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LATEINAMERIKA/2398: Santos siegt - Hiobsbotschaft für die gesamte Region (SB)


Wunschnachfolger Uribes gewinnt Präsidentenwahl in Kolumbien


Kolumbien bleibt Brückenkopf US-amerikanischer Intervention in Südamerika, militärische Speerspitze bei der angestrebten Niederwerfung der Guerilla und auf massive staatliche Repression gestützter Garant kapitalistischer Verwertungsinteressen zugunsten einheimischer Eliten und ausländischer Konzerne. Nach Angaben des UN-Entwicklungsprogramms UNPD hat Kolumbien im vergangenen Jahr Bolivien als das Land auf dem südamerikanischen Kontinent abgelöst, in dem die Schere zwischen Arm und Reich am weitesten auseinanderklafft. Das liegt nicht zuletzt daran, daß Arbeitnehmer, die ihre Rechte einfordern, in Kolumbien gefährlich leben. In diesem Jahr wurden bereits 31 Gewerkschafter ermordet, so viele wie nirgendwo sonst auf der Welt. Steuervorteile lockten insbesondere multinationale Unternehmen aus dem Bergbau- und Energiesektor ins Land, wobei von dem wirtschaftlichen Aufschwung nur eine Minderheit profitierte, während die Unter- und Mittelschichten wenig oder gar nicht daran partizipierten.

Der scheidende Präsident Alvaro Uribe hatte seine Anhänger nachdrücklich aufgefordert, bei der Präsidentschaftswahl für seinen Favoriten Juan Manuel Santos zu stimmen. Bei seinem früheren Verteidigungsminister sah Uribe seinen Kurs in der Sicherheits- und Wirtschaftspolitik am besten aufgehoben. Jene Minderheit der 13 Millionen Wähler, die sich zur Stimmabgabe durchrang, folgte auf beiter Front dem Ansinnen des bisherigen Staatschefs, dem das Verfassungsgericht eine dritte Amtszeit verwehrt hatte. Wie zu befürchten war, hat der 58 Jahre alte Manuel Santos die Stichwahl um das Präsidentenamt Kolumbiens mit deutlichem Vorsprung für sich entschieden. Auf den konservativen Kandidaten der Regierungspartei entfielen nach Angaben der zentralen Wahlkommission rund 69 Prozent der abgegebenen Stimmen - das beste Wahlergebnis in der Geschichte der kolumbianischen Demokratie. [1]

Der frühere Bürgermeister von Bogotá und Kandidat der kleinen Grünen Partei, Antanas Mockus, kam weit abgeschlagen nur auf 27,5 Prozent. Nachdem er in diesem Jahr einen derart fulminanten Zuwachs an Popularität verzeichnet hatte, daß ihn Prognosen bereits zum absehbaren Wahlsieger erklärten, stieß ihn der erste Wahlgang am 30. Mai auf den Boden der tatsächlichen Verhältnisse zurück. Statt des vorhergesagten Kopf-an-Kopf-Rennens entfielen auf Santos doppelt so viele Stimmen, so daß er die absolute Mehrheit nur knapp verfehlte und fortan als sicherer Sieger galt, was sich nun in erschreckender Deutlichkeit bestätigte. Die extrem niedrige Wahlbeteiligung von nur etwa 45 Prozent unterstrich, wie wenig es dem Herausforderer gelang, seine Mitbürger für einen Wechsel der politischen Führung zu mobilisieren, den er selbst freilich nur in sehr beschränktem Ausmaß repräsentierte. [2]

Santos konnte auf einen eingespielten Parteiapparat zurückgreifen, der unter anderem für eine systematische Manipulation der Wähler sorgte. Während der Kandidat des Regierungslagers versprach, er werde die von Uribe eingeführten Sozialprogramme wie "Familias en Acción" (Familien in Aktion) fortsetzen, erklärten die für die Zuweisungen verantwortlichen Behördenmitarbeiter betroffenen Familien, Mockus wolle die Programme einstellen, obwohl dieser eine solche Absicht ausdrücklich bestritt. Wenngleich diese staatliche Unterstützung so geringfügig ausfällt, daß sie den Charakter eines Almosens hat, ist sie angesichts der Armut in Kolumbien, unter der die Hälfte der Bevölkerung leidet, doch für zahlreiche Familien bedeutsam. Daher griff der perfide Ansatz, mit einer gut organisierten Lügenkampagne ausgerechnet jene Kreise für die Fortsetzung des alten Kurses zu gewinnen, die letzten Endes am schlimmsten unter ihm zu leiden hatten.

