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JUSTIZ/707: Wikileaks - Julian Assange braucht Hilfe ... (SB)


Wikileaks - Julian Assange braucht Hilfe ...


Mehr als 65 Ärzte und Psychologen aus aller Welt haben sich in einem offenen Brief an die britische Innenministerin Priti Patel entsetzt über den Gesundheitszustand von Julian Assange gezeigt und seine sofortige Verlegung vom südenglischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in eine Universitätsklinik gefordert. Dem Wikileaks-Gründer droht die Auslieferung in die USA, wo ihm im Falle einer Verurteilung eine Freiheitsstrafe von 175 Jahren wegen der Veröffentlichung vertraulicher Staatsdokumente - darunter über schwere Verbrechen der US-Streitkräfte im Irak und in Afghanistan - bevorstünde. Die Unterzeichner des Briefs sowie Assanges Freunde und Anwälte befürchten, daß der 48jährige Australier aufgrund der folterähnlichen Umstände seiner Isolationshaft in Belmarsh bald sterben könnte.

Die Sorge ist nicht unbegründet. Beim Auftritt vor Gericht am 21. Oktober machte Assange einen höchst gebrechlichen Eindruck und hatte sichtlich Schwierigkeiten, sich auf Aufforderung von Bezirksrichterin Vanessa Baraitse an den eigenen Namen und das Geburtsdatum zu erinnern und diese zu nennen. Bereits im Dezember 2015 hatte eine UN-Arbeitsgruppe zum Thema willkürliche Verhaftung den sich verschlechternden Gesundheitszustand Assanges festgestellt, der drei Jahre zuvor aus Angst vor einer Auslieferung nach Schweden wegen des Vorwurfs der sexuellen Nötigung zweier Frauen und von dort weiter in die USA in der Londoner Botschaft Ecuadors Asyl gesucht und erhalten hatte. Seit der zeitgleich erfolgten Aufhebung des Asyls durch die washingtonhörige Regierung Lenin Morenos in Quito, Verhaftung Assanges durch die englische Polizei und Verschleppung nach Belmarsh geht es mit dem prominenten Journalisten und Verleger geistig und physisch beängstigend bergab.

Höchst bedenklich am internationalen Ärztebrief ist der Umstand, daß sich drei der Unterzeichner anonym beteiligt haben und aus Angst vor möglichen Repressalien seitens der amerikanischen oder britischen Sicherheitsapparate lediglich ihre fachärztliche Qualifikation öffentlich preisgeben wollten. Bei den drei Personen handelt sich um den Kieferchirurgen, der bei Assange am 8. Mai 2015 in der ecuadorianischen Botschaft eine zahnmedizinische Notfallbehandlung durchführen mußte, einen Arzt, der Assange im selben Jahr und am selben Ort zweimal medizinisch untersucht hat sowie einen Psychiater und Traumaexperten, der seit 2014 insgesamt sieben Interviews mit Assange durchgeführt hat, um dessen geistige und seelische Verfassung zu prüfen.

Anlaß für den Aufruf der Mediziner an Innenministerin Patel war auch der Bericht, den Nils Melzer, der UN-Sonderberichterstatter über Folter, am 1. November veröffentlicht hat. Darin hatte der Rechtswissenschaftler aus der Schweiz, der den ehemaligen Wikleaks-Chef im Mai in Belmarsch besuchen durfte, gewarnt: "Sollten die britischen Behörden nicht umgehend ihren Kurs ändern und seine inhumanen Haftbedingungen lockern, könnte dies Assange, der fortgesetzt Willkür und Mißhandlung ausgesetzt ist, schon bald das Leben kosten."

