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JUSTIZ/699: In Guantánamo landen Anwälte auf der Anklagebank (SB)


In Guantánamo landen Anwälte auf der Anklagebank

Im Cole-Prozeß geraten Richterschaft und Verteidigung aneinander


Im Sonderinternierungslager der US-Marine Guantánamo Bay auf Kuba liegt der amerikanische Rechtsstaat auf dem Sterbebett. Hier werden die Rechte mutmaßlicher "islamistischer Terroristen" mit Füßen getreten, die betroffenen Personen nicht mehr als Menschen, sondern quasi als "Untermenschen" behandelt. Der Prozeß gegen die mutmaßlichen Beteiligten des Komplotts um die Flugzeuganschläge vom 11. September 2001, die zuerst jahrelang in irgendwelchen "black sites" der CIA in Europa und Asien brutal gefoltert und erst 2006 auf Anordnung des damaligen US-Präsident George W. Bush nach Guantánamo überführt wurden, tritt seit Jahren auf der Stelle. 2008 hat das Militärtribunal Anklage erhoben, seitdem findet ein Dauerstreit über Verfahrensfragen statt, in dessen Verlauf herausgekommen ist, daß entlastendes Beweismaterial auf richterliche Anordnung und in Absprache mit der Anklagevertretung, dafür jedoch ohne Wissen der Verteidigung, zerstört wurde.

Die juristischen Gepflogenheiten in Guantánamo Bay sind dermaßen in Willkür ausgeartet, daß inzwischen die Verteidiger zu Beschuldigten und Verurteilten zu geraten drohen, allein durch die Ausübung ihrer Pflicht, für die Einhaltung von Gesetz und Verfassung einzutreten und auf die Weise ihren Mandanten einen "fairen" Prozeß zu gewährleisten. Im Mittelpunkt des jüngsten Skandals dort steht der Prozeß gegen Abd Al Rahim Al Nashiri, dem angeblichen Chefplaner des Anschlags auf den US-Lenkwaffenzerstörer Cole im Hafen von Aden am 12. Oktober 2000. Damals kamen 17 US-Matrosen ums Leben. 2002 wurde Al Nashiri in Dubai festgenommen und verbrachte danach vier Jahre in CIA-Geheimgefängnissen in Afghanistan, Thailand, Polen, Rumänien und Marokko, bevor er nach Guantánamo gebracht wurde. Seit 2011 steht der gebürtige Saudi wegen Kriegsverbrechen unter Anklage. Ihm droht bei einer Verurteilung die Todesstrafe.

In den vergangenen Monaten hatten Al Nashiris drei Pflichtverteidiger, der erfahrene Prozeßanwalt Rick Kammen und dessen Mitarbeiterinnen Rosa Eliades und Mary Spears, die allesamt Zivilisten sind, Hinweise bzw. Informationen erhalten, denen zufolge ihre Gespräche mit Al Nashiri abgehört werden. Am 6. Oktober haben sie deshalb formell Protest gegen den Rechtsbruch angemeldet und ihre Entlassung beantragt. Brigadegeneral John Baker, der Leiter der Abteilung der Verteidigung bei den Military Commissions auf Guantánamo, hat am 11. Oktober den Antrag für begründet befunden, ihm zugestimmt und die Verteidiger entlassen. Dafür hat Baker enormen Ärger mit dem zuständigen Richter im Cole-Prozeß, Luftwaffenoberst Vance Spath, bekommen. Als sich am 31. Oktober Baker weigerte, seine Entscheidung rückgängig zu machen und die Pflichtverteidiger zum Erscheinen zu zwingen, hat ihn Spath wegen angeblicher Mißachtung des Gerichts zu einer Geldstrafe von 1000 Dollar und 21 Tagen Hausarrest verurteilt. Bekannt wurde diese höchst beunruhigende Entwicklung dank Carole Rosenberg, die seit Jahren für die Zeitung Miami Herald ausführlich über die Vorgänge im Hochsicherheitstrakt auf Guantánamo berichtet.

Am 2. November versuchte Spath den Prozeß ohne die drei Pflichtverteidiger, denen er unterstellt, das Verfahren torpedieren zu wollen, fortzusetzen. Gegen das Vorhaben lehnte sich der einzig verbliebene Anwalt der Verteidigung, Alerac Piette, erfolgreich auf. Der junge Marineleutnant erinnerte Spath daran, daß gemäß dem Gesetz ein Beschuldigter, dem die Todesstrafe droht, die Unterstützung durch einen Anwalt zusteht, der Erfahrung in solchen Fällen vorweisen kann. Für Kammen und sein Team träfe das zu, für Piette dagegen nicht. In der Zwischenzeit hatte Baker bei einem Bundesgericht in Washington Klage gegen Spath wegen Kompetenzüberschreitung nach dem Military Commissions Act von 2009 eingereicht. Doch um der Regierung Donald Trump die Peinlichkeit einer gerichtlichen Anhörung in der US-Hauptstadt zu diesem Thema zu ersparen, hat am 3. November der im Pentagon für das Militärtribunal auf Guantánamo zuständige Beamte, Harvey Rishikov, das Urteil gegen Baker zur Überprüfung vorerst ausgesetzt.

Wie Carole Rosenberg am 4. November auf der Website des Miami Herald berichtete, hat Anwalt Rick Kammen inzwischen bei einem Bundesgericht eine Verfügung erwirkt, die es dem U. S. Marshal Service verbietet, ihn auf Anweisung Spaths nach Guantánamo Bay zu verschleppen und so sein Erscheinen dort zu erzwingen. Die Schutzmaßnahme Kammens ist nicht unbegründet. Bereits letztes Jahr hatte Spath einen Zeugen im Fall Al Nashiri namens Stephen Gill durch U.S. Marshals gegen seinen Willen von Massachusetts nach Kuba zwecks Aussage hinter verschlossenen Türen bringen lassen.

Bei Bürgerrechtlern und jenem Teil der US-Presse, der den "Antiterrorkrieg" Washingtons kritisch betrachtet, hat die spektakuläre Inhaftierung des zweithöchsten Anwalts der US-Marineinfanterie durch einen rangniederen Militärrichter auf Guantánamo Entsetzen ausgelöst. In einem Artikel, der am 5. November bei Consortium News unter der Überschrift "Trump's Misplaced Love for Gitmo Trials" erschienen ist, hat der frühere CIA-Analytiker Paul R. Pillar, der zu den angesehensten sicherheitspolitischen Kommentatoren Amerikas gehört, die jüngsten Vorgänge auf dem US-Marinestützpunkt auf Kuba ein unwürdiges "Spektakel" genannt und Baker wegen seiner Haltung gelobt. Pillar brachte ein Zitat Bakers vom vergangenem Jahr, das bis heute an Gültigkeit nichts verloren hat:

Einfach gesagt, die Militärtribunale in ihrer aktuellen Form sind eine Farce. Statt ein Symbol für den Rechtsstaat zu werden, zeichnen sich die Military Commissions in Guantánamo durch Verzögerung, Amtsmißbrauch, behördliche Inkompetenz und noch mehr Verzögerung aus.

7. November 2017


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