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LATEINAMERIKA/2169: Kehrt der Krieg in Kolumbiens Städte zurück? (SB)


Vermehrte Anschläge könnten Strategiewechsel der FARC signalisieren


Die 1964 ins Leben gerufenen Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) sind die älteste und größte Guerillaorganisation des Landes und hatten auf dem Höhepunkt ihres Einflusses geschätzte 20.000 Kämpfer unter Waffen. Erst mit milliardenschwerer US-amerikanischer Militärhilfe im Rahmen des Plan Colombia gelang es den kolumbianischen Sicherheitskräften, wieder in die Offensive zu gehen, Teile des von den Rebellen kontrollierten Gebietes zurückzuerobern und den Krieg aus den Städten zu verdrängen.

Im vergangenen Jahr mußte die FARC eine Reihe gravierender Rückschläge hinnehmen, darunter den natürlichen Tod ihres Gründers Manuel Marulanda, die Liquidierung seines designierten Nachfolgers Raúl Reyes und weiterer hochrangiger Kommandanten, diverse Überläufer und nicht zuletzt die Befreiung ihrer wichtigsten Gefangenen durch die Armee. Wie schlagkräftig die Guerilla nach diesen schwächenden und zersetzenden Zäsuren ist, bleibt ebenso ungewiß wie spekulative Zahlenangaben, die ihre derzeitige Stärke auf etwa 8.000 Kämpfer beziffern.

Der kolumbianischen Regierung unter Präsident Alvaro Uribe ist es zudem gelungen, die Vermittlungsinitiative um den venezolanischen Staatschef Hugo Chávez zu torpedieren, die den Rebellen vorübergehend einen enormen Ansehensgewinn bescherte und Friedensgespräche in greifbare Nähe zu rücken schien. Nachdem Chávez noch einen Schritt weitergegangen war und ein Ende des Terrorverdikts angeregt hatte, um Verhandlungen der Konfliktparteien auf gleicher Augenhöhe zu ermöglichen, schlug der Konter in Gestalt des Angriffs der gemeinsam operierenden kolumbianischen und US-amerikanischen Militärs auf das Lager der FARC in Ecuador zu. Dieser sabotierte nicht nur die geplante Freilassung weiterer Gefangener, sondern produzierte auch jene Datenträger, die angeblich die Geheimnisse der Rebellen enthüllten und den Beweis erbrachten, daß diese eine international agierende "terroristische" Organisation seien.

Gemäß internationaler Abkommen zu elektronischen Beweismitteln kann von solchen nur dort die Rede sein, wo diese direkt in die Hände der Staatsanwaltschaft gelangen. Andernfalls sind alle erdenklichen Manipulationen möglich, was auch für die angeblich bei dem Angriff erbeuteten Laptops und externen Speicher gilt, die zunächst vom militärischen Geheimdienst konfisziert und verändert wurden. Grundsätzlich fehlt jeder Beweis, daß diese Datenträger wirklich Raúl Reyes gehört haben, und wenn das doch der Fall gewesen sein sollte, in welchem Ausmaß sie nachträglich manipuliert wurden. Bei diesem Manöver handelt es sich so offensichtlich um ein Blendwerk gezielter Irreführung, daß man sich wundern muß, wie widerspruchslos die haarsträubenden Ungereimtheiten geschluckt wurden. Da sie zu bestätigen schienen, was man immer schon von der FARC und Hugo Chávez gedacht hatte, schlugen sie die Tür wieder zu, die nach Jahren der Stagnation in diesem Konflikt erstmals geöffnet worden war.

Auf diese Weise setzte die kolumbianische Führung ihre Position erneut in Kraft, wonach im Land kein Bürgerkrieg herrsche, da den staatlichen Sicherheitskräften keine Kriegspartei, sondern Verbrecher, Drogenhändler und "Terroristen" gegenüberständen, mit denen es keine Verhandlungen geben könne und dürfe. Diese nicht nur von Bogotá und Washington durchgetragene Doktrin entspringt der von langer Hand angelegten Strategie, mit den Rebellen auch deren Forderung nach einer gesellschaftlichen Umgestaltung aus der Welt zu schaffen.

