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LATEINAMERIKA/2359: Argentinien macht Briten koloniales Erbe streitig (SB)


Länder Lateinamerikas unterstützen Buenos Aires im Malvinas-Konflikt


Wie alle Besitztümer repräsentiert auch jene Inselgruppe im Südatlantik, die von den Argentiniern als Islas Malvinas für sich beansprucht, von den Briten jedoch als Falklandinseln ihnen zugehörig erachtet wird, einen mehr oder minder geronnenen Ausdruck bestehender Herrschaftsverhältnisse. Rund 500 Kilometer vor der Küste Argentiniens gelegen, mutet der Archipel auf den ersten Blick in geographischer Hinsicht wie ein vorgelagerter Teil des südamerikanischen Landes an. Bewohnt werden die Eilande andererseits fast ausschließlich von britischstämmigen Siedlern, die nicht unter argentinischer Oberhoheit leben wollen.

Ein Blick in die Geschichte offenbart die Wechselfälle kolonialer und imperialistischer Kämpfe, aus denen Britannien bislang als Sieger hervorgegangen ist. Angeblich wurde der Archipel 1592 von einem britischen Segler entdeckt, was nicht mehr oder weniger bedeutet, als daß er bis dahin kein Objekt der Inbesitznahme war. Die Inselgruppe befand sich zeitweilig in französischem, spanischem und englischem Besitz. Spanien zog sich 1811 von den Islas Malvinas zurück, doch ist Buenos Aires der Auffassung, daß die Spanier ihre Souveränität über die Inseln nie aufgegeben haben. Argentinien leitet daraus seine Ansprüche in Rechtsnachfolge nach der Entkolonialisierung ab.

Die Argentinier erhoben seit ihrer Unabhängigkeit im Jahr 1816 ihrerseits Anspruch auf die Malvinas. Als sie jedoch wenig später den Versuch unternahmen, eine Kolonie auf den Inseln zu gründen, wurde dies 1831 von den USA mit militärischen Mitteln beendet. 1833 errichteten die Briten dort einen Flottenstützpunkt, wobei sie sich heute in ihren Ansprüchen darauf berufen, daß es sich bei der Besetzung durch das britische Königreich um "herrenloses" Gebiet gehandelt habe. Nachdem ihnen die Falklandinseln 1835 endgültig zugeschlagen worden waren, reklamierten sie zwar in der Folge einen dauerhaften Besitzstand für sich, der als Erbe kolonialistischer Expansion jedoch seit dessen weltweitem Niedergang keineswegs unumstritten ist. [1]

Im Jahr 1982 führte der oberste Machthaber der argentinischen Junta, General Leopoldo F. Galtieri, sein Land in den Krieg um die Malvinas, der am 2. April mit der Invasion begann und nach 74 Tagen mit dem Sieg des übermächtigen britischen Kontingents endete. Im Zuge der Kampfhandlungen starben 649 argentinische und 255 britische Soldaten sowie drei Inselbewohner. Die außerordentlich grausam geführten Kämpfe und düsteren Geheimnisse dieses Kräftemessens am Ende der Welt sind der Öffentlichkeit bis heute nicht in vollem Umfang bekannt. Als unbestritten gilt, daß beide Regierungen diesen Krieg in erster Linie führten, um von innenpolitischen Problemen abzulenken, was der argentinischen Militärdiktatur so gründlich mißlang, daß dieses Debakel ihr Ende beschleunigte. Hingegen stärkte die britische Premierministerin Margret Thatcher ihren Ruf als "Eiserne Lady", indem sie 110 Schiffe mit 28.000 Soldaten entsandte, um die fernen Inseln zurückzuerobern, auf denen nur 3.000 Einwohner lebten.

Wie General Galtieri einräumte, habe er nicht mit einem britischen Eingreifen gerechnet. Dem fügte später der ehemalige Gouverneur der Falklandinseln, Rex Hunt, hinzu, erst Galtieris Dummheit habe sichergestellt, daß die Inselgruppe unter britischer Herrschaft blieb. Ohne die Invasion wären die Falklandinseln vermutlich im Zuge einer späteren Klärung Argentinien zugeschlagen worden. Diese Aussage belegt, daß die Besitzverhältnisse auch auf britischer Seite keineswegs für eindeutig erachtet wurden und man dort nicht ausschloß, den Archipel durch eine international wirksame Entscheidung zu verlieren. Die erbitterte Feindschaft der Kriegsparteien führte dazu, daß die beiden Länder erst 1990 wieder diplomatische Beziehungen aufnahmen. Diese bleiben jedoch problematisch, da Argentinien weiterhin Souveränität über die unter britischer Hoheit stehenden Inseln beanspruchte.

