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JUSTIZ/677: Ob Bush oder Obama - gefoltert wird weiter (SB)


Legalisierung der Folter setzt sich unvermindert fort


In der Ägide George W. Bushs wurde Folter in staatlichem Auftrag salonfähig gemacht. Der US-Administration ging es im Kontext des weltweiten "Antiterrorkriegs" darum, Waterboarding und andere Foltertechniken zu legalisieren, um ihr Arsenal umfassender Verfügung zu komplettieren. Bagram, Abu Ghraib, Guantánamo und zahlreichen weiteren bekannten und unbekannten Schreckensstätten juristische Unbedenklichkeit zu bescheinigen, bedurfte einer Rechtsförmigkeit des Regierungshandelns, die durch systematische Zerschlagung geltender Normen und Übereinkünfte herbeigeführt werden mußte. In enger Abstimmung fabrizierten Regierungsberater und Justizministerium jene berüchtigten Memoranden, die den Folterbegriff neu faßten. Als Vertreter des Justizministeriums erklärte der hochrangige Jurist John Yoo gemeinsam mit Jay S. Bybee in einem Memorandum vom 1. August 2002 das Handeln von Regierung und Geheimdiensten für rechtmäßig, wenn diese "harsche Verhörmethoden" in Auftrag gaben oder anwendeten, sofern es dabei nicht zu Organversagen, Tod oder dauerhaftem psychischen Schaden kommt. Darüber hinaus handle es sich nicht um Folter, sofern der bestimmte Vorsatz fehlt, extremen Schmerz zuzufügen.

Daraus folgt, daß im Zuge eines Verhörs, bei dem es vorrangig um die Erlangung von Informationen geht, per Definition gar nicht gefoltert werden kann. Auf diese Weise wurde die weithin vorgetragene Rechtfertigung der Folter im Dienst eines vorgeblich guten Zwecks auf einer höheren Ebene befestigt: Bei Vorliegen eines guten Zwecks könne es sich bei den angewandten Verhörmethoden gar nicht um Folter handeln. Der US-Administration ging es nicht zuletzt darum, juristische Einwände dauerhaft aus dem Feld zu schlagen, die andernfalls die Folterpraxis beeinträchtigen und die Strafverfolgung der Täter und ihrer Auftraggeber ermöglichen könnten.

Der damalige Vizepräsident Dick Cheney verteidigte die Anwendung "harscher Befragungsmethoden" bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit der unüberprüfbaren Behauptung, auf diese Weise habe man Tausende, wenn nicht gar Hunderttausende Menschenleben gerettet. Diese Art des Verhörs, dem fast alle festgenommenen Al-Kaida-Mitglieder unterzogen worden seien, habe dazu geführt, daß seit Jahren kein weiterer Anschlag mit zahlreichen Opfern auf die Vereinigten Staaten mehr verübt worden sei. Dies entsprach der Logik der selbst generierten und inszenierten "Terrorgefahr", Greueltaten im Dienst weltweiter Herrschaftssicherung mit dem fiktiven Resultat angeblich verhinderter Anschläge oder der Prävention künftiger Angriffe zu rechtfertigen.

Als Kandidat im Präsidentschaftswahlkampf hatte Barack Obama kategorisch erklärt, er lehne Folter ohne jede Einschränkung ab. Wenige Wochen im Amt unterzeichnete er eine präsidiale Anweisung, die Folter und unmenschliche Behandlung untersagte. Damit war der Vorrat an Wahlversprechen und guten Absichten aufgebraucht, denn in der Folge zeichnete sich immer deutlicher ab, daß seine Administration das Folterregime ihres Vorgängers konsolidierte. Im Frühjahr 2010 befand das Justizministerium, daß den Rechtsberatern der Vorgängerregierung allenfalls eine Fehleinschätzung, doch keinesfalls ein ehrenrühriges Verhalten anzulasten sei. Diese Bewertung war wegweisend, attestierte sie doch den führenden Türöffnern der Folter in Juristenkreisen, sie hätten sich keines professionellen Fehlverhaltens schuldig gemacht. Erteilte man Yoo, Bybee und Konsorten de facto einen Freispruch, so galt das automatisch auch für die Bush-Regierung und die Folterknechte vor Ort.

