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LATEINAMERIKA/2257: Politik der Umverteilung in Argentinien gescheitert? (SB)


Perónismus der Kirchners blendet grundlegende Widersprüche aus


Politische Heimat von Néstor und Cristina Fernández de Kirchner, die das Präsidentenamt in Argentinien seit sieben Jahren in der Familie halten, ist der Perónismus, was freilich insofern wenig besagt, als es sich dabei um eine breite Bewegung handelt, die vom linken bis zum rechten Flügel des politischen Spektrums reicht. Néstor Kirchner, der das Land von 2002 bis 2007 erfolgreich regiert hat, konnte die Führung problemlos an seine Ehefrau weitergeben, die nun die grundsätzlichen Widersprüche und taktischen Fehler seiner Ära ausbaden muß. Darüber hat sie so sehr an Ansehen verloren, daß die noch vor zwei Jahren als nahezu unvermeidlich vorhergesagte Fortsetzung der familiären Dynastie im Wahljahr 2011 inzwischen für ausgeschlossen gehalten wird.

Der Aufstieg Néstor Kirchners ist untrennbar mit dem Aufschwung nach dem ökonomischen Zusammenbruch des Jahres 2001 verknüpft, wobei es ihm gelang, eine modifizierte Wirtschaftsordnung und eine unangefochtene politische Führung zu etablieren, die von seinem Amt ausgehend vertikal organisiert war. Er verkörperte lange in seiner Person die Abkehr vom Neoliberalismus, die Überwindung der Krise und die Rückkehr zu Wohlstand und Sicherheit, wobei Mythos und tatsächliche politische Leistung eng miteinander verwoben waren. Er sorgte jedenfalls dafür, daß die wirtschaftliche Wiederbelebung nicht gebremst wurde, und leitete zugleich eine tendentielle Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums zur Bekämpfung der massenhaften Armut ein, die zunächst sehr erfolgreich war, auf Dauer jedoch vor allem den Mittelschichten zugute kam. [1]

Die streng vertikale Struktur des Kirchnerismus ließ eine Teilung der Macht in Gestalt von Allianzen mit anderen politischen Gruppierungen ebenso wenig zu wie eine zunehmende Beteiligung und Einbindung von Organisationen an der Basis. Es handelt sich daher um eine politische Ausrichtung, die durchaus dem linken bürgerlichen Lager zuzuordnen ist, jedoch nicht den Charakter einer trag- und ausbaufähigen gesellschaftlichen Umgestaltung hat. Die Sozialleistungen werden im Rahmen eines klientelistischen Modells gewährt, das die bestehenden Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse nicht in Frage stellt und Basisbewegungen allenfalls funktionalisiert.

Die zunächst frappierenden Erfolge dieser Politik waren kurzlebiger Natur, da sie an eine Phase der Prosperität gekoppelt blieben und der wieder einsetzenden Verschärfung gesellschaftlicher Widersprüche nicht Rechnung tragen konnten. Ab 2006 zeichnete sich immer deutlicher ab, daß die Regierung die galoppierende Inflation verschleierte, bis keinerlei verläßliche Wirtschaftsdaten mehr zugänglich waren, was zunehmende Verunsicherung hervorrief. Als Cristina Fernández de Kirchner 2007 ins Präsidentenamt gewählt wurde, galt die Landbevölkerung als ihre politische Hausmacht. Heute schlägt den Kirchners aus dem Agrarsektor der heftigste Widerstand entgegen, zumal sie den Machtkampf um eine höhere Besteuerung der Exporte verloren haben.

Die Strategie, einen Teil der zunächst noch ergiebigen Profite steuerlich abzuschöpfen und in Sozialreformen und Infrastrukturmaßnahmen zu investieren, stieß zwangsläufig auf erbitterten Widerstand der Großproduzenten und Agrarindustrie. Da die Kirchners weder ein überzeugendes Entwicklungsmodell vorlegen konnten, noch über die erforderlichen Bündnisse verfügten, um ihren Kurs durchzusetzen, verloren sie sowohl den Rückhalt der Mittelschichten, die ihnen nicht mehr trauten, als auch die Unterstützung der armen Leute, die unter rapide steigenden Lebenshaltungskosten litten.

Schon Präsident Juan Domingo Perón, der 1946 erstmals gewählt wurde, griff den Agrarsektor als eine gesellschaftliche Sphäre an, die wenige reiche Familien beherrschten, welche in fundamentalem Widerspruch zu den Interessen der Armen standen. Das von europäischen Einwanderern im 19. Jahrhundert in riesige Haziendas aufgeteilte Land begründete den Ruf Argentiniens als einer der weltweit führenden Exporteure von Getreide und Rindfleisch. Heute steuert die Landwirtschaft 9,5 Prozent zum Bruttosozialprodukt bei und stellt die wichtigsten Ausfuhrprodukte bereit.

