Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

JUSTIZ/687: Antidrogenkrieg wird international zum Auslaufmodell (SB)


Antidrogenkrieg wird international zum Auslaufmodell

In Großbritannien und den USA hat das Nachdenken endlich eingesetzt



Mehr als vierzig Jahre nach der Ausrufung durch US-Präsident Richard Nixon wird der sogenannte Antidrogenkrieg langsam aber sicher zum Auslaufmodell. Die Kosten - verursacht durch Gefängnisse voller Rauschgiftkonsumenten, Verbreitung des HIV-Virus und anderer schwerer Krankheiten, Anschaffungskriminalität durch Süchtige und Abertausende Tote jährlich infolge brutalster Bandenkriege um das Geschäft mit der illegalen Ware - übersteigen dessen gesellschaftlichen Nutzen. Nachdem die Europäer - Niederlande, Spanien, Portugal, die Schweiz - mit der Abkehr von der verfehlten Politik begonnen haben und den Genuß von Marihuana nicht mehr unter Strafe stellen sowie Heroin-Konsumenten nicht mehr als Verbrecher ansehen, sondern als Suchtkranke anerkennen, ziehen die lateinamerikanischen Staaten nun nach. 2013 hat die Organisation of American States (OAS) im kolumbianischen Bogota eine 400seitige Studie veröffentlicht, in der die "Entkriminalisierung des Drogenkonsums als Kernelement der öffentlichen Gesundheitspolitik" vorgestellt wurde.

Inzwischen geht sogar in den USA der Glaube an eine polizeilich-militärische Lösung des "Drogenproblems" verloren. Präsident Barack Obama, der um seine Vorbildfunktion als Vater zweier Mädchen weiß, räumte im vergangenen Jahr ein, für ihn sei Marihuana weniger gesundheitsgefährdend als Alkohol. Die Äußerung Obamas fiel im Zusammenhang mit den Volksbefragungen in den Bundesstaaten Colorado und Washington, wo im vergangenen Herbst jeweils eine Mehrheit der Bürger für die Entkriminalisierung des Marihuana-Konsums votierte. Jene Entwicklung hat Obamas Justizminister Eric Holder unter Verweis auf den "Teufelskreis aus Armut, Kriminalität und Inhaftierung, in dem zu viele Amerikaner stecken geblieben sind und der zu viele Gemeinden schwächt", zu einer grundsätzlichen Infragestellung der in den letzten vier Jahrzehnten angewendeten Suchtpräventionspolitik veranlaßt.

Die Bundesregierung in der Hauptstadt Washington D. C., obwohl ursprünglich gegen die Bürgerinitiativen in Arizona und Washington, hat sich mit der veränderten Lage arrangieren müssen. Holders Justizministerium hat verlauten lassen, den regulierten Markt für Marihuana in den beiden Bundesstaaten tolerieren zu wollen, solange bestimmte Prinzipien wie kein Verkauf an Minderjährige, Lizensierung der Geschäftsinhaber, keine Beteiligung krimineller Elemente am Rauschmittelhandel, Transparenz der Geldflüsse usw. eingehalten werden. Inzwischen macht dieselbe Koalition aus Parteiunabhängigen, Liberaldemokraten und Tea-Party-Republikanern in Alaska, Arizona und Kalifornien, dem mit 38 Millionen Menschen bevölkerungsreichsten US-Bundesstaat, mobil. Laut Umfragen gibt es gute Chancen, daß auch hier eine Mehrheit für eine Lockerung der Drogengesetzgebung stimmt.

Wollte sich früher kaum ein Politiker in den westlichen Industriestaaten aus Angst, als Befürworter von Rauschgiftkonsum hingestellt zu werden, gegen den Antidrogenkrieg aussprechen, so gehört es sich inzwischen fast zum guten Ton, sich als jemand in diesem Themenbereich zu präsentieren, der über den gesellschaftlichen Tellerrand sehen kann und sich keine Denkverbote auferlegen läßt. So hat sich Rick Perry, der republikanische Gouverneur von Texas, wo normalerweise Law-and-Order-Populismus bei den Wählern gut ankommt, vor zwei Wochen auf dem Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos für eine Entkriminalisierung des Drogenkonsums und für eine Politik ausgesprochen, "welche junge Menschen davor bewahrt, im Gefängnis zu landen und ihr Leben zu ruinieren". Am 9. Februar hat Nick Clegg, Chef der britischen Liberaldemokraten und Vizepremier einer Koalitionsregierung mit den Konservativen um Premierminister David Cameron, in einem Gastbeitrag für die Sonntagszeitung Observer die Einberufung einer Royal Commission durch das Parlament in London gefordert, die neue Wege in der Drogenpolitik des Vereinigten Königreiches erarbeiten sollte. In diesem Zusammenhang brachte Clegg die Hoffnung zum Ausdruck, daß es auf der Sondertagung der Vereinten Nationen 2016 zum Thema Drogen zu einem grundlegenden Kurswechsel weg von der bisherigen, gescheiterten Prohibitionspolitik kommen wird.

Wie sehr die Antidrogenpolitik im Ausgangsland des ganzen Kreuzzugs an Glaubwürdigkeit verloren hat, zeigt der peinliche Auftritt Michael Botticellis, des Stellvertretenden Direktors des Office of National Drug Control Policy im Weißen Haus, am 4. Februar vor dem Committee on Oversight and Government Reform des US-Repräsentantenhauses in Washington. Auf die Frage von Earl Blumenauer, einem Abgeordneten der Demokraten aus Oregon, welche der vier Substanzen Marihuana, Kokain, Chrystal Meth und Alkohol eine größere Gefahr für die Gesundheit darstelle, gab Botticelli nur ausweichende Antworten. Als Blumenauer die Frage präzisierte und wissen wollte, ob Botticelli Marihuana als genauso gefährlich einstufe wie Kokain und Chrystal Meth, erklärte Obamas stellvertretender Anti-Drogen-"Zar", daß die Befragung auf eine Verharmlosung des Hanfkonsums hinauslaufe.

Daraufhin platzte Blumenauer der Kragen. Er warf Botticelli Sophisterei vor. "Wenn ein Experte wie Sie nicht offen sagen kann, was jedes Kind auf der Straße und jedes Elternteil weiß, daß Meth gefährlicher ist als Marihuana, dann erklärt das vielleicht, warum es uns nicht gelingt, die Leute über die tatsächlichen Gefahren aufzuklären. ... Wenn der Stellvertretende Direktor des Office of Drug Policy diese Frage nicht beantworten kann, wie wollen Sie die Kinder auf der High School dazu bringen, Sie ernstzunehmen?", so Obamas Parteikollege. Die Hilflosigkeit Botticellis während der Anhörung vor dem Kongreß, über die sowohl national als auch international berichtet wurde, hat einen einfachen Grund. Es gibt tatsächlich kaum noch jemanden, der den bisherigen Ansatz inbezug auf Rauschmittel ernst nimmt.

10. Februar 2014