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LATEINAMERIKA/2209: US-Regierung setzt Schleiertanz in der Kubafrage fort (SB)


Täuschungsmanöver auf hohem Niveau vernebelt Widersprüche


Wäre es lediglich alter Wein in neuen Schläuchen, könnte man von einer durchsichtigen Propagandakampagne sprechen und sich wieder dem Inventar sattsam bekannter Widersprüche und Konfrontationslinien zuwenden. Was die neue US-Regierung unter ihrem Bannerträger Barack Obama vorexerziert, ist jedoch eine strategische Initiative, die in ihrem Charakter und ihrer Tragweite keinesfalls ausgeleuchtet ist. Niemand wünscht sich George W. Bush zurück, der Lateinamerika wie eine Manövriermasse behandelte, die man zum Frondienst ruft, ansonsten ignoriert und im Falle der Widerrede abkanzelt oder abstraft. Daraus abzuleiten, daß es unter seinem Nachfolger nur besser werden könne, war der erste und gleichsam fundamentale Trugschluß, den es auszuräumen gilt, will man prognostische Aussagen treffen und gebotene Handlungsoptionen in die Tat umsetzen.

Wesentlich für die Ära der Bush-Administration war in den lateinamerikanischen Ländern ein beispielloser Trend, die hegemonialen Ansprüche Washingtons zu bestreiten und eine eigenständige politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu befördern. Die vorangegangene Phase kapitalistischer Ausbeutung und globaler Herrschaftssicherung hatte diese Weltregion in einem Maße erschüttert und zerrüttet, daß sich Kräfte des Widerstands formierten, die lange vor und unabhängig von dem Bush-Regime in Erscheinung traten, jedoch in der Auseinandersetzung mit diesem beträchtlich an Profil und Zulauf gewannen. Das rote Tuch im Weißen Haus zog soviel Wut und Abscheu auf sich, daß dieser Fokus einerseits Unerhörtes enthüllte, doch andererseits eine radikale Analyse der fundamentalen Widersprüche und die daraus resultierende Positionierung zu vernebeln und verschleiern drohte.

Da Brachialgewalt zwangsläufig Gefahr läuft, den Widerstand der Mißachteten und Verzweifelten wachzurufen, repräsentiert Obama gleichsam die notwendige Konsequenz und Fortentwicklung derselben Verfügungsgewalt, jedoch auf höherer und somit innovativer Ebene. Dem neuen US-Präsidenten vorzuwerfen, er sei eine Enttäuschung, da er nur einen Bruchteil dessen umsetze, was er der Welt zuvor versprochen hatte, hieße der Täuschung längst auf dem Leim gegangen zu sein. Zu konstatieren, seine guten Absichten scheiterten an reaktionären Gegenkräften im eigenen Land, oder ihn zu einem kleineren Übel zu erklären, käme der völligen Kapitulation und Preisgabe kritischen Geistes gleich.

Obama predigt Verständnis und Dialog, verkleistert die Widersprüche mit Raffinesse, holt die ausgebrochenen Schafe in den Pferch zurück. Mit seinem Slogan, daß wir es schaffen können, unterstellt er ein gemeinsames Interesse, das in einer Welt der Ausbeutung und Unterdrückung nur auf die bedingungslose Beteiligung und Unterwerfung hinauslaufen kann. Zu welcher diplomatischen Gratwanderung er fähig ist, zeigt nicht zuletzt sein Lavieren in der Kubafrage. Nie zuvor in der Geschichte Lateinamerikas haben sämtliche Regierungen unisono ein Ende der Blockade angemahnt und dies zum Lackmustest der neuen Administration in Washington erklärt. Wie geht Barack Obama mit dieser brisanten Konstellation um?

Beim 5. Amerikagipfel der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Trinidad und Tobago sollte Obamas Antwort die Grundlage der Einschätzung liefern, ob er es mit dem angekündigten Neuanfang in den gegenseitigen Beziehungen ernst meinte. Obama sparte jedoch in seiner kurzen Rede alle konfrontativen Themen aus und ging insbesondere mit keinem Wort auf die Blockade Kubas ein. Unmittelbar zuvor hatte er bei seinem Besuch in Mexiko erklärt, nun sei die kubanische Regierung an der Reihe, den nächsten Schritt zu machen. Diese hatte längst die angekündigten Erleichterungen für Exilkubaner als enttäuschend gering eingestuft, aber dennoch Gesprächsbereitschaft signalisiert, sofern man auf gleicher Augenhöhe zusammenkomme. Obgleich Obama also in Port of Spain keinerlei Zugeständnisse in der Kubafrage machte, wurde das Gipfeltreffen der 34 Staats- und Regierungschefs doch weithin als Erfolg und Annäherung interpretiert.

