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JUSTIZ/693: 9/11-Prozeß in Guantánamo von der CIA unterwandert? (SB)


9/11-Prozeß in Guantánamo von der CIA unterwandert?

Dolmetscher wohnte Folter von "Terrorverdächtigen" im Ausland bei


Am 9. Februar sollte es auf dem US-Militärstützpunkt Guantánamo Bay auf Kuba im Prozeß gegen die fünf mutmaßlichen Beteiligten der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 zur ersten Anhörung seit August vergangenen Jahres und damit seit der Veröffentlichung der 540seitigen Zusammenfassung des vertraulichen, mehr als 6.700 Seiten starken Berichtes des Geheimdienstausschusses des US-Senats zum Thema CIA-Folter während der Präsidentschaft von George W. Bush am 9. Dezember kommen. (Der "Torture Report", über dessen Veröffentlichung die CIA und führende Senatoren über Monate dermaßen heftig gestritten hatten, daß sie sich gegenseitig beim Justizministerium wegen Ausspionierens anzeigten, hat in den USA die Debatte um die Anwendung von Folter bzw. "erweiterte Vernehmungsmethoden" gegen "Terroristen" neu entfacht.) Doch nach nur wenigen Minuten sah sich der zuständige Richter, Oberst James L. Pohl, gezwungen, die Anhörung bis auf weiteres auszusetzen, weil vier der fünf Angeklagten einen der Dolmetscher der Verteidigung als CIA-Mitarbeiter identifiziert hatten, den sie aus ihrer Zeit in einem der "black sites", das heißt in den geheimen Foltergefängnissen des US-Auslandsgeheimdienstes im Übersee, kannten.

Seit 2012 wird in Guantánamo unter enormen Aufwand dem Pakistaner Khalid Sheikh Mohammed (KSM), dem mutmaßlichen Chefplaner des 9/11-Komplotts, dem Jemeniten Ramsi Binalschibh, der mit Mohammed Atta, dem angeblichen Anführer der 19 mutmaßlichen Flugzeugentführer, in der Harburger Marienstraße wohnte und dessen Verbindungsmann zur Al-Kaida-Führung gewesen sein soll, dem Jemeniten Walid Bin Attash, der in Afghanistan ein Ausbildungslager für Dschihadisten geführt haben soll, dem Saudi Mustafa Ahmad Al Hawsawi, der die angeblichen Hijacker mit westlicher Kleidung, Geld, Reisechecks und Kreditkarten versorgt haben soll, und dem pakistanischen Neffen von KSM, Ali Abd Al Asis Ali, der ebenfalls die Operation finanziell unterstützt haben soll, der Prozeß gemacht. Den fünf Angeklagten wird Mord in 2.976 Fällen und die Teilnahme an einer terroristischen Verschwörung zur Last gelegt.

Bereits im April 2014 kam beim Guantánamo-Prozeß der Vorwurf der Unterwanderung auf, nachdem bekannt geworden war, daß das FBI, das Bundespolizei und Inlandsgeheimdienst in einem ist, einen Datenschutzbeauftragten von Binalschibhs Verteidigungsteam - Mitarbeiter des privaten Sicherheitsunternehmens SRA International - zu Hause besucht und versucht hatte, ihn als Informanten anzuwerben. Nur weil unmittelbar darauf der Mann Binalschibhs Anwalt, James Harrington, von dem Vorfall in Kenntnis setzte und ihm eine Kopie des Formulars vorlegte, das er als informeller Mitarbeiter (IM) des FBI hätte unterzeichnen sollen, wurde der Vorfall überhaupt bekannt.

Binalschibh war es auch, der zum Auftakt der jüngsten Verhandlungen auf die Anwesenheit einer Person mit CIA-Vergangenheit im Gerichtssaal aufmerksam machte. Eigentlich sollte an diesem Tag Staatsanwalt Fernando Campoamor-Sanchez dem Gericht den Standpunkt des Justizministeriums bezüglich des gescheiterten Versuchs des FBI, den Mitarbeiter der Verteidigung von Binalschibh als Informanten heimlich anzuwerben, erläutern. Doch dazu kam es nicht. Die Verteidigungsteams aller fünf Angeklagten protestierten gegen den erneuten Unterwanderungsversuch - diesmal durch die CIA - aufs Schärfste. Cheryl Borman, Pflichtverteidigerin von Attash, beschwerte sich bei Richter Pohl, ihr Mandant sei "sichtlich erschüttert", einer Person im Hochsicherheitsgerichtssaal zu begegnen, die er aus der Zeit seiner "illegalen Folterung" kenne. Borman erklärte, die Tatsache, daß ein früherer Mitarbeiter der "black sites" der CIA beim 9/11-Prozeß in Guantánamo Bay als Dolmetscher arbeite, stelle entweder "den größten Zufall aller Zeiten" oder "Teil eines Musters der Unterwanderung der Verteidigungsteams" dar. Dies berichtete Carol Rosenberg am selben Tag aus Guantánamo in einem Online-Artikel für den Miami Herald.

Am 10. Februar hat Pentagonsprecher Oberstleutnant Myles Caggins bestätigt, daß der fragliche Dolmetscher in der Vergangenheit für die CIA gearbeitet hatte. Laut Caggins hat die Person, die offenbar für ein privates Dienstleistungsunternehmen arbeitet, bei der Bewerbung kein Geheimnis aus ihrer früheren Tätigkeit für die CIA gemacht. Darüber hinaus behauptete Caggins, das Verteidigungsministerium sei nicht für die personelle Ausstattung der Verteidigung beim 9/11-Prozeß verantwortlich, das regelten die Anwälte der Angeklagten selbst. Doch so stimmt das nicht. Die Anwälte der Angeklagten können die Mitarbeiter, die sie nach Guantánamo mitnehmen, nicht selbst bestimmen, sondern müssen unter einer Gruppe von Personen, die nach Vorgaben von Pentagon, CIA und FBI die notwendige Sicherheitsüberprüfung bestanden haben, eine Auswahl treffen.

Zur jüngsten Entwicklung hieß es in einer Meldung der Nachrichtenagentur Associated Press vom 10. Februar: "Der Dolmetscher helfe den Militärtribunalen seit 2011 bei Übersetzungen, habe aber erst vor kurzem begonnen, am Binalschibh-Fall zu arbeiten, sagte der ein Anwalt der Verteidigung, James Harrington. Der neue Dolmetscher arbeite beim Binalschibh-Team vorübergehend, um einen anderen Übersetzer zu ersetzen, der zum Rücktritt gezwungen worden sei, nachdem er vom FBI befragt wurde, erklärte Harrington. Weder über die Art noch den Umfang der FBI-Befragung ist bislang etwas öffentlich bekannt worden. Offenbar gehen beim 9/11-Prozeß auf Guantánamo die "Zufälle" niemals aus.

11. Februar 2015


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