Der designierte Staatschef, der das höchste Staatsamt am 7. August für vier Jahre übernimmt, bezeichnete seinen Vorgänger als "einen der besten Präsidenten in der Geschichte der Republik". "Das ist auch Ihr Triumph, Präsident Uribe", rief Santos in Bogotá, wo er sich von Tausenden Anhängern feiern ließ. Der scheidende Präsident sei eine außergewöhnliche Persönlichkeit, "die unser Land verändert hat". Die Kolumbianer hätten mit großer Mehrheit dafür gestimmt, sein Programm fortzusetzen. "Uribe, Uribe, Uribe", skandierte die Menschenmenge triumphierend in der Gewißheit, daß dessen Ära keineswegs zu Ende geht.

Santos sei in der Wiege der Macht geboren und habe von Kind auf gelernt, in den Zirkeln der Macht zu dominieren, urteilt die kolumbianische Journalistin Juanita León. Er werde die Korruption und den Klientelismus in der politischen Elite Kolumbiens nicht beenden, da er mit ihrer Hilfe an die Macht gekommen sei. Der kommende Präsident stammt aus einer der einflußreichsten Familien des Landes, deren Medienkonzern auch die größte Tageszeitung des Landes herausgibt. Er hat unter anderem Ökonomie an der London School of Economics und Öffentliche Verwaltung in Harvard studiert, sein Cousin ist derzeit Vizepräsident. Beobachter wie León charakterisieren ihn als Technokraten und Drahtzieher, der ohne zu zögern die Seiten wechselt, wenn es seinen Zwecken dient. So wurde er zwar in der Liberalen Partei groß, gründete aber 2005 die Uribe-treue Regierungspartei "U".

Als Santos am Wahlabend zu nationaler Einigkeit aufrief und versprach, er werde Präsident aller Kolumbianer sein, Armut und Korruption bekämpfen und zahlreiche neue Arbeitsplätzen schaffen, an denen die Menschen so anständig behandelt und entlohnt werden, daß sie in Würde leben können, mußte dies in den Ohren zahlloser Menschen wie bitterer Hohn klingen. Auch daß er als seinen Stellvertreter überraschend den früheren Gewerkschaftschef Angelino Garzón heranzog, kann nur als eine politische Finte interpretiert werden. Acht Millionen Kolumbianer verdienten am Tag nicht einmal einen Dollar, hob Raul Arroyave vom Gewerkschaftsbund CUT hervor. Das werde sich auch unter Santos nicht ändern, der wie Uribe zugunsten der großen Investoren regieren wird.

Unter Uribe hatten die Streitkräfte die Rebellen aus den urbanen Zentren in die schwer zugänglichen Dschungelregionen an den Grenzen zurückgedrängt. Dies war nur möglich, weil der Regierung Milliardensummen aus den USA zur Verfügung standen, die in Ausbildung und Aufrüstung der Armee wie auch den Geheimdienst investiert werden konnten. Man zahlte Überläufern lukrative Prämien, unterstützte Aussteiger und brachte den "Revolutionären Streitkräften Kolumbiens" (FARC) mehrere militärische Niederlagen bei, an denen Santos zwischen 2006 und 2009 als Verteidigungsminister maßgeblich beteiligt war. In seine Zeit als Ressortchef fielen auch die Bombardierung eines im Nachbarland Ecuador gelegenen Lagers der Guerilla und die spektakuläre Befreiung der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt sowie weiterer prominenter Gefangenen aus den Händen der Rebellen.

