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LATEINAMERIKA/2452: Sicherheitspartnerschaft mit den USA infiltriert Mexiko (SB)


Auslagerung des Konflikts schlägt auch auf die USA zurück


Der Krieg mexikanischer Drogenkartelle um Einflußsphären und Profite wie auch gegen die staatlichen Sicherheitskräfte wird größtenteils mit modernen Waffen aus US-amerikanischer Produktion ausgetragen, die gegenläufig zum Strom der Drogen von Norden nach Süden über die Grenze geschmuggelt werden. Aus diesem als gesichert geltenden Sachverhalt resultiert eine beständige Kontroverse auf Regierungsebene, da die US-Behörden augenscheinlich nicht willens oder in der Lage sind, diese Nachschublinie zu kappen oder zumindest spürbar auszudünnen. Öl ins Feuer dieses Dauerstreits goß die Enthüllung, daß das US Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives (ATF) im Rahmen seiner "Operation Fast and Furious" eine gewisse Anzahl von Waffen absichtlich nach Mexiko transferiert hat, um daraus Rückschlüsse auf die Strukturen der in diesem Geschäft tätigen Banden zu ziehen.

Die von Phoenix aus gesteuerte Operation wurde publik, als man zwei Waffen aus diesem Programm am Tatort einer Schießerei an der Grenze fand, bei der im Dezember ein Agent der US Border Patrol namens Brian Terry getötet wurde. Whistleblower in Kreisen des ATF lieferten Informationen, die von Kongreßabgeordneten aufgegriffen und einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht wurden. Die dabei erhobenen Vorwürfe spitzten sich darauf zu, daß eine US-Behörde Waffen nach Mexiko liefert, mit denen dort unschuldige Menschen getötet werden. Als der Fokus medialen Interesses erst einmal auf diese fragwürdige Praxis gerichtet war, versäumte man nicht hervorzuheben, daß auch bei der Ermordung des US Special Agent Jaime J. Zapata unweit Mexiko-Stadt eine aus US-Produktion stammende Waffe verwendet wurde, wenngleich ungeklärt blieb, ob auch sie aus der "Operation Fast and Furious" stammte. Von der geharnischten Reaktion auf diese Vorfälle unter Druck gesetzt, sah sich das AFT veranlaßt, eine Überprüfung seiner Vorgehensweise anzukündigen. [1]

Befürworter der Operation argumentieren, mit einem solchen Verfahren ließen sich nicht nur niedrige und mithin austauschbare Chargen des Waffenschmuggels, sondern auch hochrangige Akteure ausfindig machen und festnehmen. Dies würde allerdings voraussetzen, daß die US-Behörde den Weg der Waffen in gewissem Umfang verfolgen kann, was offenbar nicht der Fall ist. Zumindest kommt das Center for Public Integrity in Washington nach ausgiebigen Recherchen zu dem Schluß, daß von den insgesamt 2000 lancierten Waffen lediglich zehn Prozent in Mexiko aufgetaucht sind. Hingegen machte man rund 600 Waffen und damit fast 30 Prozent in den USA ausfindig, während die verbleibenden 1200 bislang verschwunden blieben und sich mutmaßlich im Besitz von Drogenhändlern befinden. Das läßt darauf schließen, daß von den beabsichtigten Fahndungserfolgen ebensowenig die Rede sein kann wie von einer nennenswerten Verlaufskontrolle bei dieser Operation.

In Mexiko schlug die Enthüllung zwangsläufig hohe Wogen der Empörung, da man sich von US-Behörden hinters Licht geführt sieht. Daß das mexikanische Außenministerium nun von Washington umfassende Aufklärung verlangt, läßt darauf schließen, daß die Regierung in Mexiko-Stadt nur unzureichende oder möglicherweise gar keine Kenntnis von der Operation hatte. Der Präsident der unteren Kammer des Parlaments, Carlos Ramírez Mar, sprach von einer gravierenden Verletzung internationalen Rechts und bediente sich dabei des absichtlich überzeichneten Bildes, beim nächsten Mal würden womöglich Auftragsmörder oder Atomwaffen eingeschleust. Der Kongreßabgeordnete Humberto Trevino machte den Schätzwert von etwa 150 Schußverletzungen oder Schießereien mit Todesfolge geltend, bei denen Waffen im Spiel waren, die von US-Behörden eingeschleust worden seien. Die Abgeordneten forderten die Einrichtung einer Arbeitsgruppe von Experten aus beiden Ländern zur Überprüfung der "Operation Fast and Furious". Einige schlugen darüber hinaus vor, eine Delegation des Parlaments nach Washington zu entsenden, die dort auf schärfere Maßnahmen zur Unterbindung des Waffenschmuggels drängen solle.