Um das Eisen zu schmieden, solange es heiß ist, und der Ernüchterung keinen Raum zu geben, hat die US-Regierung nun mit einer weiteren großen, aber letztlich inhaltsleeren Geste nachgelegt. Sie deutete ihre Bereitschaft an, einen Kanal der Gespräche mit der kubanischen Führung zu öffnen, der von der Bush-Administration versiegelt worden war, indem sie vor wenigen Tagen Treffen hochrangiger Vertreter zu Fragen der Migration zwischen den beiden Ländern in Aussicht stellte. Wie der Sprecher des Außenministeriums, Ian C. Kelly, erklärte, wolle man in diesen Gesprächen die beiderseitige Verpflichtung erneuern, eine sichere, legale und geordnete Migration zu gewährleisten. Auch sei man bereit, den Trend illegaler Migration von Kubanern in die USA zu überprüfen und die Zusammenarbeit in solchen Fragen zu verbessern. (New York Times 23.05.09)

Als Mitte der 1990er Jahre immer mehr Kubaner die gefährliche Reise übers Meer antraten, schlossen Washington und Havanna eine Reihe von Abkommen, um diese Entwicklung zu bremsen. Weder konnte die kubanische Regierung die massenhafte Abwanderung tatenlos hinnehmen, noch war die US-Regierung willens, die Flüchtlinge aufzunehmen. Handelte es sich um prominente Personen, die sich zu Propagandazwecken ausschlachten ließen, nahm man sie mit offenen Armen auf, bis sie ihr Werk getan hatten. Namenlose Kubaner, die sich in den USA ein Leben in Wohlstand erhofften, wollte man dort nicht noch mehr haben. Unversorgte Tellerwäscher besaß man genug, die den Mythos tagtäglich widerlegten, daß es jeder zum Millionär bringen könne. Seither kamen Repräsentanten der beiderseitigen Regierungen regelmäßig zusammen, um Fragen der Migration zu erörtern und gegebenenfalls neue Abkommen zu schließen. Grundsätzlich galt das Prinzip, daß jeder Kubaner in den USA bleiben darf, der deren Boden physisch betritt. Unterdessen sorgt die US-Küstenwache dafür, daß das nicht geschieht, indem sie Wasserfahrzeuge aller Art auf See abfängt und deren Insassen nach Kuba zurückschickt.

George W. Bush setzte diese Treffen im Zuge seiner restriktiven Kubapolitik 2004 aus und verschloß damit die meisten Kanäle regulärer Kommunikation mit Havanna. Was Barack Obama nun in Gang setzt, ist nicht mehr als die Aussicht, wieder regelmäßig über die Migration miteinander zu sprechen. Dies als das langersehnte Signal der Öffnung und Annäherung auszulegen, käme der Blauäugigkeit gleich, schon wieder in dieselbe Falle zu tappen. Am 2. Juni beginnt in Honduras das nächste Treffen der Organisation Amerikanischer Staaten, bei dem die US-Regierung wie schon vor dem Amerikagipfel ihre Kritiker in die Defensive zu bringen versucht.

Wieder steht die Kubafrage auf dem Programm und diesmal sogar offiziell: Die Mehrheit der Mitglieder befürwortet eine Wiederaufnahme Kubas, das 1962 ausgeschlossen wurde und als einziges Land Lateinamerikas nicht in der OAS vertreten ist. Senator Robert Menendez, ein Demokrat aus New Jersey, wirft der US-Regierung vor, sie lasse die Gelegenheit ungenutzt verstreichen, eine "echte Wende" in Kuba herbeizuführen. Er ist Vorsitzender jenes Kongreßausschusses, der unter anderem die Finanzierung der OAS kontrolliert, die zu 60 Prozent von den USA getragen wird. Sollten die Kubaner zur Rückkehr eingeladen werden, werde er dafür sorgen, daß die Gelder eingefroren werden, drohte Mendendez.

Daß er mit dieser Auffassung nicht allein steht, unterstrich Außenministerin Hillary Clinton mit etwas gedrechselteren Worten: Man werde einer Wiederaufnahme Kubas erst dann zustimmen, wenn das Land sich zu jenen demokratischen Prinzipen bekenne, wie sie die Charta der OAS für alle Mitglieder vorsehe, und konkrete Schritte in diesem Sinne einleite. Nur gut, daß die Regierung in Havanna keinen Zweifel daran gelassen hat, daß sie überhaupt nicht in die OAS zurückkehren will, die sie als Instrument Washingtons ablehnt!

25. Mai 2009