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LATEINAMERIKA/2211: Rumoren vor der Generalversammlung der OAS (SB)


US-Regierung erneut mit der Kubafrage konfrontiert


Wenn ein Schwergewicht wie die USA mit Hungerleidern an einem Tisch sitzt, wie es die Länder Lateinamerikas bis vor kurzem waren oder nach wie vor sind, kann man schwerlich davon ausgehen, daß dabei alle satt und zufrieden werden. Der Verdacht ist nicht aus der Luft gegriffen, daß es bei dieser Veranstaltung aus Perspektive des Muskelprotzes vor allem darum geht, Aufsicht zu führen, zu teilen und zu herrschen. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hat jahrzehntelang nach diesem Muster funktioniert und seit dem Rauswurf der Kubaner 1962 ihren ansonsten kompletten Mitgliederstand bis heute gehalten. Das war insofern erstaunlich, als allen Beteiligten klar sein mußte, daß es sich bei dieser Institution, die zu 60 Prozent von Washington finanziert wird, um ein Instrument der USA handelt.

Dies wurde von jenen Kräften begrüßt, die sich als Statthalter Washington andienten, weil sie so die Ausplünderung ihrer eigenen Landsleute mit dem starken Rückhalt der Hegemonialmacht betreiben konnten. Was ursprünglich für fast alle Regierungen lateinamerikanischer Länder galt, trifft heute nur noch für eine Minderheit in vollem Umfang zu. Die "argentinische Krankheit" hat vielen die Augen geöffnet, da der von der internationalen Finanzadministration gezielt herbeigeführte Sturz der vormals reichsten Nation Südamerikas in den Staatsbankrott deutlich machte, daß die breite Mehrheit der Bevölkerung einschließlich der Mittelschicht, die in Argentinien einst ungewöhnlich breit und wohlhabend war, bitter für ihre Anbetung neoliberaler Luftschlösser bezahlen muß.

Die weit verbreitete Skepsis gegenüber den USA und den überstaatlichen Finanzinstitutionen in New York und Washington resultiert nicht aus den angeblichen Verführungskünsten eines Hugo Chávez, wie dies noch immer von europäischen und US-amerikanischen Medien kolportiert wird. Das Engagement des venezolanischen Präsidenten und seiner Bündnispartner in anderen Ländern für eine Umgestaltung der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung kann vor allem deshalb in dieser Weltregion Wurzeln schlagen und Früchte tragen, weil das Desaster der vom Norden diktierten Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik offenkundig ist.

Die 39. Generalversammlung der Organisation Amerikanischer Staaten, die am 2. und 3. Juni im honduranischen San Pedro Sula stattfindet, könnte durchaus im Zeichen einer historischen Weichenstellung stehen. Vieles deutet darauf hin, daß die OAS auf Drängen der Länder Lateinamerikas mindestens eine Kurskorrektur vornimmt, womöglich sogar erstmals von Mitgliedern grundsätzlich in Frage gestellt wird, die einen Austritt in Erwägung ziehen. Ecuadors Präsident Rafael Correa hat einen derartigen Schritt bereits mehrfach ins Gespräch gebracht. Der venezolanische Staatschef Hugo Chávez schloß vor kurzem die Möglichkeit nicht mehr aus, daß sein Land die OAS verlassen und die Völker des Kontinents einladen könnte, sich von diesen alten Strukturen zu befreien und an ihrer Stelle eine Organisation der freien Völker Lateinamerikas zu gründen. Auch sein bolivianischer Amtskollege und enger Verbündeter Evo Morales favorisiert eine Staatengemeinschaft mit Kuba, doch ohne die USA. Nicaraguas Präsident Daniel Ortega verurteilte jüngst das Schweigen der OAS zu den Bombenangriffen der USA in Afghanistan und Pakistan, denen immer mehr Menschen zum Opfer fallen.

Angesichts der traditionellen Spaltung und Rivalität der Nationen des südlichen Halbkontinents wäre eine derartige Initiative noch vor wenigen Jahren fernab jeder Realisierbarkeit bloßes Wunschdenken geblieben. In jüngster Zeit hat diese Weltregion jedoch rasante Schritte der Abkehr von der Hegemonialmacht USA und einer eigenständigen Entwicklung auf Grundlage einer engeren Zusammenarbeit unternommen, die unter anderem in der bemerkenswert zügig erfolgten Gründung der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) einen deutlichen Ausdruck fand. Wie arbeitsfähig dieses Gremium ist, zeigte sich nicht zuletzt in seiner klaren Stellungnahme zum Konflikt in Bolivien, dessen Regierung volle Rückendeckung erhielt, während die umstürzlerischen und separatistischen Bestrebungen der Opposition im südöstlichen Tiefland verurteilt wurden.