Der Wahlsieger schloß die FARC ausdrücklich von seinem Aufruf zu nationaler Einigkeit und für ein "Ende des Hasses" aus und verkündete, daß die Zeit der Guerilla abgelaufen sei. Kolumbien lasse den Alptraum der Entführungen und der Gewalt hinter sich. "Wenn sie weiterhin terroristische Methoden anwenden, wenn sie weiterhin das Volk angreifen, wird es keine Gespräche geben", erteilte er Friedensgesprächen eine Absage. Zugleich forderte er die Rebellen auf, alle Gefangenen ohne Vorbedingungen freizulassen. Damit setzt er die Linie Uribes kompromißlos fort, die ausschließlich auf die militärische Vernichtung der Guerilla abzielt.

Wie wenig die Siegesfeiern in der Metropole samt den vollmundigen Versprechen des neuen Präsidenten mit der Realität des permanenten Kriegszustands in den Weiten des Hinterlands gemein haben, dokumentierten die unvermindert anhaltenden Kämpfe in diesen Regionen. Obgleich ein riesiges Aufgebot von insgesamt 350.000 Polizisten und Soldaten im Einsatz war, starben am Wahlwochenende bei Anschlägen und Gefechten mindestens sieben Polizisten, drei Soldaten und sechs Rebellen. In der Provinz Norte de Santander im Nordosten des Landes nahe der Grenze zu Venezuela fuhr eine Polizeipatrouille über einen Sprengsatz, worauf das Fahrzeug zerstört wurde und sieben Insassen umkamen. Bei einem Angriff auf ein Militärfahrzeug mit Wahlunterlagen im Osten wurden drei Soldaten getötet. Ebenfalls in der Provinz Meta erschoß das Militär sechs Guerilleros, die angeblich Anschläge planten.

In den Nachbarländern Venezuela und Ecuador muß man den deutlichen Wahlsieg des Wunschkandidaten Uribes zwangsläufig als Hiobsbotschaft aufnehmen, da eine verschärfte Konfrontation seitens der Regierung in Bogotá zu befürchten ist. Wohl hatte Santos am Wahlabend Kreide gefressen, als er sich mit den Worten an Hugo Chávez und Rafael Correa wandte, er lade sie ein, "neue Wege für das Wohl unserer Völker zu beschreiten". Er strebe eine Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen an, wofür allerdings "gegenseitiger Respekt" die Voraussetzung sei. "Diplomatie wird das Kennzeichen unserer Außenpolitik sein", behauptete er, als habe er das Kleid des Falken abgelegt, um sich fortan als Taube in die Lüfte zu schwingen.

Manuel Santos hat keinen Zweifel daran gelassen, daß Kolumbien unter seiner Präsidentschaft der wichtigste Verbündete Washingtons in dieser Weltregion bleiben wird. In einem jüngst in Bogotá gegebenen Interview erhob er darüber hinaus den Anspruch, daß sein Land künftig weitreichendere Mitspracherechte in den Sicherheitsfragen der Hemisphäre bekommen müsse. Kolumbien dürfe nicht länger ein Land bleiben, das alljährlich um Hilfe bittet und sich mit dieser Lage begnügt. Man könne vielmehr konkrete Hilfe bei der Bekämpfung des Drogenhandels in Mittelamerika und der Karibik anbieten. Er hoffe sehr, daß dieses Konzept eines strategischen Verbündeten in seiner Amtszeit Realität wird. [3]

Diese Ambitionen des künftigen kolumbianischen Präsidenten, in Kumpanei mit den Vereinigten Staaten die strategische Partnerschaft regional auszuweiten, kündigt ein Szenario der Bedrohung für das gesamte Umfeld an. Einem Ritter der Reconquista gleich, träumt Santos von einem Platz auf dem Feldherrnhügel der Rückeroberung verlorengegangenen Terrains in einer Weltregion, die aufgebrochen ist, das Regime der Hegemonialmacht endgültig abzuschütteln.

Anmerkungen:

[1] Kolumbien. Ein Sieger der alten Elite (21.06.10)
http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-06/kolumbien-wahl-santos?

[2] Präsidentenwahl in Kolumbien: Santos gewinnt im Schatten Uribes (21.06.10)
http://www.stern.de/politik/ausland/praesidentenwahl-in-kolumbien-santos-gewinnt-im-schatten-uribes-1575566.html

[3] Ex-Minister Wins Election in Colombia (20.06.10)
New York Times

21. Juni 2010