Die Obama-Regierung setzte die Praktiken der Bush-Ära fort und weitete sie aus. Guantánamo wurde nicht geschlossen, die CIA erhielt grünes Licht, Staatsbürger der USA zu liquidieren, die im Verdacht stehen, Verbindungen zum "Terrorismus" zu unterhalten, und alle Versuche von Gefangenen in Afghanistan, gerichtlich gegen ihre Inhaftierung ohne Prozeß vorzugehen, wurden abgeblockt. Von juristischer Seite erhielt die Administration einen weiteren Freibrief, die Entführungspraktiken der CIA abzusegnen, als der US Ninth Circuit Court of Appeals im September 2010 die Anwendung der Doktrin des "Staatsgeheimnisses" durch die Obama-Regierung bestätigte.

Mit dünner Mehrheit von sechs gegen fünf Stimmen wurde die Annahme der Klage gegen die Boeing-Tochter Jeppesen Dataplan Inc. zurückgewiesen, die nachweislich an Folterflügen der CIA beteiligt war. Die American Civil Liberties Union hatte die Klage im Mai 2007 im Namen von fünf ehemaligen Gefangenen angestrengt. Im April 2009 befand ein Gremium von drei Richtern des Ninth Circuit, daß die Klage als ganze weiterverhandelt werden sollte. Nun trug die Exekutive mit ihrer Auffassung den Sieg davon, daß das Verfahren insgesamt einzustellen sei und nicht etwa nur jene Teile ausgeklammert blieben, die ausdrücklicher Geheimhaltung unterliegen. Damit schlug das Gericht einen der letzten verbliebenen Hoffnungsschimmer im staatlichen Auftrag gefolterter Menschen aus dem Feld. Während Folterern volle Immunität gewährt wurde, verweigerte man Folteropfern die Gerichtsbarkeit.

Obgleich einem Bericht der Zeitschrift The New Yorker zufolge ein leitender Angestellter der Firma Jeppesens bei einer internen Besprechung offen eingeräumt hat, daß man die Folterflüge für die CIA durchführe, was ein Zeuge sogar unter Eid bestätigte, argumentierte das Gericht, daß dieses Unternehmen so gut wie keine Angaben über diesbezügliche Verfahrensweisen machen könne, ohne dabei Informationen über verdeckte Operationen der US-Regierung preiszugeben. Deshalb dürfe dieser Fall aus Gründen der gebotenen Geheimhaltung nicht verhandelt werden. Damit bestätigte sich einmal mehr die Kumpanei von US-Administration, in- und ausländischen Geheimdiensten, privaten Sicherheitsdienstleistern und Justiz, weiterhin ungestraft Menschen zu verschleppen, in Geheimgefängnissen einzukerkern und zu foltern.

Justizminister Eric Holder hatte 2009 den Staatsanwalt John Durham damit betraut, als Sonderermittler die international kritisierten Verhörmethoden der CIA während der Amtszeit des früheren Präsidenten George W. Bush zu überprüfen. Mitte Juni 2011 begann Durham damit, Zeugen vor einen Ermittlungsausschuß zu laden, darunter US-Soldaten, die damals in Abu Ghraib Dienst taten. Anfang Juli 2011 lobte der scheidende CIA-Chef Leon Panetta den Justizminister mit den Worten: "Endlich werden wir nun dieses Kapitel unserer Geschichte schließen." An seinem letzten Tag als Direktor des US-Geheimdienstes begrüße er die Nachricht, "dass wir die umfassenden Ermittlungen hinter uns haben". Tags zuvor hatte Holder angekündigt, er werde die Ermittlungen über Folter durch CIA-Agenten fallenlassen, da eine umfassende Untersuchung der noch offenen Fragen nicht gerechtfertigt sei. Lediglich in zwei derartigen Fällen wolle die US-Justiz weiter ermitteln. Die Entscheidung sei nach einer zweijährigen Prüfung von 101 Fällen getroffen worden, in denen Verdächtige von der CIA verhört worden sind, erklärte der Justizminister. Das läuft auf eine Absolution hinaus: Niemand hat gefoltert, weil die praktizierten Foltermethoden für legal erklärt worden sind und daher nicht mehr als solche bezeichnet werden.