Nicht minder bedeutsam sind die Bestrebungen, ein eigenes Finanzsystem zu schaffen, dem Dollar als Leitwährung den Rücken zu kehren und die Handelsbeziehungen nicht länger dem Diktat dominanter Kräfte der von der Krise erschütterten Weltwirtschaft zu unterwerfen. Die Bank des Südens hat ihre Arbeit aufgenommen, mehrere Länder haben die gemeinsame Währungseinheit Sucre geschaffen und im bilateralen Handel geht man vielerorts zur Abwicklung in den beiderseitigen Landeswährungen über.

Diese und andere Fragen erörterten Rafael Correa, Hugo Chávez und Evo Morales am Wochenende bei einem Treffen in Quito, das einem offiziellen Kommuniqué des Außenministeriums zufolge Themen der politischen und wirtschaftlichen Integration der Region gewidmet war. Man geht sicher nicht fehl in der Annahme, daß die drei Staatschefs im Vorfeld der OAS-Generalversammlung in Honduras auch ihre diesbezüglichen Positionen diskutiert haben.

Das Störmanöver der israelischen Regierung, wonach Venezuela und Bolivien das Atomprogramm des Irans durch Lieferung von Uran unterstützen, haben die Regierungen in Caracas und La Paz als lächerliche Behauptung zurückgewiesen. Der Stabschef von Evo Morales, Juan Ramón Quintana, bezeichnete den Bericht als Unsinn und erklärte, sein Land produziere überhaupt kein Uran. Präsident Chávez verwies auf eine lange Liste erhobener Vorwürfe, die allesamt dem Zweck geschuldet seien, seine Regierung in Mißkredit zu bringen. Unmittelbar vor der Generalversammlung der OAS lanciert, bei der auch ein Vertreter des israelischen Außenministeriums zugegen sein wird, wirkt der Report in der Tat wie eine fabrizierte Bezichtigung, die Kritikern der USA und Israels den Wind aus Segeln nehmen soll.

Wie schon beim Amerikagipfel in Port of Spain steht auch in San Pedro Sula der Umgang mit Kuba im Mittelpunkt des Interesses. Der Generalsekretär der OAS, José Miguel Insulza, hat einen Antrag angekündigt, der die Aufhebung der seit 1962 bestehenden Suspendierung der Kubaner zum Inhalt hat. Da sämtliche Staaten Lateinamerikas und der Karibik ein Ende der Blockade Washingtons gegen Kuba fordern, dürfte dieser Antrag breite Zustimmung finden. Wenngleich die Regierung in Havanna längst deutlich gemacht hat, daß sie überhaupt nicht in die OAS zurückkehren will, da diese ein Werkzeug in Händen Washingtons sei, wäre eine Einladung Kubas zum Wiedereintritt doch ein Beschluß, der über eine symbolische Geste weit hinausgeht.

Die US-Regierung hat solchen Bestrebungen bereits eine klare Absage erteilt. Außenministerin Hillary Clinton unterstrich vor dem außenpolitischen Ausschuß des US-Senats, sie werde eine Wiederaufnahme Kubas keinesfalls unterstützen, solange sich Havanna nicht der Charta der OAS unterwirft. Da die Erfüllung dieser Forderung auf ein Ende des kubanischen Gesellschaftssystems hinausliefe, hat die Administration in Washington damit kompromißlose Härte signalisiert. Bislang hat Clinton in allen wesentlichen außenpolitischen Stellungnahmen exakt die Position des Weißen Hauses vertreten, so daß man auch in der Kubafrage von derselben monolithischen Übereinstimmung ausgehen kann.

Falls Barack Obamas in blumigen Worten verheißene Öffnung der Beziehungen zu Lateinamerika oder die Ankündigung, er wolle in Fragen der Migration Kanäle der Kommunikation mit Havanna freimachen, die unter seinem Amtsvorgänger Bush verschlossen wurden, andersgeartete Hoffnungen wecken sollten, bleibe man besser auf der Hut! Washington wird einer Wiederaufnahme Kubas - und sei es auch nur als bloße Einladung - nicht zustimmen und statt dessen durch geschicktes Lavieren erneut versuchen, sich der Nagelprobe zu entziehen. Man darf gespannt sein, ob es den Repräsentanten der lateinamerikanischen Staaten diesmal gelingt, sich nicht von den Sirenengesängen betören zu lassen und statt dessen Konsequenzen zu ziehen.

27. Mai 2009