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LATEINAMERIKA/2395: An Honduras scheiden sich nach wie vor die Geister (SB)


OAS-Tagung im Zeichen des Konflikts um den Putsch und seine Folgen


Am Staatsstreich in Honduras, bei dem vor Jahresfrist der demokratisch gewählte Präsident Manuel Zelaya gestürzt und gewaltsam ins Exil verschleppt wurde, scheiden sich nach wie vor die Geister. Das Kalkül der Putschisten in Tegucigalpa und ihrer klammheimlichen Schutzherren in Washington, vollendete Tatsachen zu schaffen, die den Lauf der Geschichte des mittelamerikanischen Landes auf den alten Kurs zurückführen, ist bislang nur bedingt aufgegangen. USA und Europäische Union, Kanada, Kolumbien, Peru, die Dominikanische Republik und die meisten Länder Mittelamerikas erkennen den im November 2009 in einem irregulären Urnengang unter dem Putschregime gewählten neuen Präsidenten Porfirio Lobo und dessen Regierung an. Sie mahnen die Rückkehr zu einer Befriedung und Normalität an, welche die traditionellen Herrschaftsverhältnisse in Honduras vollständig restauriert und dessen Annäherung an die Staatengemeinschaft ALBA endgültig zu einem vorübergehenden Irrweg erklärt, den man erfolgreich korrigiert hat.

Hingegen verweigern Brasilien, das Zelaya nach dessen heimlicher Rückkehr in seiner Botschaft in der honduranischen Hauptstadt Schutz gewährt hat, wie auch Venezuela und die anderen Mitglieder der ALBA, Argentinien und weitere lateinamerikanische Länder, darunter zum beträchtlichen Ärger der US-Regierung auch Mexiko, dem Putsch und mithin auch Lobo die Anerkennung. Angesichts dieser breit aufgestellten Opposition sieht sich die Obama-Administration mit ihrem gebrochenen Versprechen konfrontiert, nach dem Scherbenhaufen der Ära George W. Bushs die Beziehungen zu den Nachbarn im Süden von Grund auf neu zu gestalten: Die Blockade Kubas hat nach wie vor Bestand, die neuen US-Stützpunkte in Kolumbien machen das Land endgültig zum Brückenkopf Washingtons in Südamerika, die USA drängen auf verschärfte Sanktionen gegen den Iran, wogegen Brasilien eine bemerkenswerte Initiative unternommen hat, und nicht zuletzt bleibt die Haltung zu Honduras umstritten.

Schönzureden gibt es da selbst für die betörenden Engelszungen eines Barack Obama nicht mehr viel, weshalb man von dem Beauftragten für Lateinamerika im US-Außenministerium, Arturo Valenzuela, kürzlich nur die lahme Ausflucht zu hören bekam, es gebe nach wie vor einige Länder, die der Ansicht seien, daß Honduras weitere Schritte unternehmen müsse, was aber nicht die Position der Vereinigten Staaten sei. [1]

Als Porfirio Lobo jüngst eine Tour durch Südamerika unternahm, um sich dort Rückhalt zu verschaffen, empfingen ihn lediglich der scheidende Präsident Kolumbiens, Alvaro Uribe, und der peruanischen Staatschef Alan García mit offenen Armen. Hingegen schlug Ecuadors Präsident Rafael Correa eine Einladung Lobos aus, nach Honduras zu kommen, wie auch dessen Reisediplomatie bei den meisten anderen Regierungen des Kontinents auf Ablehnung stieß. Manuel Zelaya wurde indessen in Buenos Aires im Rahmen der Feierlichkeiten zum 200. Jahrestag der Unabhängigkeit Argentiniens von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner mit allen Ehren eines Staatschefs empfangen und traf neben den offiziellen Veranstaltungen auch mit den Müttern der Plaza de Mayo zusammen. [2]

Als Lobo Anfang Juni die Dominikanische Republik besuchte, zog es der frühere Staatschef Argentiniens und derzeitige Präsident der Union Südamerikanischer Nationen, Néstor Kirchner, vor, seine dorthin geplante Reise zu stornieren. Und schließlich sah sich Lobo gezwungen, von der Einladung zum EU-Lateinamerika-Gipfel in Madrid zurückzutreten und sich mit einer halboffiziellen Teilnahme zu begnügen, nachdem mehrere Länder unter Führung Brasiliens und Venezuelas mit einem Boykott gedroht hatten.

So bleibt Honduras nicht nur im Innern politisch gespalten, sondern auch von der Mehrzahl seiner Nachbarn isoliert, die nicht bereit sind, dem Umsturz durch eine Rückkehr zum Alltagsgeschäft nachträglich ihren Segen zu geben. Die Botschaft des damaligen Putschpräsidenten Roberto Micheletti, die Abrechnung mit Zelaya sei eine innere Angelegenheit des Landes, die niemand sonst etwas angehe, stieß auf eine erbitterte Ablehnung, die nicht zuletzt die US-Regierung unterschätzt hat.

