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LATEINAMERIKA/2153: Kolumbiens Rebellen lassen vier Geiseln frei (SB)


Erste von drei angekündigten Freilassungen ohne Gegenleistung


Die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) haben vier Geiseln ohne Gegenleistung der Regierung oder andere damit verbundene Forderungen freigelassen. Damit vollzogen sie den ersten Schritt von insgesamt drei Übergaben von Gefangenen, die sie für diese Woche angekündigt hatten. Bei den bereits freigekommenen Männern, die vor zwei Jahren entführt worden waren, handelt es sich um einen Soldaten und drei Polizisten. Der einseitigen Geste der Guerilla kommt besondere Bedeutung zu, da diese Personen dem Kreis jener Geiseln angehören, die Gegenstand von Verhandlungen mit dem Staatsapparat hätten sein können. Geplant ist nach Angaben der Rebellen auch die Freilassung des früheren Gouverneurs Alan Jara sowie des ehemaligen Abgeordneten Sigifredo López, womit die FARC keine Zivilisten mehr in ihrer Gewalt hätte, die für einen möglichen Austausch in Frage kämen.

Vermittelt wurde die Übergabe der Gefangenen durch eine Gruppe kolumbianischer Zivilpersonen namens "Kolumbianer für den Frieden", der unter anderem der Journalist Jorge Enrique Botero angehört. Seinen Angaben zufolge kam es wie schon bei früheren Freilassungen zu Kontroversen und Verzögerungen durch massive Störmanöver von seiten der Regierung, die aus ihrer ablehnenden Haltung keinen Hehl machte und die Durchführung nahezu sabotierte. Als die vier Geiseln wie vereinbart von brasilianischen Hubschraubern auf einer Dschungellichtung im Süden des Landes abgeholt worden waren, nahmen Kampfflugzeuge der kolumbianischem Luftwaffe sofort die Verfolgung auf und flogen riskante Störmanöver.

Präsident Alvaro Uribe hatte ursprünglich ein Verbot für Zivilisten ausgesprochen, sich an künftigen Freilassungen von Gefangenen der Guerilla zu beteiligen. Auf Anfrage des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz erklärte er sich schließlich bereit, zumindest Senatorin Piedad Cordoba an der Mission teilnehmen zu lassen, die bereits in Zusammenarbeit mit dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez erste Freilassungen von Gefangenen ohne Gegenleistung erwirkt hatte, bis diese erfolgreiche Vermittlung von der kolumbianischen Führung unterlaufen wurde.

Uribe räumte offen Flüge der kolumbianischen Luftwaffe über dem fraglichen Gebiet ein, doch erklärte er kaltschnäuzig, sie seien deutlich oberhalb der zeitweiligen Flugverbotszone durchgeführt worden, die einzuhalten sich die Regierung zuvor bereiterklärt hatte. Daß die Rebellen eine Übergabe von Gefangenen von der Einhaltung einer Zone machen, aus der sich die Streitkräfte vollständig zurückziehen, liegt auf der Hand, da sie andernfalls Verfolgung und Angriffe ebenso wie die Preisgabe ihrer Lager im Dschungel befürchten müssen. Schon bei früheren Übergaben war es regelmäßig zu Problemen gekommen, weil sich die Militärs nicht oder nicht vollständig an die Vereinbarungen hielten und den Rebellen bei solchen Gelegenheiten auf die Spur zu kommen hofften. Da dieses Verhalten nicht die Ausnahme, sondern die Regel war, deutete auch dies darauf hin, daß die Regierung kein Interesse an der Freilassung unter Vermittlung hat und auf das Schicksal der Geiseln keinerlei Rücksicht nimmt.

Angebote der FARC, einen humanitären Austausch zwischen Gefangenen beider Seiten möglich zu machen, lagen seit Jahren auf dem Tisch, ohne daß die Regierung je darauf eingegangen wäre. Wie Präsident Uribe stets unterstrich, handle es sich bei den Rebellen um "Terroristen", mit denen er weder Gespräche führe, noch Abkommen aushandle. Daher war eine durch Vermittlung herbeigeführte Freilassung von Geiseln de facto nicht mit, sondern nur gegen Uribe möglich, der zwar in einem gewissen Stadium der Entwicklung nicht umhin konnte, Kooperation zu signalisieren, doch zugleich militärischen Vorteil daraus zu ziehen hoffte und die Verhandlungen hinterrücks hintertrieb.