Wurden dort in der Vergangenheit vor allem Schafe gezüchtet, so gewann in jüngerer Zeit auch der Fischfang in den umliegenden Gewässern angesichts weltweit schrumpfender Bestände zunehmend an Bedeutung. Geopolitisch wuchs die Relevanz der Inselgruppe bedeutsam, seitdem das Rennen um die Ausbeutung der Antarktis an Schärfe zugenommen hat und die Anrainerstaaten ihr Vorrecht geltend machen. Fast 30 Jahre nach dem Krieg zwischen Britannien und Argentinien hat sich der Konflikt nun mit neuer Wucht zugespitzt, seitdem die Erkundung und Erschließung der dort vermuteten Ölvorkommen konkrete Züge angenommen haben. Geologen gehen davon aus, daß unter dem Meeresboden in mehreren Feldern Rohölreserven von bis zu 60 Milliarden Barrel lagern, womit die Vorkommen nicht nur die der Nordsee um ein Vielfaches überträfen, sondern nur ein Viertel unter den Ressourcen von Ghawar in Saudi-Arabien lägen, bei dem es sich um das größte bekannte Ölfeld der Welt handelt.

Wenngleich sich beide Regierungen auch des Symbolwerts bedienen und demonstrativ Stärke zeigen, um innenpolitisch davon zu profitieren, geht es doch beim Streit um die Inselgruppe diesmal überwiegend um die enorme Beute, die aus der Kontrolle dieses Archipels zu erwachsen verspricht. Einen weiteren Krieg wird es indessen aller Voraussicht nach nicht geben, da Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner bewaffnete Reaktionen kategorisch ausgeschlossen hat und den Streit mit diplomatischen Mitteln zu lösen hofft. [2]

Wie sie jedoch betonte, sei das Thema "keine Laune, sondern eine Sache der Selbstverteidigung". Es gehe nicht nur um Souveränitätsrechte, sondern eben auch um Ressourcen. Ihr Land werde unter Berufung auf das internationale Recht darauf bestehen, daß seine Souveränität über die Archipele des Südens bestätigt wird. Zuvor hatte die Präsidentin per Dekret verfügt, daß Schiffe, die durch argentinische Hoheitsgewässer zu den Inseln fahren, eine Sondergenehmigung brauchen. Diese Maßnahme sei Teil der Strategie zur Verteidigung legitimer Rechte, erklärte der stellvertretende Außenminister Victorio Taccetti. Großbritannien versuche, "einseitig und illegal Rohstoffe abzubauen, die der Republik Argentinien gehören". Sein Land werde Mittel finden, diesen Vorgang auf friedlichem Wege zu stoppen.

Der britische Premierminister Gordon Brown erneuerte dieser Tage die Drohung, man habe alle nötigen Vorbereitungen getroffen, um die Bewohner "anständig zu schützen". Während 1982 nur 80 Royal Marines auf den Falklands stationiert waren, beherbergt heute ein Militärstützpunkt 2.000 britische Soldaten, Boden-Luft-Raketen und vier Eurofighter. Hinzu kommen Kriegsschiffe zur Sicherung des Umfelds. Boulevardblätter wie die "Sun" berichten reißerisch, daß weitere Einheiten der Royal Navy auf dem Weg seien, um es den Argentiniern noch einmal zu zeigen. Verteidigungsstaatssekretär Bill Rammell sagte in London, Großbritannien werde "alle notwendigen Schritte" gehen, um die Inseln zu verteidigen. Diese hätten ein legitimes Recht, die Ölindustrie in ihren Gewässern zu entwickeln, und Großbritannien habe Argentinien das auch verdeutlicht. [3]

Nach den Worten von Außenminister David Miliband sieht sich die britische Regierung völlig "im Einklang mit dem Völkerrecht". Es stehe daher niemandem zu, den beteiligten Firmen die Pläne zu verbieten. In dieser Frage weiß sich die Regierung ausnahmsweise einig mit der konservativen Opposition. Wie der verteidigungspolitische Sprecher der Tories, Liam Fox, martialisch wetterte, werde keine noch so große Einschüchterung den "fundamentalen Aspekt der Selbstbestimmung ändern". [4]

Man erwarte "riesige Gewinne für die beteiligten Firmen, die Falkland-Inseln und Britannien", hatte die Geschäftsleitung von Falkland Oil and Gas schon Ende vergangenen Jahres verkündet. Nach dreimonatiger Reise über eine Strecke von mehr als 7.000 Seemeilen von Schottland durch den Atlantik hat die 25 Jahre alte Ölplattform "Ocean Guardian" die Gewässer etwa hundert Kilometer nördlich der Malvinas erreicht und dort im Auftrag des Ölmultis Desire Petroleum mit den Arbeiten an vier Bohrlöchern begonnen. Die Probebohrungen reichen nach Angaben des Konzerns rund 3.500 Meter tief und sollen in 30 Tagen abgeschlossen sein. Die Plattform befinde sich "eindeutig in britischen Gewässern", teilte das Unternehmen mit. Neben Desire Petroleum wollen mit Falkland Oil & Gas, Rockhopper und Borders & Southern Petroleum drei weitere britische Ölfirmen vor der Inselgruppe bohren.

