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LATEINAMERIKA/2392: Kolumbianer wählen einen neuen Präsidenten (SB)


Uribes Wunschnachfolger Santos und Ex-Bürgermeister Mockus gleichauf


Kolumbiens scheidender Präsident Alvaro Uribe, dessen Nachfolger morgen gewählt wird, war der engste Verbündete Washingtons in Lateinamerika, das seinen Krieg gegen die Guerilla mit milliardenschwerer Rüstungshilfe finanzierte. Er holte nicht nur US-amerikanische Ausbilder und Mitarbeiter privater Sicherheitsdienstleister ins Land, sondern gewährte den US-Streitkräften auch Zugang zu sieben Stützpunkten in Kolumbien, das damit endgültig zu einem Brückenkopf der Intervention in Südamerika ausgebaut wurde. Uribe war erbitterter Gegner der bolivarischen Bewegung und des Sozialismus des 21. Jahrhunderts, was zu heftigen Kontroversen mit den Nachbarländern Venezuela und Ecuador führte. Innenpolitisch setzte der Staatschef auf eine repressive Sicherheitspolitik, die sowohl auf eine Niederwerfung der Rebellen, als auch die Knebelung oppositioneller Kräfte abzielte.

Alvaro Uribe stammt aus einer Familie von Großgrundbesitzern, die engste Verbindungen zu paramilitärischen Gruppen unterhielt. Er selbst galt als Vertrauter des Drogenbosses Pablo Escobar und wurde von den US-Behörden zeitweise unter den hundert meistgesuchten Drogenhändlern geführt, bis sein Name wie von Geisterhand aus der Liste verschwand. Als Gouverneur der Provinz Antioquia baute Uribe eine paramilitärische Bürgerwehr auf, die auf Anweisung Bogotás aufgelöst werden mußte und daraufhin andere paramilitärische Organisationen speiste. In seinem engsten persönlichen und politischen Umfeld wurden Dutzende wegen ihrer Verflechtungen mit den Paramilitärs festgenommen und teilweise auch verurteilt, ohne daß der Präsident darüber gestürzt wäre.

Man mag es Glück oder politisches Geschick nennen, daß Uribe stets wie ein Fels in der Brandung zahlloser Skandale unerschütterlich stehenblieb. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß er hinter der glatten Fassade des angesehenen Politikers ein mächtiger Akteur im Geflecht kolumbianischer Kriegsherrn war, der sich durch seine Bündnisse mit einflußreichen Kreisen allseitig absicherte. Dies in der Vergangenheitsform zu formulieren, dürfte jedoch ein Euphemismus sein, da seine Ära in der kolumbianischen Politik weit über das Ende seiner Amtszeit als Präsident des Landes hinausreichen dürfte und zu befürchten steht, daß er fortan hinter den Kulissen die Fäden zieht.

Die Washington Post veröffentlichte vor wenigen Tagen Aussagen eines ehemaligen Polizeioffiziers, wonach der jüngere Bruder des Präsidenten, Santiago Uribe, in den 1990er Jahren verantwortlich für die Organisierung von Paramilitärs im Bundesstaat Antioquia war. Dieser Bande mit dem Namen "Die zwölf Apostel" werden über 50 Morde in einer Gegend angelastet, in welcher der Großgrundbesitz der Familie Uribe liegt. Zum Zeitpunkt der Geschehnisse war Alvaro Uribe Gouverneur von Antoquia. Die Brüder Uribe wiesen die Vorwürfe weit von sich und behaupteten, es handle sich um eine aus Venezuela gesteuerte Kampagne. Zwei Tage später teilte die Staatsanwaltschaft mit, sie wolle den Präsidenten in einer weiteren Angelegenheit verhören. Der Geheimdienst DAS soll spätestens seit 2005 Tausende Oppositionelle, Gewerkschafter, Journalisten und Menschenrechtler überwacht haben. Diese Bespitzelung nutzte der Sicherheitsdienst, um Schmutzkampagnen gegen die Betroffenen loszutreten, unter denen sich sogar Richter des Obersten Gerichtshofes befanden. Zudem wurde Material aus den illegalen Überwachungen an paramilitärische Gruppen weitergegeben, die Opfer der Überwachung bedrohten und ermordeten. [1]

Überdies ist der Chef der Streitkräfte, General Freddy Padilla de León, überraschend zurückgetreten. Grund dürfte der Skandal um die "falsos positivos" sein: Teile des Militärs haben jahrelang junge Männer aus Armenvierteln gelockt und ermordet, die dann als getötete Guerilleros ausgegeben wurden. Für ihren Tod kassierten Offiziere und Soldaten Vergünstigungen und Prämien. Derzeit untersucht die Staatsanwaltschaft etwa 2.000 derartiger Fälle. Ausgangspunkt war ein Erlaß über ein entsprechendes "Anreizsystem" durch den damaligen Verteidigungsminister und heutigen Kandidaten Manuel Santos.

Nach acht Jahren Uribe ist die Sozialbilanz des Landes verheerend. Knapp die Hälfte der 44 Millionen Kolumbianer gilt als arm, über sieben Millionen Menschen leben in absolutem Elend. Nach den Worten des Gewerkschaftschefs Fabio Arias belegt die Arbeitslosenquote von gut 12 Prozent, welche die höchste in ganz Lateinamerika ist, das "Scheitern des neoliberalen Modells".