Nun deuten Berichte und Einschätzungen aus Kolumbien darauf hin, daß die FARC nicht nur ihre geschwächten Kräfte reorganisiert, sondern auch ihre Vorgehensweise erheblich ändert und Angriffe in urbanen Gebieten wieder aufnimmt. Allerdings sind derartige Bewertungen mit Vorsicht zu genießen, da von Anschlägen die Rede ist, deren Urheber kaum je mit letzter Sicherheit genannt werden kann. Grundsätzlich ist nicht auszuschließen, daß die Rebellen den Krieg in die Städte zurücktragen, um großangelegte Konfrontationen mit den hochgerüsteten Streitkräften zu vermeiden und zugleich an Orten Wirkung zu erzielen, die der mediengenerierten Öffentlichkeit wesentlich näher als abgelegene Urwaldregionen sind. Andererseits sollte man nicht außer acht lassen, daß es sich insgesamt oder bei einzelnen Vorfällen auch um inszenierte Attentate seitens der Geheimdienste handeln könnte, die auf eine Diskreditierung der Guerilla abzielen.

Sollte es zu Bombenanschlägen mit zahlreichen Opfern unter der Zivilbevölkerung kommen, würde dies wohl einen neuerlichen Kreuzzug gegen die Rebellen nach sich ziehen. Indessen haben die Anschläge in den Städten zwar zugenommen, doch wurden die Sprengsätze in den meisten Fällen mitten in der Nacht zur Explosion gebracht, was auf die Absicht schließen läßt, zivile Opfer zu vermeiden. Am 16. Januar flog ein mit Sprengstoff vollgepacktes Auto in einem Einkaufszentrum der Stadt Neiva im Süden des Landes in die Luft. Am 1. Februar detonierte eine Autobombe beim Hauptquartier des Polizeigeheimdienstes von Cali im Südwesten. Am 6. März explodierte eine Bombe in einem Ladengeschäft in Neiva. Zudem starben im Februar zwei Menschen bei einem Anschlag auf eine Filiale der Videokette "Blockbuster", wobei es sich in diesem Fall offenbar um verweigerte Schutzgeldzahlungen handelte, wie der US-amerikanische Mutterkonzern nach Angaben kolumbianischer Behörden mitgeteilt hatte. (The Christian Science Monitor vom 17.03.09).

Knapp zwei Wochen nach dem Anschlag in Cali nahm die Polizei sechs Tatverdächtige fest, die angeblich der Front Manuel Cepeda der FARC angehören. Nach der Bombenexplosion in Nieva im Februar dauerte es ebenfalls nur wenige Tage, bis Festnahmen erfolgten. Ob diese schnellen Verhaftungen tatsächlich auf eine geschwächte Struktur der Guerilla in den Städten schließen lassen, kann man allenfalls mutmaßen. Ebensogut kann es sich natürlich auch um von den Behörden lancierte Erfolgsmeldungen handeln.

Denkbar bleibt indessen, daß sich die Rebellen in jüngerer Zeit gezwungen sahen, ihre städtischen Milizen teilweise in den Dschungel abzuziehen. Da jedoch die Präsenz in den Städten unerläßlich für logistische Unterstützung, Aufklärung und Kontakt zur Bevölkerung bleibt, könnten die verstärkten Operationen im urbanen Umfeld der letzten Wochen ein Indiz dafür sein, daß die FARC ihre Strategie tatsächlich geändert hat.

Bei einem der spektakulärsten Anschläge unterbrachen drei zur Detonation gebrachte Sprengsätze am 7. März die Wasserversorgung der ostkolumbianischen Stadt Villavicencio. Seither müssen die 300.000 Einwohner größtenteils mit Tankwagen versorgt werden. Die Behörden setzten eine Belohnung von 40.000 Dollar für sachdienliche Hinweise aus, die zur Festnahme der Täter führen. Der Generalstabschef der Streitkräfte, General Freddy Padilla, ist sich jedoch sicher, daß nur der örtliche FARC-Kommandant diesen Anschlag befohlen haben kann. Dies sei Teil einer neuen Kampagne der Rebellen, die ihren verlorengegangenen Einfluß in den Städten wiedergewinnen wollten. Die FARC greife zu Terroranschlägen, um ihre Existenz als Streitmacht zu demonstrieren, erklärte Padilla in einem Interview. Angeblich hat die Armee die Kommunikation der FARC abgehört und auf diesem Weg in Erfahrung gebracht, daß die Rebellen ihre neue Strategie "Plan Wiedergeburt" nennen.

17. März 2009