haben die Anwälte der Gruppe von den Behörden Dokumente zugestellt bekommen, aus denen eindeutig hervorging, daß ihre Telefonate abgehört wurden. Sechs Wochen später haben die Behörden die fraglichen Dokumente zu staatlichem Geheimmaterial erklärt und zurückgefordert, dem die Vertreter der inzwischen eingegangenen Al-Haramain-Stiftung Folge leisteten.

Nichtsdestotrotz sind Belew und Ghafoor die einzigen Personen derzeit in den USA, die aufgrund des Einblicks in besagte Dokumenten beweisen könnten, daß sie von der NSA illegalerweise, weil ohne richterliche Genehmigung, ausspioniert wurden. Hinzu kommen Hinweise, daß sich die NSA-Spionageoperation im Innern nicht ausschließlich gegen Personen richtete, die Kontakte zu "Terroristen" im Ausland hatten, und nicht erst nach dem Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001, sondern bereits unmittelbar nach der Amtsübernahme durch die Bush-Regierung Ende Januar desselben Jahres ihren Lauf nahm. Deshalb ist die Klage der Al-Haramain-Stiftung vor dem 9. U.S. Circuit Court of Appeals in San Francisco von so großer Bedeutung.

In einem schriftlichen Antrag, der am 25. Februar dem zuständigen Richter Vaughn Walker zugestellt wurde, hat das Justizministerium unter Verweis auf das Immunitätsgesetz vom letzten Jahr die Zurückweisung der Klagen Belews und Ghafoors gefordert. Nur zwei Tage später hat die Obama-Regierung eine schwere Niederlage erlitten, als Richter Walker die Argumente des Justizministeriums hinsichtlich einer Gefährdung der nationalen Sicherheit zurückwies und die Klage von Belew und Ghafoor zuließ. Nach diesem Urteil sollen die Anwälte der Kläger unter bestimmten Bedingungen Zugang zu den besagten Dokumenten erhalten, um ihre Argumente hinsichtlich einer Gesetzesübertretung belegen zu können. Gegen diese Entscheidung Walkers hat das Justizministerium seinerseits bereits Revision angekündigt. Im Mittelpunkt des eskalierenden Streits steht weniger die nationale Sicherheit Amerikas, als vielmehr die überbordende Machtbefugnis des Präsidenten, die sich Bush während seiner achtjährigen Amtszeit angemaßt hat und die Obama offenbar verteidigen will.

2. März 2009