Der daraus resultierende Reichtum kam der argentinischen Bevölkerung in höchst ungleicher Weise zugute, da die Exporteure von den steigenden Weltmarktpreisen profitierten, während viele Lebensmittel für einen wachsenden Teil der Argentinier kaum noch erschwinglich waren. Um die Inflation zu dämpfen, die Preise einzufrieren und die Gewinne tendentiell umzuverteilen, führte die Regierung Preiskontrollen, Exportgrenzen und immer höhere Ausfuhrsteuern für bestimmte Erzeugnisse ein, bis es zum offenen Konflikt mit den Agrarverbänden kam, die sich nach monatelangen Kampfmaßnahmen schließlich auch im Parlament durchsetzten. Damit waren die Kirchners nicht nur mit ihren eigenen politischen Ambitionen gescheitert, sondern hatten auch den Kampf für einen sozialen Ausgleich zugunsten der ärmeren Bevölkerungsschichten so gut wie verloren.

Auf die Phase buchstäblich explodierender Weltmarktpreise für landwirtschaftliche Erzeugnisse folgte bekanntlich ein Absturz der Erlöse für Rohstoffe ins Bodenlose, wobei die Weltwirtschaftskrise eine substantielle Belebung auf lange Sicht behindern wenn nicht gar ausschließen dürfte. Was sich für Argentinien jedoch noch viel verhängnisvoller auswirkt, ist eine unerhörte Dürre, wie sie das Land seit 50 Jahren nicht mehr erlebt hat. Die Pampas haben sich von einem endlosen Meer fruchtbarer Getreidefelder und grünender Weiden für riesige Rinderherden in eine braune, vertrockende Ödnis verwandelt, in der kaum noch etwas wachsen will und das Vieh verhungert. [2]

Die Produktion von Weizen ist 2009 auf den tiefsten Stand der letzten hundert Jahre gesunken, so daß aller Voraussicht nach nicht einmal der heimische Bedarf gedeckt werden kann. Seit September 2008 sind Schätzungen zufolge drei Millionen Rinder verendet oder notgeschlachtet worden, was dazu führt, daß im kommenden Jahr möglicherweise Rindfleisch importiert werden muß. Soja gehört zu den wenigen Produkten, deren Anbau nicht zurückgegangen ist, wenngleich auch hier die Erträge und Einkünfte erheblich gesunken sind. Damit setzt sich der Drang zur Sojabohne, der binnen eines Jahrzehnts zur Verdoppelung der Anbaufläche geführt hat, mit erhöhter Geschwindigkeit fort. Das ist verständlich aus Sicht der Produzenten, die verstärkt auf das Erzeugnis mit den absehbar höchsten Profiten setzen, doch zugleich ein verhängnisvoller Trend hin zur Monokultur, die den Boden auslaugt und bei schwankenden Weltmarktpreisen verheerende Risiken birgt.

So hat sich binnen kürzester Fristen der Mythos des diversifizierten und unerschütterlichen Agrarerzeugers, dessen Exporte die Welt versorgen, als ein Haus erwiesen, das auf Sand gebaut war. Die globale Klimaveränderung, als deren Bote man die südamerikanische Dürre wohl auffassen muß, hat fruchtbares Land in eine ausgedörrte Steppe verwandelt. Grundsätzlich erweist sich einmal mehr, wie schwach und gefährdet die Position eines Lieferanten von Rohstoffen bleibt, selbst wenn zwischenzeitlich hohe Weltmarktpreise einen unerschöpflichen Quell sprudelnder Einkünfte suggerieren.

Nicht zuletzt zeichnet sich in Argentinien ein deutlicher Rechtsruck ab, da die linksperonistische "Front für den Sieg" der Kirchners im Juni bei den Zwischenwahlen zur Mitte der präsidialen Amtszeit in beiden Kammern des Kongresses die Mehrheit verloren hat und im Abgeordnetenhaus auf 22 Mandate verzichten muß. Neu gewählt wurde die Hälfte der Mitglieder des Abgeordnetenhauses und ein Drittel der Senatoren, so daß dieser Urnengang den Charakter einer Zwischenbilanz des jeweiligen Staatschefs und der Regierung hat. Diese fiel für Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner und ihren Mann Néstor verheerend aus. Hatte die Staatschefin bei ihrem Wahlsieg 47 Prozent der Stimmen erhalten, so stimmten nun bei der Parlamentswahl nur noch knapp 30 Prozent für ihre Partei. Ihr Handlungsspielraum im Kongreß ist damit beträchtlich eingeengt, da sie gegen eine oppositionelle Mehrheit regieren muß. Nach der Niederlage trat Néstor Kirchner von seinem Amt als Vorsitzender der Peronisten-Partei PJ zurück. Ans Ruder kamen vor allem neokonservative Kräfte, weshalb sich die mächtigen Agrarproduzenten und Exporteure trotz der gegenwärtigen Krise die Hände reiben können: Die Umverteilungspolitik der Regierung scheint auf ganzer Linie zurückgeschlagen zu sein, so daß die Besitzverhältnisse ungetastet bleiben.

Anmerkungen:

[1] The Fall of the House of Kirchner? Return of the Right in Argentina (31.07.09)
Counterpunch

[2] Argentina: Farming crisis batters world food provider (09.08.09)
http://www.csmonitor.com/2009/0812/p06s11-woam.html

14. August 2009