Menschenrechtsorganisationen weisen warnend darauf hin, daß die Repression gegen Kräfte des Widerstands in Honduras nach wie vor ihren Lauf nimmt. In den zurückliegenden Monaten wurden sieben Journalisten umgebracht, weitere Oppositionelle getötet, zahlreiche Menschen drangsaliert und willkürlich festgenommen. Im Mai enthob der Oberste Gerichtshof vier Richter niedrigerer Instanzen ihres Amtes, die gegen den Sturz Zelayas zu Felde gezogen waren. Auch die Wahrheitskommission, die vor wenigen Wochen ihre Arbeit aufgenommen hat, ist so umstritten, daß Menschenrechtsgruppen ein eigenes Gremium zur Untersuchung des Staatsstreichs und seiner Folgen ins Leben gerufen haben. Der frühere Vizepräsident Guatemalas und Vorsitzende der offiziellen Wahrheitskommission, Eduardo Stein, vermeidet zwar geflissentlich, das belastete Wort "Putsch" zu verwenden. Er sagte jedoch in einem Telefongespräch mit der "New York Times" aus Tegucigalpa, es sei angesichts der gesammelten Beweise klar, daß ein demokratisch gewählter Präsident gewaltsam seines Amtes enthoben worden ist. Wie solle man einen derartigen Vorgang denn nennen?

Daher stand die Zusammenkunft der Organisation Amerikanischer Staaten, die am Sonntag in der peruanischen Hauptstadt eröffnet wurde, für Washington unter einem schlechten Stern. Außenministerin Hillary Clinton, die Honduras wieder in die OAS aufnehmen möchte, sah sich Kritik ausgesetzt, als sie sich mit einer Handvoll Verbündeter dafür starkmachte. Generalsekretär José Miguel Insulza hatte im Vorfeld des Treffens vorgeschlagen, Manuel Zelaya eine ruhige Rückkehr nach Honduras zu gestatten. Dies sei nach Auffassung vieler Länder Südamerikas ein geeigneter Weg, den Konflikt beizulegen und eine Wiederaufnahme in die OAS möglich zu machen.

Wie die US-Außenministerin in ihrem Redebeitrag behauptete, hätten die Vereinigten Staaten die Entmachtung Zelayas verurteilt. Dann sei Präsident Lobo jedoch in freien und fairen Wahlen in sein Amt berufen worden und habe eine Wahrheitskommission beauftragt, den Putsch zu untersuchen. Nun sei es für die Hemisphäre in ihrer Gesamtheit an der Zeit, voranzuschreiten und Honduras wieder in der interamerikanischen Gemeinschaft willkommen zu heißen. Zuvor hatten jedoch bereits mehrere andere Außenminister die Regierung Lobos scharf kritisiert, der sie die Verletzung von Menschenrechten vorwarfen. [3]

Da Honduras nicht auf der offiziellen Tagesordnung stand, vermied Clinton tunlichst eine Neuauflage der heftigen Kontroverse des OAS-Treffens im vergangenen Jahr, bei der es um die Wiederaufnahme Kubas gegangen war. Sie warb vielmehr um Unterstützung für schärfere Sanktionen gegen den Iran, dessen Regierung immer nur dann reagiere, wenn neue Strafmaßnahmen auf dem Weg seien. Die US-Außenministerin traf in Lima auch kurz mit ihrem stellvertretenden Amtskollegen aus Brasilien, Antônio de Aguiar Patriota, zusammen, um mit ihm über Honduras und den Iran zu sprechen. Letzten Endes versucht auch die Obama-Administration, die Länder Lateinamerikas im Nebenlauf auf Kurs zu bringen und sich ihrer Unterstützung hinsichtlich der zentralen Ziele ihrer Kriegsführung im Nahen und Mittleren Osten zu versichern. Das rabiate Diktat eines George W. Bush, wer nicht bedingungslos mit den USA marschiere, sei ihr Feind, hat nur formal, jedoch keineswegs inhaltlich ausgedient.

Washingtons Problem bleibt allerdings, daß sich die in der Vergangenheit wahlweise ignorierten oder drangsalierten Länder Lateinamerikas diesen hegemonialen Vormachtsanspruch nicht mehr widerspruchslos gefallen lassen. Als Hillary Clinton mit dem peruanischen Präsidenten Alan García zusammentraf, lobte sie sein Land für dessen Beitrag zu einem Signal der Geschlossenheit an die Adresse Nordkoreas und des Irans, daß ihre Handlungsweise den Frieden und die Stabilität der Weltgemeinschaft bedrohe. Es folgte jedoch eine peinliche Situation für die US-Außenministerin, als García ihr Eintreten für die Frauenrechte hervorhob, worauf er ohne weitere Erklärung unvermittelt den Raum verließ und sie allein vor den Mikrophonen stehen ließ. Clinton rang sich den bemühten Scherz ab, der Präsident sei wohl mit seinem nächsten Treffen in Verzug, und trat dann ihrerseits eilends den Rückzug an. Wenn selbst Staatschefs wie García, die für gewöhnlich als zuverlässige Verbündete der USA gelten, inzwischen so wenig diplomatische Rücksichtnahme an den Tag legen, besteht Hoffnung, daß es auch Obama nicht gelingen wird, den Süden auf den erbärmlichen Status eines Hinterhofs zurückzustutzen.

Anmerkungen:

[1] Latin America Still Divided Over Coup in Honduras (05.06.10)
New York Times

[2] Südamerika: Proteste gegen Lobo, Ehrung für Zelaya (28.05.10)
junge Welt

[3] Clinton Pleads Case for Honduras (07.06.10)

New York Times

8. Juni 2010