Wie konfliktträchtig die enge Verzahnung der Nachbarländer auf dem Feld gemeinsamer Sicherheitspolitik ist, dokumentieren auch die Ermittlungen zum bereits erwähnten Tod Jaime J. Zapatas sowie die Verwundung eines zweiten Agenten, die für US Immigration and Customs Enforcement (ICE) im Nachbarland tätig waren. Mitglieder des US-Kongresses stellten die gängige Politik Mexikos in Frage, Agenten US-amerikanischer Behörden nur unbewaffnet auf dem eigenen Territorium agieren zu lassen. Unterdessen reagierte Präsident Felipe Calderón verbittert auf die per WikiLeaks veröffentlichten Depeschen von US-Diplomaten, welche die Kompetenz der mexikanischen Behörden im Kampf gegen die Kartelle grundsätzlich in Zweifel zogen. [2]

Präsident Calderóns jüngster Besuch im Weißen Haus schien dazu beigetragen zu haben, die angeschlagenen Beziehungen auf Regierungsebene zu verbessern. Angesichts der nun aufgebrochenen Kontroverse muß man wohl davon ausgehen, daß bei dem Treffen auf höchster Ebene kaum substantielle Fortschritte erzielt worden sind. Seit Dezember 2006 hat der von Präsident Felipe Calderón ausgerufene Krieg gegen die Kartelle rund 35.000 Menschen das Leben gekostet. Die mexikanische Regierung mußte sich dabei von US-amerikanischer Seite vorhalten lassen, sie bekomme die ineffizienten und korrupten Institutionen nicht in den Griff. Im Gegenzug mahnt Mexikos Führung bei den USA die Kontrolle des Waffenschmuggels an, der maßgeblich zur Eskalation des Blutvergießens beigetragen habe. So gesehen profitiert die Administration Calderóns von den aktuellen Enthüllungen, die auf erhebliche Probleme der US-Behörden schließen lassen.

So zutreffend der Vorwurf sein mag, die USA seien zwar der wichtigste Drogenkonsument und zugleich Waffenlieferant, entzögen sich aber ihrer Verantwortung für das Desaster in Mexiko, wird mit dieser Kontroverse doch ein Scheingefecht geführt. Die von den Präsidenten George W. Bush und Felipe Calderón auf den Weg gebrachte Merida-Initiative besiegelte den Pakt einer engen Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich in Mexiko, nicht jedoch in den USA. Nach dem Muster des Kolumbienplans finanziert Washington unter dem Vorwand des Antidrogenkampfs die Militarisierung und geheimdienstliche Durchdringung des Nachbarlands zu eigenen Gunsten. Waffen, Ausrüstung und Ausbildung US-amerikanischer Provenienz machen Mexiko zum Kriegsschauplatz, womit die USA nicht nur ein Bollwerk gegen die Hungermigration errichten, sondern den Vorposten auch bis in seine innersten Strukturen unterwandern.

Durchaus vergleichbar mit dem Zugriff auf Nordafrika durch die Mächte Europas, die sich davon nicht nur ökonomischen Zugewinn und politische Steuerung, sondern insbesondere eine ausgelagerte Migrationsabwehr versprachen, offenbart auch die Zurichtung Mexikos durch die Vereinigten Staaten einen zweischneidigen Charakter. Deren Südgrenze gleicht nur dem Anspruch nach einer semipermeablen Membran, die alles Erwünschte passieren läßt und alles Ungewünschte fernhält. Der aggressive Übertrag öffnet zwangsläufig unvermutete Pforten für das Aufbrechen eben jener Widersprüche, die man unter Errichtung eines Zwangsregimes von Überwachung und Kontrolle jenseits der eigenen Grenzen verbannt zu haben glaubte. Im selben Maße, wie die Vereinigten Staaten die Nordgrenze Mexikos ignorieren und dieses unter Negation verbliebener Restbestände von Souveränität und Autonomie infiltrieren, holen sie sich in ihrem expansionistischen Streben den Konflikt ins Haus.

Anmerkungen:

[1] Mexico lawmakers livid over US 'Operation Fast and Furious' (09.03.11)
Christian Science Monitor

[2] 10 Face Charges in Mexico Killings (09.03.11)

New York Times

11. März 2011