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LATEINAMERIKA/2368: Zugewinn der Rechtsparteien bei Parlamentswahl in Kolumbien (SB)


Massive Manipulationen schließen reguläres Votum aus


Wenn in Kolumbien gewählt wird, repräsentiert das Ergebnis in besonders hohem Maße das Votum gesellschaftlich dominanter Kräfte und Schichten. Das ist zum einen darauf zurückzuführen, daß der jahrzehntelange Bürgerkrieg insbesondere die ärmeren Bevölkerungsteile unablässig drangsaliert, fragmentiert und ausgegrenzt hat, weshalb von einer konsistenten Artikulierung und Durchsetzung ihrer Interessen kaum noch die Rede sein kann. Zum andern finden bei kolumbianischen Urnengängen massive Manipulationen statt, die eigentlich zu einer Annullierung des Resultats führen müßten. So kam das Meinungsforschungsinstitut Galup zu dem Ergebnis, daß nicht weniger als 29 Prozent der Kolumbianer ihre Stimme bei Wahlen verkauft haben. Die meisten von ihnen wurden mit Sachleistungen entgolten, und sieben Prozent sollen sogar Bargeld erhalten haben.

Wenngleich diese Praxis weithin bekannt ist, kommt es zu keiner Revision der Wahlgänge und nur in seltenen Fällen zu einer Strafverfolgung der Täter. Nach den Kommunalwahlen des Jahres 2007 im nordöstlichen Bundesstaat Antioquia wurden von 1.000 Anzeigen wegen derartiger Manipulationen lediglich sieben von der Staatsanwaltschaft weiter verfolgt. In allen Regionen, die von paramilitärischen Gruppen kontrolliert werden, kann von einem regulären Votum keine Rede sein. Dort wird die Bevölkerung gezwungen, entweder für Kandidaten zu stimmen, die dafür bezahlt haben, oder ihnen wie Präsident Álvaro Uribe politischen Schutz gewähren. Da die breite Mehrheit solcher Kandidaten zur regierenden Koalition des Staatschefs gehört, fließen ihr in diesen Landesteilen die meisten gekauften oder erzwungenen Stimmen zu. [1]

Zwei Monate vor der Präsidentenwahl in Kolumbien waren etwa 30 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, bei der Parlamentswahl 102 Sitze im Senat und 166 im Abgeordnetenhaus neu zu vergeben. Zudem wurden auch die Abgeordneten für das Andenparlament gewählt und durch Vorwahlen die Kandidaten des konservativen Lagers und der Grünen für die Präsidentschaftswahlen bestimmt. Derzeit verfügen die Parteien, die Präsident Uribe unterstützen, über rund 60 Prozent der Sitze im Parlament. Zwischenergebnissen zufolge zeichnet sich eine Führung der rechtsgerichteten Parteien ab. Nach der Auszählung von 50 Prozent der Stimmen stellen die Partei Álvaro Uribes und die Konservative Partei als ihr wichtigster Bündnispartner bis jetzt 47 Prozent im Senat und 37 Prozent im Abgeordnetenhaus. Sollten sich diese Zahlen bestätigen, hätte die Partei der Nationalen Einheit ihr Ergebnis vom letzten Mal deutlich verbessert. Uribes Regierung wird bislang zudem von mehreren kleineren Gruppierungen unterstützt.

Nicht minder bestürzend ist das Ergebnis der neuen Partei der Nationalen Integration, deren Kandidaten Kontakte zu ehemaligen Paramilitärs nachgesagt werden: Diese Gruppierung erreichte aus dem Stand knapp acht Prozent im Senat. Hingegen liegt die oppositionelle Liberale Partei nur bei 16,5 Prozent im Ober- und 12,7 Prozent im Abgeordnetenhaus und der Polo Democrático Alternativo (PDA) bei 6,7 Prozent. Da die Stimmen von Hand ausgezählt werden, wird die Bekanntgabe des offiziellen Endergebnisses erst im Laufe des heutigen Montags erwartet. [2]

Nach Angaben einheimischer und internationaler Wahlbeobachter ist es auch diesmal zu massiven Stimmenkäufen gekommen. Schon im Vorfeld der Parlamentswahl waren Absprachen zwischen Kandidaten und rechtsgerichteten Paramilitärs bekanntgeworden. Demnach sollen die Paramilitärs den Politikern gegen Straffreiheit ihre Unterstützung zugesichert haben. Wie der Chef der Beobachtermission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), Enrique Correa, nach Schließung der Wahllokale berichtete, sei beim aktuellen Urnengang nicht die Gewalt, sondern das weit verbreitete Phänomen des Stimmenkaufs das gravierendste Problem gewesen. So hätten Mitglieder seiner Mission beobachtet, wie alte und behinderte Menschen zur Stimmabgabe für einen bestimmten Kandidaten genötigt wurden. In anderen Fällen hätten sich Wähler für ihr Votum bezahlen lassen. Nach den Worten des kolumbianischen Wahlbeobachters Pedro Santana waren vom Stimmenkauf vor allem die Hochburgen der früheren Todesschwadrone im Nordwesten des Landes betroffen. Seines Erachtens hätten in diesem Landesteil die meisten Stimmenkäufer auf Rechnung der rechtsgerichteten ehemaligen oder aktiven Paramilitärs gearbeitet. [3]

