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LATEINAMERIKA/2142: Kuba steht vor gewaltigen Herausforderungen (SB)


Kontaminierung mit dem Kapitalismus ist die größte Gefahr


Der 50. Jahrestag der kubanischen Revolution stand im Zeichen gewaltiger Herausforderungen, die das Land zu bewältigen hat. "Machen wir uns keine Illusionen: Es wird nicht einfacher werden angesichts der aktuellen Turbulenzen in der Welt", nannte Präsident Raúl Castro bei seiner Festrede in Santiago de Cuba die Probleme offen beim Namen. Unter Verzicht auf die Massenaufmärsche früherer Jahre wohnten nur 3.000 geladene Gäste der zentralen Veranstaltung an jenem Ort bei, an dem Fidel Castro am 1. Januar 1959 den Sieg der Revolution gegen Diktator Fulgencio Batista und dessen Regime verkündet hatte. In Abwesenheit seines älteren Bruders erinnerte der Staatschef an die historischen Leistungen im Kampf gegen den spanischen Kolonialismus, die Vorherrschaft der USA und die Diktatur. Bald kam er jedoch auf die Folgen der jahrzehntelangen Blockade, der drei verheerenden Wirbelstürme und der Weltwirtschaftskrise zu sprechen, wobei die Naturkatastrophen zwar dank der beispielhaften Maßnahmen zu Evakuierung und Schutz der Bevölkerung nur wenige Menschenleben gekostet, jedoch Schäden in Milliardenhöhe angerichtet haben, die für die Ökonomie einen schweren Rückschlag bedeuten.

Raúl Castro erinnerte insbesondere daran, daß die Kubaner krisenhafte Entwicklungen bewältigt haben, die aus Sicht ihrer Feinde für ausweglos erachtet wurden oder wie das Embargo sogar in der erklärten Absicht in Stellung gebracht worden waren, die kubanische Gesellschaftsform zu vernichten. Dessen ungeachtet sei die Revolution nicht davor gefeit, sich selbst zu zerstören. "Unser Volk kennt jeden Mangel unseres eigenen Werks, denn "wir Revolutionäre sind zugleich unsere größten Kritiker", stellte er die Unterstützung der Bevölkerung auch und gerade nach begangenen Fehlern in den Mittelpunkt allen Bemühens.

Der Präsident warnte eindringlich davor, der trügerischen Hoffnung auf Versöhnung auf den Leim zu gehen, da der Imperialismus grundsätzlich dominant, aggressiv und betrügerisch bleibe. So habe bislang jede US-Regierung ohne Ausnahme versucht, der kubanischen Staatsform eine Änderung aufzuzwingen. Demgegenüber sei fünf Jahrzehnte lang Widerstand die einzige Gewähr gewesen, der Okkupation etwas entgegenzusetzen und vieles für unmöglich Erachtete möglich zu machen.

Zugleich signalisierte Raúl Castro jedoch grundsätzliche Gesprächsbereitschaft mit der kommenden Präsidentschaft der USA. Er sprach dies zunächst nur indirekt an, indem er sich an die "Führungskräfte von morgen" wandte, doch konkretisierte er bereits am folgenden Tag die Aussicht auf direkte Kontakte mit Barack Obama, der bisher einer Handelserleichterung offen gegenüberstand. Ob dieser nach seinem Einzug ins Weiße Haus noch an die Wahlkampfaussagen erinnert werden will, ist natürlich ungewiß. Castro bediente sich daher im Ausblick auf die künftige Entwicklung der Möglichkeitsform, als er in einem Fernsehinterview darlegte, Obama könne als amerikanischer Präsident "viele positive Schritte" machen. Auf kubanischer Seite sei man durchaus zu einem Dialog bereit, wann immer das auch für die USA gelte, doch gehe er nicht von einem radikalen Umschwung in der Politik gegenüber Kuba aus.

So bedeutsam Handelserleichterungen für die Kubaner auch wären, sind diese doch nicht auf Gedeih und Verderb auf das Wohlwollen der künftigen US-Regierung angewiesen. Die seit jeher von Washington angestrebte Isolation Kubas wurde in den letzten Jahren durch freundschaftliche Beziehungen zu Venezuela, Bolivien, Nicaragua und Ecuador wie auch eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Ländern wie Brasilien, China und Rußland immer stärker zurückgedrängt. Heute herrscht in den Ländern Lateinamerikas die Auffassung vor, daß die US-amerikanische Blockade besser heute als morgen aufgehoben werden sollte. Zudem ist auch den europäischen Mächten das Hemd ökonomischer Vorteilserwägungen in der erbitterten Konkurrenz der dominanten Handelsblöcke im Falle Kubas inzwischen näher als der Rock ideologischer Vorbehalte. Wenngleich die EU bei Überprüfung ihres Verhältnisses zu Havanna keineswegs davon abläßt, politische Vorbedingungen ins Spiel zu bringen, unterschied sich ihre Herangehensweise in jüngster Zeit doch beträchtlich vom Dogma der Betonköpfe in der Bush-Administration.