Möglicherweise ist dies das Ziel, denn durch ein rechtzeitiges Ableben Assanges bliebe Großbritannien die peinliche Auslieferung des Sonderhäftlings und den USA ein spektakulärer Strafprozeß gegen den international anerkannten Vorkämpfer für die Bürgerrechte erspart. Jedenfalls deutet die auffällig rapide Verschlechterung des geistigen und körperlichen Zustands Assanges darauf hin, daß die ehemalige Pentagon-Mitarbeiterin Karen Kwiatkowski, die Mitglied der Gruppe Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS) ist, möglicherweise nicht ganz Unrecht hatte, als sie in einem am 7. Mai bei der rechtslibertären US-Politwebsite LewRockwell.com erschienenen Artikel unter Verweis auf eigene Quellen behauptete, der australische Politdissident werde in Belmarsh entweder von oder im Auftrag der CIA mit Psychopharmaka gezielt zugrunde gerichtet.

Verschaukelt wird Assange so oder so. Sein Martyrium ist bis heute eine einzige Geschichte der Mißachtung gewichtiger Rechtsnormen. Jahrelang haben Medien und Politik Assange wegen der Flucht in die ecuadorianischen Botschaft als "Paranoiker" und "Wichtigtuer" verhöhnt, doch nach der Verhaftung im April stellte sich heraus, daß die US-Justizbehörden sehr wohl bereits seit 2010 eine geheime Anklageermittlung gegen ihn führten. Seit drei Jahren werfen Assanges Gegner ihm vor, 2016 von Rußland gehackte E-Mails der Demokraten veröffentlicht und damit bei der US-Präsidentenwahl dem Republikaner Donald Trump zum Sieg über Hillary Clinton verholfen zu haben. Assange hat stets bestritten, die fraglichen E-Mails von den Russen erhalten zu haben. Craig Murray, der ehemalige britische Botschafter in Usbekistan, der 2004 wegen Protestes gegen die Folter mutmaßlicher "Islamisten" durch die CIA von der Regierung Tony Blairs entlassen worden war, behauptet, die fraglichen Dateien stammten von einem Leck in der demokratischen Parteizentrale in Washington und er habe persönlich an der physischen Überführung des Materials zu Wikileaks mitgewirkt. Der Sonderermittler in Sachen "Russiagate", Ex-FBI-Chef Robert Mueller, hat sich jedoch nicht die Mühe gemacht, Assange oder Murray zu befragen, was vermutlich darauf zurückzuführen ist, daß die Legende vom russischen "Hack" auf die hochheilige amerikanische Demokratie dabei als Humbug entlarvt worden wäre. Murrays Schilderung seiner schockierenden Eindrücke als Prozeßbeobachter vom Auftritt Assanges vor Gericht Ende Oktober hatte nach der Veröffentlichung im Internet für Aufsehen gesorgt.

Im besagten Bericht Melzers vom 1. November ging der Rechtsexperte aus Genf mit den Behörden der USA, Großbritanniens und Schwedens gleichermaßen hart ins Gericht. Er warf den beteiligten Polizisten, Staatsanwälten und Richtern vor, systematisch an der Folter von Assange und der Vorenthaltung seiner Bürger- und Menschenrechte mitgewirkt zu haben. Brisant ist in diesem Zusammenhang die Enthüllung Melzers, daß im Sommer 2010 ein schwedischer Polizeibeamter die Beweise gegen Assange in Sachen "sexueller Nötigung" nachweislich gefälscht hat. Am Anfang des Falls stand die Beschwerde einer jungen Frau, die nach dem einvernehmlichen Beischlaf ursprünglich nur wollte, daß sich der damalige Wikileaks-Chef wegen möglicher sexuell übertragbarer Krankheiten untersuchen läßt. Der fragliche Polizist hat laut Recherche Melzers die Aussage der jungen Schwedin dahingehend verändert bzw. ergänzt, daß daraus im Protokoll der Vorwurf einer Vergewaltigung stand. Diese Beweismittelfälschung stellt bis heute die Grundlage des von den großen Medien des Westens propagierten und dennoch völlig falschen Bildes von Assange als mutmaßlicher Sexualstraftäter und Frauenfeind dar.

26. November 2019


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