Die aktuelle Freilassung von Gefangenen ist die erste nach einem Jahr, in dem die Rebellen die schwersten Rückschläge ihres jahrzehntelangen Kampfs hinnehmen mußten. Anfang 2008 hatte die FARC im Zusammenhang der Vermittlungsbemühungen des venezolanischen Staatschefs Hugo Chávez angesichts der international vielbeachteten Bewegung im Konflikt an Ansehen gewonnen. Daß zwei Gruppen von Geiseln freigelassen und weitere angekündigt wurden, widerlegte die Propaganda der Regierung in Bogotá, daß mit der Guerilla nicht zu verhandeln sei und sie allein die Schuld für die Stagnation der Lage trage.

Der Tod des legendären Gründers und Anführers der FARC, Manuel Marulanda, und die Ermordung seines designierten Nachfolgers, Raúl Reyes, beim Angriff der kolumbianischen und vermutlich auch US-amerikanischen Streitkräfte auf das Rebellenlager in Ecuador brachten die Rebellen so sehr in die Defensive, daß in der Folge eine Reihe von Kommandanten überlief und sich Zerfallserscheinungen abzeichneten. Ein weiterer schwerer Schlag für die FARC war dann im Juli die Befreiung Ingrid Betancourts, dreier Angestellter eines US-Militärdienstleisters sowie von zehn kolumbianischen Polizisten und Militärs, welche die Rebellen ihrer prominentesten Geiseln beraubte.

Wie stark und handlungsfähig die FARC derzeit ist, bleibt Spekulation. Ob sie noch über die rund 10.000 Kämpfer verfügt, von denen Schätzungen in der Regel ausgehen, läßt sich natürlich nicht belegen. Im Dezember hatte der neue Anführer der Rebellen, Alfonso Cano, dem spanischen Nachrichtenmagazin Cambio 16 in einem Interview erklärt, man habe Schläge eingesteckt, jedoch auch Schläge ausgeteilt. Die FARC sei bei guter Gesundheit, da könne man sicher sein.

Die jüngste Freilassung von Gefangenen wird als Initiative interpretiert, Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit und Handlungsfähigkeit auf der politischen Bühne zu gewinnen. Möglicherweise deutet sich auch ein grundlegender Strategiewechsel in Gestalt einer Abkehr von gefangenen Zivilisten an, da der seit Jahren an der Blockade der Regierung Uribe gescheiterte Austausch gegen inhaftierte Guerilleros in den Gefängnissen weitgehend an Bedeutung verloren hat.

Vorausgegangen war ein Austausch offener Briefe zwischen der FARC und den "Kolumbianern für den Frieden", dem Politiker und Intellektuelle des linksliberalen Spektrums angehören. Im letzten so verfolgten Gesprächsansatz schlug die zivile Gruppe vor, die Rebellen sollten vollständig auf Entführungen verzichten. Dazu äußerte sich die FARC zwar nicht, doch wiederholte sie ihre Forderung nach einer demilitarisierten Zone im Südwesten des Landes auch nicht, die bislang stets Vorbedingung eines umfassenden Abkommens zur Freilassung der Gefangenen gewesen war.

Da Alfonso Cano in seinem Dezemberinterview die Möglichkeit von Friedensverhandlungen zumindest nicht ausgeschlossen hat, vermuten einige Kommentatoren der aktuellen Entwicklung, die FARC fasse eine Teilnahme an der Präsidentschaftswahl im Mai 2010 ins Auge und leite vorbereitende Schritte ein. Allerdings mußte die Guerilla in der Vergangenheit ihren Versuch, sich in der Zivilgesellschaft politisch zu betätigen, mit Tausenden Ermordeten bezahlen. Heute steht ihr vor allem Präsident Alvaro Uribe im Weg, der nichts anderes als ihre militärische Niederlage und Vernichtung dulden will. Wie der kolumbianische Staatschef jüngst erklärte, sprächen die Führer der FARC von Verhandlungen. Auf diesen Trick sei das Land mehr als einmal hereingefallen, doch damit sei nun Schluß.

3. Februar 2009