Die argentinische Regierung betrachtet die Bohrungen als illegal und unterstreicht ihren Anspruch auf die Inselgruppe samt der umliegenden Ressourcen. Ein zwischen beiden Ländern bestehender Vertrag zur Erforschung der Öl- und Gasvorkommen wurde 2007 von Argentinien gekündigt. Die Vereinten Nationen drängen Britannien seit Jahren, Gespräche mit Argentinien über die Souveränitätsfrage des 12.000 Quadratkilometer großen Archipels aufzunehmen und von einseitigen Aktionen abzusehen.

Inzwischen ist der argentinische Außenminister Jorge Taiana in New York mit UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon zusammengetroffen, um ihm zu erläutern, was sein Land gegen die britischen Ölbohrungen einzuwenden hat. Wie Taiana nach dem Gespräch berichtete, habe er den Generalsekretär gebeten, in London auf einen Verzicht auf "weitere einseitige Aktionen" zu dringen. Argentinien sei bereit, Verhandlungen über den Status der Inseln aufzunehmen. Er berief sich auf mehrere Resolutionen der UNO aus dem Jahr 1982, in denen seinem Land das territoriale Recht auf die Inselgruppe zugesprochen wurde. Der Einsatz britischer Bohrgeräte sei ein Verstoß gegen diese Resolutionen und damit gegen internationales Recht. Der argentinische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Jorge Arguello, erhob den Vorwurf der Kriegstreiberei gegen bestimmte Kreise in Großbritannien. Zugleich kündigte er an, die Regierung in Buenos Aires werde "angemessene Maßnahmen" zur Verhinderung der britischen Bohrungen vornehmen. Hingegen erklärte der britische UNO-Botschafter Mark Lyall Grant, sein Land habe keine Zweifel an der Zugehörigkeit der Inseln zu Großbritannien.

Auf dem Gipfel der sogenannten Rio-Gruppe im mexikanischen Cancún stärkten die Vertreter der 32 vertretenen Staaten aus Lateinamerika und der Karibik Argentinien den Rücken. Sie versicherten Buenos Aires ihrer bedingungslosen Unterstützung in diesem Konflikt und verurteilten die Pläne Londons. Stellvertretend für die gesamte Region bekräftigte Mexikos Staatschef Felipe Calderón als Gastgeber der Konferenz die "legitimen Rechte der Republik Argentinien in dem Souveränitätsstreit mit Großbritannien".

Boliviens Präsident Evo Morales verlieh in einem Interview seiner Überzeugung Ausdruck, daß sich "ganz Lateinamerika und die Karibik mit Argentinien vereinigen wird, um die Islas Malvinas zu verteidigen". Wie er weiter erklärte, seien die Imperien gescheitert, zu denen auch das britische gehöre. Dennoch versuchten sie weiter, Lateinamerika ihre Bedingungen zu diktieren. Aus diesem Grund sei es so wichtig, sich zusammenzuschließen, hob der bolivianische Staatschef hervor.

Der venezolanische Präsident Hugo Chávez sicherte Argentinien im Falle eines weiteren bewaffneten Konflikts mit Großbritannien seine Unterstützung zu. Er forderte das Königreich auf, nicht nur seine Bohrinsel abzuziehen, sondern das Archipel an Argentinien zurückzugeben. In seiner Rundfunksendung rief er: "Königin von England, die Zeit der Imperien ist vorüber. Hast du das nicht bemerkt? Gib die Malvinas an das Volk von Argentinien zurück!"

Anmerkungen:

[1] Öl und Kapital. Englische Firma hat Bohrarbeiten vor Malwinen begonnen. Staaten der Rio-Gruppe unterstützen Argentinien (24.02.10)
junge Welt

[2] Falkland-Inseln: Argentinien trägt Streit vor die UNO (24.02.10)
http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/542045/index.do?_vl_backlink=/home/politik/aussenpolitik/index.do

[3] Ölstreit mit Briten: Argentinien will Falklands "verteidigen" (24.02.10)
http://orf.at/100223-48348/?href=http%3A%2F%2Forf.at%2F100223-48348%2F48349txt_story.html

[4] Falklandinseln. Briten bohren, Argentinien schimpft (24.02.10)
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/2347277_Briten-bohren-Argentinien-schimpft.html

25. Februar 2010