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LATEINAMERIKA/2229: Putschisten in Tegucigalpa bieten faulen Kompromiß an (SB)


Abgekartetes Spiel unter der Regie Washingtons?


Gemessen an den unversöhnlichen Tönen der letzten Tage hat die Putschistenregierung in Honduras plötzlich Kreide gefressen. Unerwartet kommt dieser Sinneswandel nicht, konnte man doch davon ausgehen, daß insbesondere die Hegemonialmacht USA ihre Zöglinge in Tegucigalpa hinter den Kulissen zur Räson bringen würde, sofern man nicht ohnehin davon ausgehen will, daß es sich um ein abgekartetes Spiel zur spektakulären Aushebelung des aus Sicht der Herrschaftssicherung zunehmend unerwünschten Präsidenten Manuel Zelaya handelt. Honduras ist das mittelamerikanische Land mit den traditionell engsten Verbindungen zur Übermacht, der seine Eliten unter anderem bei den lancierten Staatsstreichen oder Kriegen in Guatemala und Nicaragua Vasallendienste leisteten. Fluch dieser Tradition ist der einzige permanente US-Stützpunkt auf mittelamerikanischen Boden unweit der honduranischen Hauptstadt, eine tiefe wirtschaftliche Abhängigkeit von den USA und die zweifellos vorhandene Verflechtung auf geheimdienstlichem Gebiet.

Würden die in der berüchtigten "School of the Americas" ausgebildeten Militärs ohne intensive Rücksprache mit ihren US-amerikanischen Pendants und der CIA putschen? Nach Darstellung der Obama-Regierung wurden in den Tagen vor dem Staatsstreich intensive Gespräche geführt, da man die Umsturzgefahr angeblich bannen wollte. Sollte dieses Bemühen auf der Gegenseite so gründlich mißverstanden worden sein? Wenngleich nicht auszuschließen ist, daß die Umstürzler aus dem Ruder liefen, weil sie sich ihrer Sache zu sicher waren, enttäuscht über ausbleibenden Rückhalt waren oder schlicht ihren eigenen Kopf durchsetzen wollten, wirft die jüngste Entwicklung in Honduras doch eine Reihe bislang kaum berührter, geschweige denn beantworteter Fragen auf.

Wie "Übergangspräsident" Roberto Micheletti unmittelbar vor dem Besuch des Generalsekretärs der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), Jose Miguel Insulza, in Tegucigalpa zugestand, sei er bereit, die auf den 29. November angesetzte Präsidentenwahl vorzuziehen, sofern dies zur Entschärfung der Krise beitrage. Auch wolle er ein Referendum über eine Rückkehr des gestürzten Präsidenten Manuel Zelayas für die restlichen Monate seiner Amtszeit nicht ausschließen, wobei die sofortige Abhaltung einer solchen Volksabstimmung allerdings schwierig sei. Andererseits warnte Micheletti den gestürzten Zelaya vor einer baldigen Rückkehr mit den Worten: "Um des Friedens im Lande willen, würde ich es vorziehen, wenn er nicht käme, denn ich will nicht, daß auch nur ein Honduraner einen Tropfen Blut vergießt."

Bislang hat die OAS den Eindruck vermittelt, daß ihr zum Wochenende auslaufendes Ultimatum nicht verhandelbar ist: "Wir hoffen, daß die Putschisten den Schaden, den sie dem Land und der Welt zufügen, erkennen und Präsident Zelaya zurückkehren lassen", forderte Insulza die Wiedereinsetzung Zelayas. Sollten die Machthaber in Tegucigalpa nicht einlenken, werde man über die Suspendierung der Mitgliedschaft von Honduras beraten. Würde die OAS diese Drohung wahrmachen, wäre Honduras das zweite Land nach Kuba, das jemals aus der Organisation ausgeschlossen wurde, die jahrzehntelang ein Werkzeug Washingtons war, sich in jüngerer Zeit aber bis zu einem gewissen Grad von der Bevormundung seitens ihres stärksten Mitglieds und größten Geldgebers emanzipiert hat.

Dabei ist sich Insulza durchaus bewußt, daß im Falle eines Scheiterns seiner Bemühungen die eigentlichen Probleme für die OAS erst beginnen. Will sie ihr Gesicht nicht verlieren, müßte sie Sanktionen verhängen, um die es unter den Mitgliedsländern zweifellos heftige Kontroversen geben würde. Die 33 beteiligten Regierungen angesichts der Frage, auf welche Weise man Druck auf Honduras ausüben sollte, unter einen Hut zu bringen, dürfte sich mit der Aufgabe vergleichen lassen, einen Sack Flöhe zu hüten.