Auf den ersten Blick scheint die Lösung fundamentaler Probleme der Kubaner auf der Hand zu liegen. Der Ausfall gewaltiger Teile ihrer Ernten in Folge der Sturmkatastrophen hat die Engpässe bei der Versorgung der Bevölkerung dramatisch verschärft. Zugleich drängen Landwirtschaft und Lebensmittelkonzerne in den USA seit langem darauf, die Blockade endlich aufzuheben oder zumindest so weit zu lockern, daß dieser Absatzmarkt direkt vor der eigenen Haustür mit Exporten bedient werden kann. Was wie eine Annäherung zum beiderseitigen Vorteil anmuten mag, ist jedoch mitnichten Ausdruck übereinstimmender Interessen.

Welch desaströse Folgen die Überschwemmung mit billigeren Agrarprodukten für ein armes Land hat, ist aus leidvoller Erfahrung bekannt. Die Vernichtung zahlloser bäuerlicher Existenzen und damit eine um sich greifende Verelendung ist in aller Regel ebenso die Folge wie eine dramatisch zunehmende Abhängigkeit von dieser Versorgungslinie. Ist die heimische Landwirtschaft erst einmal ruiniert oder entscheidend geschwächt, sucht jede Teuerung von Nahrungsmitteln den betreffenden Staat mit ungebremster Wucht heim. Die kubanische Gesellschaft hat ohnehin mit einer Landflucht zu kämpfen, die erhebliche Anbauflächen ungenutzt zurückgelassen hat. Dieser Entwicklung gegenzusteuern, ließ die Regierung privaten Landbesitz in größerem Umfang als in der Vergangenheit zu. Dies wird jedoch angesichts der Ernteausfälle und der Dringlichkeit des Bedarfs nicht ausreichen, die Engpässe in absehbarer Zeit zu beheben, weshalb eine Kombination mit der Einfuhr von Lebensmitteln unabdingbar erscheint. Dabei stellt sich jedoch zwangsläufig die Frage, ob nicht gerade diese Importe der angestrebten Selbstversorgung zuwiderlaufen und sie im Keim ersticken. Industriell produzierte und insbesondere hoch subventionierte landwirtschaftliche Erzeugnisse zählen bekanntermaßen zu den wirksamsten Instrumenten ökonomischer Kriegsführung seitens der Weltmächte.

Ähnliches gilt für den Import von Konsumgütern, den Ausbau des Tourismus und die zunehmende Dollarisierung Kubas, dessen Regierung bislang durch eine Politik der Begrenzung solcher Tendenzen die gesellschaftlichen Verwerfungen zu zügeln versucht hat. Während man den wirtschaftlichen Schaden durch die Blockade auf Hunderte Milliarden Dollar beziffert hat, trug doch die von den USA betriebene Abschottung dazu bei, die Kontaminierung mit dem Kapitalismus erheblich zu bremsen. Wenn staatliche Besoldung vielfach kaum noch ausreicht, den Lebensunterhalt zu bestreiten, während Dienstleistungen für Touristen ein Vielfaches an Einkünften bescheren, ist der Abwanderung in diesen Sektor und der Verödung vordringlicher Strukturen wie Gesundheitswesen und Bildungsbereich Tür und Tor geöffnet.

Ist eine relativ egalitäre Gesellschaft wie die kubanische erst einmal zugunsten einer Polarisierung in Reichtum für wenige und Elend für viele aufgebrochen, ist diese verhängnisvolle Entwicklung kaum noch aufzuhalten, geschweige denn umzukehren. So wenig man also einer Armut und erzwungenen Abschottung das Wort reden sollte, so wenig ist eine Öffnung für die kapitalistische Übermacht ein Segen für die kubanische Gesellschaft. Wege aus diesem Dilemma zu finden, dürfte daher zu den größten Sorgen all jener Kubaner gehören, welche die Errungenschaften der zurückliegenden 50 Jahre nicht preiszugeben bereit sind.

7. Januar 2009