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LATEINAMERIKA/2280: Büchse der Pandora in Tegucigalpa geöffnet (SB)


Eskalierende Repression gegen Zelaya und die Bewegung des Widerstands


Mit dem Kalkül, den Fortbestand ihrer Herrschaft durch einen Staatsstreich zu sichern, haben die honduranischen Eliten die Büchse der Pandora eskalierender Repression geöffnet. Dies zeigt sich um so mehr nach der Rückkehr Manuel Zelayas, den zu verhindern die vordringlichste taktische Maßgabe der Putschisten gewesen war. Ob sich die brasilianische Botschaft in Tegucigalpa als sicherer Zufluchtsort oder im Gegenteil als letzte Bastion des Präsidenten erweist, ist derzeit ungewiß.

Aus dem belagerten Botschaftsgebäude richtete Zelaya einen Hilferuf an die internationale Gemeinschaft: "Wir haben eine Botschaft des Dialogs und des Friedens, doch sie haben uns mit Schüssen, Tränengas und Unterdrückung empfangen. Wir suchen das Gespräch und ihre Antwort ist Krieg. Wir werden belagert und gekidnappt von einem Regime, das unsere Rechte und unsere Freiheit mit Gewalt außer Kraft setzt." [1]

Wie der Präsident dem staatlichen spanischen Rundfunk RNE sagte, sei er seines Lebens nicht sicher: "Wir befürchten, daß bewaffnete Söldner die Botschaft stürmen, um uns zu ermorden." Bei der Suche nach einem Ausweg aus der Krise sei er grundsätzlich zu einem Dialog bereit. Er fügte jedoch einschränkend hinzu, daß "mit Terroristen, die das Land als Geisel nehmen", ein Dialog nicht möglich sei. [2]

Seit der überraschenden Heimkehr Zelayas herrscht in Honduras der Ausnahmezustand. Sicherheitskräfte gingen mit Wasserwerfern, Tränengas, Pfefferspray, Knüppeln, Gummigeschossen und teilweise auch scharfen Schüssen gegen die Menschen vor, die sich zum Schutz des Präsidenten vor der brasilianischen Botschaft versammelt hatten. Nach offiziell nur teilweise bestätigten Berichten wurden dabei zwei Menschen getötet, wobei Zelaya sogar von zehn Toten sprach. Auch an anderen Orten führte die Polizei Razzien durch, um die dezentrale Organisation des Widerstands zu behindern und die Menschen einzuschüchtern.

In den Krankenhäusern der Hauptstadt werden zahlreiche Verletzte behandelt. Wie zunächst festgenommene und später wieder freigekommene Demonstranten berichteten, haben die Sicherheitskräfte Hunderte Anhänger Zelayas in einem Sportstadion interniert, wo sie weder Wasser oder Nahrung noch medizinische Versorgung hätten und Sonne und Regen schutzlos ausgeliefert seien. Dies erinnert zwangsläufig an die Schrecken der Diktatur in Chile und anderen Ländern Südamerikas und läßt ahnen, wie weit zu gehen die Putschisten inzwischen bereit sind.

Wenngleich die Anhänger des legitimen Staatschefs zunächst zurückgedrängt worden waren, versuchen sie doch immer wieder, die Polizeisperren zu durchbrechen. Die Demonstranten in Tegucigalpa kündigten an, sie wollten ihren Protest so lange fortsetzen, bis Zelaya die Botschaft Brasiliens verlassen könne und wieder ins Präsidentenamt eingesetzt werde.

Als die Putschregierung die seit Montag geltende Ausgangssperre für einige Stunden aussetzte, damit sich die Bevölkerung mit Lebensmitteln eindecken konnte, stürmten die Menschen Geschäfte, Apotheken, Banken und Tankstellen, um sich mit dem Notwendigsten zu versorgen. Panisch wurden Hamsterkäufe getätigt, vielerorts herrschten chaotische Zustände und vereinzelt kam es zu Plünderungen von Läden.

Die internationale Journalisten-Organisation "Reporter ohne Grenzen" prangerte verschärfte Zensurmaßnahmen an, da die wenigen unabhängigen Medien im Land bedroht oder mit Stromsperren außer Betrieb gesetzt werden.

International ist Honduras isolierter als je zuvor. Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva forderte in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung in New York die Wiedereinsetzung Zelayas als Präsident. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon äußerte Zweifel an der Ende November geplanten Präsidentenwahl in Honduras und erklärte, unter den derzeitigen Bedingungen seien glaubwürdige Wahlen nicht möglich. In dem mittelamerikanischen Land herrsche politische Instabilität und unter der Micheletti-Regierung sei es zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gekommen. Die Vereinten Nationen setzten ihre Zusammenarbeit mit der Wahlbehörde von Honduras aus.

Die EU und die Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) kamen überein, die im Juli aus Honduras abberufenen Botschafter wieder dorthin zurückzuschicken. Dies geschehe auf Bitten Zelayas, teilte der spanische Außenminister Miguel Angel Moratinos mit. Man wolle sich wieder stärker vor Ort einbringen, um die Krise zu beenden. Mit diesem Schritt solle Zelayas des Amtes enthobene Regierung unterstützt werden, unterstrichen Moratinos und OAS-Generalsekretär José Miguel Insulza am Rand der UN-Vollversammlung.

Unterdessen flüchtet sich der sogenannte Interimspräsident Roberto Micheletti zunehmend in eine Sphäre trotziger Durchhalteparolen und der Legitimation des Regimes durch höhere Gewalt: "Ich versuche permanent, nahe bei Gott zu sein. Außerdem haben wir die Verfassung, die unser Handeln deckt. Ich glaube, keine Nation der Welt kann stärker sein als der Wille Gottes. Wir stehen allein da, aber wir überleben."

Wie brisant dieser Realitätsverlust der Putschisten mit Blick auf die Unberechenbarkeit ihrer weiteren Vorgehensweise ist, liegt auf der Hand. Ihre ohnehin zwiespältige Lage, mit der Entmachtung Zelayas diversen Führungsmächten einen Dienst zu erweisen, der offiziell jedoch keineswegs honoriert, sondern unisono verurteilt wird, droht vollends in die Ausübung exzessiver Gewalt zu münden. Will man von einer wachsenden Irrationalität des Regimes sprechen, so ist diese weniger ein Eigengewächs anachronistischer Herrschaftsausübung in Honduras, als vielmehr das Schicksal subalterner Handlanger Washingtons, die heute als Verbündete hofiert und morgen als Feindbilder entsorgt werden.

Anmerkungen:

[1] Weiter Krawalle in Honduras. Mindestens zwei Demonstranten getötet (24.09.09)
http://www.tagesschau.de/ausland/zelaya146.html

[2] Gestürzter Präsident Zelaya fürchtet um sein Leben (24.09.09)
http://www.welt.de/politik/ausland/article4605734/Gestuerzter- Praesident-Zelaya-fuerchtet-um-sein-Leben.html

24. September 2009