Wer soll Insulza nach Honduras begleiten? Wen soll der Generalsekretär in Tegucigalpa treffen? Mit welchem Verhandlungsspielraum sollte er ausgestattet sein? Wie aus Kreisen der OAS, aber auch von US-amerikanischer und kanadischer Seite verlautete, gab es bezüglich dieser Fragen erhebliche Meinungsverschiedenheiten unter den Mitgliedern. Am Ende reifte der Beschluß, Insulza allein reisen zu lassen, um allen Einwänden gegen unerwünschte Begleiter das Wasser abzugraben. Auch einigte man sich darauf, daß es zu Gesprächen mit Mitgliedern des Parlaments und des Obersten Gerichtshofs kommen müsse, die beide am Umsturz beteiligt waren. Der Generalsekretär beharrte jedoch vor der Abreise darauf, daß er nicht nach Honduras komme, um zu verhandeln, sondern die Rückkehr und Wiedereinsetzung Präsident Manuel Zelayas zu erwirken. (New York Times 03.06.09)

Daß dies nicht verhandelbar sei, hat auch Zelaya selbst bei einer Pressekonferenz in Panama erneut bekräftigt, der seine gewaltsame Ausweisung durch die Streitkräfte und die nachfolgende Wahl einer neuen politischen Führung durch den Kongreß verurteilte. Zugleich rief er seine Anhänger zur Fortsetzung des friedlichen Protests auf, da man derzeit zwar nicht über die Institutionen verfüge, aber die Straße in Beschlag nehmen könne, die der Platz des Volkes sei. In dieser Haltung unterstützen ihn zahlreiche Regierungen Lateinamerikas, die entweder freundschaftlich mit ihm verbunden sind oder zumindest jeden Sturz einer demokratisch gewählten Regierung entschieden verurteilen.

Kanadas Außenminister Peter Kent übernahm einmal mehr die unrühmliche Rolle, die Kastanien für die USA aus dem Feuer der Kontroverse zu holen, indem er den Putsch zwar als Affront gegen die ganze Region bezeichnete, Zelaya aber eine Mitschuld an seinem eigenen Sturz in die Schuhe schieben wollte. Schließlich polarisiere dieser Politiker in hohem Maße die honduranische Gesellschaft und sei nicht nur mit den Militärs, sondern auch dem Kongreß und selbst dem Obersten Gerichtshof aneinandergeraten. Diese Umstände im Vorfeld des Staatsstreichs müßten in die Erwägungen Eingang finden.

Angesichts einer Gesellschaftsstruktur wie der in Honduras, die gespaltener kaum sein könnte, da wenige Familien das Land kontrollieren und die Militärs in ungewöhnlich hohem Maße mit der Wirtschaft verflochten sind, Zelaya eine Polarisierung anzukreiden, ist zwar der Gipfel gezielter Borniertheit, jedoch bekanntlich ein Standardargument gegen jeden Versuch, Macht und Reichtum in Händen weniger auf Grundlage einer in Elend lebenden Bevölkerungsmehrheit ernsthaft in Frage zu stellen.

Die Obama-Administration reiht sich vordergründig in die allgemeine Verurteilung der Ereignisse in Honduras ein, brütet aber seit bald einer Woche noch immer über der Frage, ob die Entmachtung Zelayas tatsächlich die juristischen Voraussetzungen eines Putsches erfüllt. Sollte das nämlich der Fall sein, müßten die US-amerikanischen Hilfsgelder auf Grund der daran gekoppelten politischen Auflagen auf Eis gelegt werden. Studiert man die verhängten Sanktionen Washingtons, fällt dabei sofort ins Auge, daß alle wirksamen Strafmaßnahmen wie eine Unterbrechung des US-Handels, von dem das mittelamerikanische Land in hohem Maße abhängt, oder eben auch die Stornierung der Finanzhilfen vermieden wurden. Auch hat Washington die militärische Zusammenarbeit keineswegs eingestellt, sondern nur hinsichtlich anstehender gemeinsamer Aktivitäten vorübergehend gebremst.

Unter dem Strich hat die US-Regierung ihr Ziel fast schon erreicht: Ein Umsturz in Honduras, den man ihr kaum zur Last legen kann. Elegantere Lösungen wären naheliegender gewesen, doch da man nie ausschließen kann, daß die armen Leute - also die breite Mehrheit der Bevölkerung - Zelaya beim Wort nehmen und ihm den Rücken stärken könnte, damit er tatsächlich durchsetzt, was er ihnen versprochen hat, war die gewaltsame Lösung womöglich doch die gebotene Abkürzung zur Restaurierung der alten Machtverhältnisse.

3. Juli 2009