Die extreme Rechtsverdrehung der Bush-Ära setzte sich auch unter Obama fort, als hochrangige Gerichte befanden, daß Gefangene im Lager Guantánamo als "Fremde ohne Anwesenheit oder Besitz in den USA" keinen Rechtsanspruch hätten, der Verfassung gemäß nicht gefoltert zu werden. Hätten sie aber dieses Recht, gäbe es dennoch keinen Grund, warum der frühere Verteidigungsminister Donald Rumsfeld oder andere militärische Führer sich dessen hätten bewußt sein müssen. Demzufolge genössen diese Immunität vor Strafverfolgung. Zwar verwies der Supreme Court die Klärung der Frage, welchen Status die Gefangenen in Guantánamo haben, an die niedrigere Instanz zurück, doch ging es dabei zunächst nur um das Recht, mit juristischen Mitteln gegen ihre Inhaftierung vorzugehen. Was die Folter betraf, setzte sich die Obama-Administration vorerst mit ihrer Auffassung durch, daß nicht hinreichend geklärt sei, ob die Verfassung die Folter von Ausländern verbiete. Ein verantwortungsbewußter Mitarbeiter des Gefängnisses käme daher nicht zu dem Schluß, daß den Insassen Guantánamos während ihrer Haft solche verfassungsmäßigen Rechte zustehen. [1]

Hatte Obama als Bewerber um den Einzug ins Weiße Haus noch eine gründliche Untersuchung, ob Gefangene mißhandelt worden seien, in Aussicht gestellt, so verlieh er nach seiner Wahl der Überzeugung Ausdruck, daß man nun vorwärts und nicht rückwärts blicken müsse. Keine Strafverfolgung von Folterern, keine Wahrheitskommission zur umfassenden Untersuchung des Komplexes, keine Prozesse von Folteropfern gegen die Täter - Obama hat alles unterlassen, was auf ein Folterverbot hinauslaufen könnte. So wurde niemand wegen Folter verurteilt, woran sich nach menschlichem Ermessen auch nichts ändern wird. Die derzeit aussichtsreichsten Kandidaten der Republikaner sind ohnehin der Auffassung, daß man als Protagonist der Folter erfolgreich auf Stimmenfang gehen kann. Rick Perry erklärte, er würde als Präsident jede Maßnahme unterstützen, die geeignet sei, "junge Leben zu schützen". Es herrsche Krieg, und so etwas passiere nun einmal im Krieg. Und Mitt Romney versicherte, harsche Befragungstechniken müßten angewendet werden - "keine Folter, aber harsche Befragungstechniken". Grundsätzlich warnte die Obama-Administration vor einer Einmischung der Gerichte in Fragen der nationalen Sicherheit, der Streitkräfte und der Außenpolitik, die allein Sache der politischen Institutionen und Gremien seien: Nicht die Gerichte, sondern die Exekutive entscheidet, ob Gefangene gefoltert werden oder nicht, lautet die klare Botschaft des Ermächtigungsstaats. Ob Präsident Obama im kommenden Jahr die Wiederwahl gelingt oder nicht - gefoltert wird weiter.

Fußnote:

[1] http://campaignstops.blogs.nytimes.com/2011/11/21/tortures-future/

22. November 2011