Die Wahlen, zu denen knapp 30 Millionen Kolumbianer aufgerufen waren, fanden unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. "Die Sicherheitskräfte unternehmen besondere Anstrengungen, und wir hoffen, daß alles gut ausgeht für die Demokratie in unserem Heimatland", hatte Präsident Uribe vor der Wahl erklärt. Rund 440.000 Soldaten und Polizisten bewachten den Urnengang, dem ein für kolumbianische Verhältnisse normaler und ruhiger Verlauf attestiert wurde. [4]

Frei von Gewalttaten waren auch diese Wahlen nicht, da es zu Attentatsversuchen und zahlreichen Festnahmen kam. In den Tagen zuvor waren einige Autobomben und andere Sprengsätze rechtzeitig entschärft worden. Bei Gefechten mit der FARC wurde im Südwesten des Landes ein Soldat getötet. Nach Angaben der Nachrichtenagentur EFE starb im nordöstlichen Antioquia ein mutmaßliches Mitglied der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC). Offenbar wollte der Mann eine Autobombe präparieren, die jedoch vorzeitig explodierte. In Arauca nahe der venezolanischen Grenze wurde von der Polizei ein weiterer Sprengsatz in einem Fahrzeug entschärft. Nahezu 30 Personen wurden unter dem Vorwurf festgenommen, sie hätten "Wahldelikte" begangen.

Bei den Parlamentswahlen vom Wochenende verfügten mindestens 80 Kandidaten über enge Verbindungen zu den Paramilitärs. Gegen 90 amtierende Senatoren und Abgeordnete wird derzeit wegen derartiger Vorwürfe ermittelt. Erst am vergangenen Donnerstag ließ die Staatsanwaltschaft 25 weitere Bürgermeister verhaften, die bei den Kommunalwahlen derartige Allianzen mit den Paramilitärs eingegangen sein sollen.

In der vergangenen Legislaturperiode wurde das kolumbianische Parlament von dem Skandal um die sogenannte "Parapolitica" erschüttert, also der Zusammenarbeit zwischen hochrangigen Politikern und rechtsgerichteten paramilitärischen Gruppen. Bislang sind rund 30 Abgeordnete ins Gefängnis gewandert, während 20 weitere ihr Mandat niedergelegt haben. Obgleich es sich in den meisten Fällen um Abgeordnete aus dem Lager Uribes handelt, konnte es der Staatschef verhindern, von diesem Skandal erfaßt zu werden, der bis in sein engstes privates und politisches Umfeld hineinreicht.

Álvaro Uribe ist vor allem bei der wohlhabenderen urbanen Bevölkerung beliebt, weil unter seiner Präsidentschaft die linksgerichtete Guerillaorganisation FARC weitgehend aus den großen Städten vertrieben wurde. Bei der Präsidentschaftswahl Ende Mai kann Uribe, der beste Aussichten auf eine Wiederwahl gehabt hätte, jedoch nicht mehr antreten. Nach der Verfassung darf der Staatschef kein drittes Mal in Folge antreten, und das Verfassungsgericht hatte jüngst ein von der Regierung geplantes Referendum untersagt, das dem rechtsgerichteten Politiker eine dritte Kandidatur ermöglichen sollte. Favorit ist nun Uribes Vertrauter, der frühere Verteidigungsminister Juan Manuel Santos. Dessen ungeachtet könnte sich bei den Vorwahlen der Konservativen möglicherweise ein Kandidat durchsetzen, der eine größere Distanz zu Uribe sucht. Da sich in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl sechs Kandidaten um dessen Nachfolge bewerben, steht zumindest im Falle einer Spaltung des rechten Lagers Santos nicht von vornherein als Sieger fest. Allerdings dürfte kaum zu verhindern sein, daß Álvaro Uribe künftig hinter den Kulissen die Fäden der kolumbianischen Politik zieht und damit jede Kursänderung verhindert.

Anmerkungen:

[1] Mehrfachwahlen in Kolumbien. Stimmenkauf und Parapolitik überschatten Wahlgang. Testballon für Präsidentschaftswahlen (14.03.10)
http://www.amerika21.de/nachrichten/inhalt/2010/maerz/elecc_203948_colombia/

[2] Kolumbien. Bei Parlamentswahl liegen Rechtsparteien vorne (15.03.10)
http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/kolumbien-bei-parlamentswahl-liegen-rechtsparteien-vorne_aid_489704.html

[3] Parlamentswahl in Kolumbien. Konservatives Lager um Uribe voran (15.03.10)
http://derstandard.at/1268402755001/Parlamentswahl-in-Kolumbien-Konservatives-Lager-um-Uribe-voran

[4] Wahlen in Kolumbien von 440.000 Sicherheitskräften bewacht (15.03.10)
http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5jn-BEi4np9dsQSLEstQ7a5dPGaWQ

15. März 2010