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LATEINAMERIKA/2217: Polizeimassaker im peruanischen Amazonasgebiet (SB)


Regierung befördert Ausbeutung durch transnationale Konzerne


Im peruanischen Amazonasgebiet haben schwere Zusammenstöße zwischen Spezialeinheiten der Polizei und protestierenden Indígenas offiziellen Angaben zufolge rund 50 Todesopfer gefordert. Während auf Regierungsseite von 23 getöteten Polizisten und neun toten Demonstranten die Rede war, sprachen die Protestierenden von bis zu 30 Toten in ihren Reihen. Es handelt sich um die blutigsten Auseinandersetzungen seit der weitgehenden Zerschlagung der maoistischen Guerilla des Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) zu Beginn der 1990er Jahre. Alan García, der während seiner ersten Präsidentschaft von 1985 bis 1990 Hunderte Rebellen in den Gefängnissen von El Frontón, Lurigancho und Los Molinos ermorden ließ und seit 2006 wieder im Amt ist, hat die Stärke des aktuellen Widerstands offenbar völlig falsch eingeschätzt.

Am 9. April hatten die Proteste der Indígenas begonnen, die seither in den fünf Provinzen Cusco, Ucayali, Loreto, San Martín und Amazonas Straßen, Flüsse und Erdölanlagen blockieren, um gegen Dekrete des Präsidenten zu protestieren, welche die Ausbeutung ihrer Territorien neu regeln. García will die Gesetzgebung an den Freihandelsvertrag zwischen Peru und den USA anpassen und transnationalen Konzernen den Zugang zu den Öl- und Gasreserven in der Amazonasregion öffnen. Es geht dabei insbesondere um die forstwirtschaftliche Nutzung, die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen und die Wasserrechte in den Territorien, welche die 65 indígenen Völker des peruanischen Amazonasgebiets seit vielen Generationen bewohnen. Die indígenen Gemeinden sehen ihre Lebensgrundlagen bedroht und lehnen die Privatisierung der Wälder und Wasserreserven ab. (NZZ online 08.06.09)

Nach den wochenlangen Protesten kam es in den vergangenen Tagen zu einer Eskalation, die von den Sicherheitskräften herbeigeführt wurde. Als Spezialeinheiten am frühen Freitagmorgen versuchten, eine Straßensperre nahe der Stadt Bagua, an der sich bis zu 5.000 Menschen versammelt hatten, gewaltsam zu räumen, starben im Verlauf stundenlanger Kämpfe nach Regierungsangaben neun Polizisten und sieben Demonstranten. (junge welt 08.06.09)

Einem Bericht des alternativen Radiosenders La Voz de la Selva zufolge wurden die Demonstranten zunächst von Hubschraubern aus mit Tränengas und scharfer Munition beschossen, worauf schwerbewaffnete Polizisten am Boden vorrückten und ebenfalls Schußwaffen einsetzten. Diese Version bestätigte Alberto Pizango, der Vorsitzende der wichtigsten Indígena-Organisation Aidesep, in einer Erklärung vor der Auslandspresse in Lima, in der er der Regierung Genozid vorwarf. Er versicherte, daß die Protestierenden über keine Schußwaffen verfügt hätten, sondern nur über ihre traditionellen Messer und Speere. "Wir haben 45 Tage lang friedlich demonstriert und eine solche Reaktion nicht erwartet, vor allem nicht solch einen Luft- und Bodenangriff. Die Regierung hat Kriegswaffen eingesetzt, als wenn wir Verbrecher wären. Deshalb verurteilen die indigenen Völker diesen Vorgang als Völkermord." Gegen Pizarro wurde inzwischen ein Haftbefehl wegen Konspiration und Aufruhr ausgestellt. Er ist jedoch untergetaucht und soll nach Bolivien entkommen sein.

Daraufhin verlagerten sich die Auseinandersetzungen in die Städte Bagua, Bagua Grande und Jaén, wo eine Reihe öffentlicher Gebäude gestürmt und in Brand gesteckt wurden. In einer Erdölanlage der staatlichen PetroPerú wurden 38 Polizisten als Geiseln genommen, worauf bei einer gewaltsamen Befreiungsaktion durch die Sicherheitskräfte neun Polizisten starben und sieben zunächst als vermißt galten. Auch die genaue Zahl der dabei getöteten Indígenas ist noch nicht bekannt.

Kritik an der Regierung wurde auch aus Kreisen der Opposition laut. Sowohl Garcías Vorgänger Alejandro Toledo, als auch Ollanta Humala, der bei den letzten Präsidentschaftswahlen in der Stichwahl unterlegen war, verurteilten den Angriff auf die Demonstranten scharf. Der Generalsekretär der Peruanischen Kommunistischen Partei (PCP), Roberto de la Cruz Huamán, geißelte das von der Regierung angeordnete Massaker. Statt auf die Forderungen der Völker Amazoniens einzugehen, greife das Regime zur Gewalt gegen wehrlose Bürger. Die Menschenrechtsorganisation Aprodeh warf dem Regierungschef vor, er sei gegen die Indígenas wie gegen eine ausländische Besatzungsmacht vorgegangen.

Die Regierung verhängte eine Ausgangssperre in der betroffenen Region und erklärte, eine kleine Minderheit von ein paar Hunderttausend Eingeborenen hätte kein Recht, einer ganzen Nation die Förderung von Bodenschätzen vorzuenthalten. "Unser Land ist das Opfer einer subversiven Aggression von denjenigen, die keine Wahlen gewinnen können und die Entscheidungen durch Gewalt herbeiführen wollen", polemisierte Präsident García. Wie er behauptete, seien die Indígenas von politischen Feinden der Regierung und von ausländischen Interessen manipuliert worden, die verhindern wollten, daß Peru seine natürlichen Ressourcen ausbeute. Die Polizisten seien mit Methoden, wie sie seinerzeit der Leuchtende Pfad angewendet habe, barbarisch ermordet worden. Die wahren Opfer seien die Polizisten, schloß sich Ministerpräsident Simon der Farce an, der von einem Komplott gegen die Demokratie und die Regierung phantasierte.

8. Juni 2009