Wenn am Sonntag 30 Millionen Kolumbianer dazu aufgerufen sind, einen neuen Präsidenten zu wählen, werden zwei Kandidaten das Rennen untereinander ausmachen, während die übrigen sieben Bewerber weit zurückliegen: Der 58jährige zweimalige Bürgermeister und frühere Rektor der größten Universität von Bogotá, Antanas Mockus, und der ein Jahr ältere frühere Verteidigungsminister Juan Manuel Santos. Beide können mit einem Stimmenanteil von jeweils etwa 35 Prozent rechnen. In diesem Fall würde am 20. Juni eine Stichwahl stattfinden. Santos ist der Wunschkandidat des amtierenden Präsidenten Alvaro Uribe, dem das Verfassungsgericht Ende Februar den Weg zu einer zweiten Wiederwahl in Folge versperrt hat. Mockus, dem Anfang des Jahres kaum Chancen eingeräumt worden waren, geht aus den Umfragen als wahrscheinlicher Sieger einer Stichwahl hervor.

Santos und Mockus sind beide konservativ, treten für eine liberale Wirtschaftspolitik ein und versprechen, entschieden gegen die Guerrillaorganisation "Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens" (FARC) und die paramilitärischen Banden vorzugehen. Santos ist der Kandidat der "U-Partei", wobei das U sowohl für "unidad", also Einheit, wie auch für Uribe steht. Er entstammt aus einer einflußreichen Verlegerfamilie, gilt als Uribes Vollstrecker und will dem gegenwärtigen Amtsinhaber auch einen Posten im Kabinett zugestehen.

Der als Exzentriker bekannte Mathematiker und Philosoph Mockus, der für die Grüne Partei antritt, hat hingegen bei seinen Landsleuten die Hoffnung geweckt, mit unkonventionellen Methoden die verhärteten Fronten aufbrechen und das Land befrieden zu können. Damit hat er insbesondere junge Wähler mobilisiert, die der Politik der überkommenen Parteien überdrüssig sind. Der Grünen-Politiker präsentiert sich als Mann der Mitte: "Ich bin rechts und links", beteuert der Sohn litauischer Einwanderer, der sich moderner Kommunikationsmittel wie Twitter und Facebook bedient. Er hat mittlerweile rund 600.000 Anhänger bei Facebook und führt damit die weltweit siebtgrößte Politikseite in diesem sozialen Netzwerk. Alternative Energien, umweltverträgliche Transportwege und Investitionen in die Bildung stehen auf dem Programm der Grünen Partei, die sich in Rekordzeit von einer Splitterpartei zu einer nationalen Bewegung entwickelt hat. Ein grundlegender Bruch mit der bisherigen Regierungspolitik wäre von Mockus jedoch in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht nicht zu erwarten. Er ist zwar bekannt für seine unkonventionellen Politikformen, inhaltlich gilt er jedoch als konservativ.

Während seiner beiden Amtszeiten als Bürgermeister von Bogotá erwies sich Mockus als korruptionsresistent. Nun plädiert er für "demokratische Legalität" im Kampf gegen die bewaffneten Gruppen. Damit zielt er auf die während der Regierungszeit Uribes von den Streitkräften begangenen Menschenrechtsverletzungen und den "Parapolitik"-Skandal ab, in den zahlreiche Politiker aus der Umgebung Uribes wegen ihrer Verbindung zu Paramilitärs verwickelt sind.

Der Zweikampf Santos gegen Mockus gilt als Abrechnung mit Uribe und eine Richtungsentscheidung über die Zukunft Kolumbiens. Der frühere Verteidigungsminister Santos ist das personifizierte Versprechen, die Militäroffensive gegen die FARC unverändert fortzusetzen. Wenngleich auch Mockus Verhandlungen mit den Rebellen ablehnt, hat er das aus der Uribe-Ära stammende Leitmotiv der Sicherheit durch seine Schwerpunkte Bildung, Korruptionsbekämpfung und Rechtsstaatlichkeit ersetzt. "Wir müssen den Krieg gegen die FARC gewinnen, aber wir müssen ihn sauber gewinnen", betont Mockus. [2] Um rasche Erfolge im Kampf gegen die Guerilla zu erzielen, hätten Regierung, Großgrundbesitzer und Unternehmer immer wieder auf die rechtsextremen Paramilitärs gesetzt. Solche "Abkürzungen" dürfe es künftig nicht mehr geben.

Angesichts der beispiellosen Aufholjagd seines gefährlichsten Konkurrenten Mockus krempelte Santos vor zwei Wochen seine Wahlkampfstrategie komplett um. Er bietet nun eine Koalition der nationalen Einheit an, in die er sogar die Grünen aufnehmen will. Vor allem aber setzt er auf die Menschen auf dem Land und in der Unterschicht, die am anfälligsten für politischen Druck sind. Das Regierungsprogramm "Familias en Acción" zahlt drei Millionen armen Haushalten einen kleinen monatlichen Zuschuß, worauf nun Mitarbeiter der Regierung Propaganda für Santos machen und den Menschen drohen, daß nur dieser im Falle seiner Wahl das Sozialprogramm fortsetzen werde.

Anmerkungen:

[1] Kolumbien vor der Wahl. Parapolitik holt Uribe ein. Vorladung wegen Abhörskandal. Armeechef tritt zurück. (29.05.10)
amerika21.de

[2] Wahlkampf in Kolumbien. Außenseiter gegen Establishment (28.05.10)
http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-05/kolumbien-wahlkampf?

29. Mai 2010