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LATEINAMERIKA/2458: Drohnen am Himmel Lateinamerikas (SB)


Überwachen - spionieren - Krieg führen?


Als Venezuelas Präsident Hugo Chávez im Jahr 2009 der Regierung des Nachbarlands Kolumbien vorwarf, sie schicke Drohnen zu Spionagezwecken über die Grenze, tat man dies in Bogotá als Ammenmärchen ab. Sich der langerprobten Bezichtigung zu bedienen, der venezolanische Staatschef sei für alle erdenklichen Verrücktheiten bekannt, denen kein vernünftiger Mensch Glauben schenken könne, erwies sich damals als probates Mittel, die bloße Vorstellung einer derartigen Verletzung der territorialen Souveränität mit unbemannten Fluggeräten ins Reich der wilden Phantasie zu verweisen. Der Einsatz von Drohnen war damals kein Thema, dessen man sich im Kontext Lateinamerikas angenommen hätte.

Nachdem die New York Times im Frühjahr 2011 darüber berichtet hatte, daß die US-Regierung regelmäßig hochfliegende Drohnen über mexikanischem Staatsgebiet operieren lasse, sah sich der Nationale Sicherheitsrat Mexikos zu einer Bestätigung genötigt. Wie er in einer Verlautbarung am 16. März mitteilte, habe sich diese Praxis als außerordentlich nützlich hinsichtlich verschiedener Ziele bei der Verbrechensbekämpfung erwiesen. Daß sich der Aufschrei empörten Protests im Land ungeachtet der historisch wohlbegründeten Vorbehalte gegen US-amerikanische Übergriffe in Grenzen hielt, verdankt sich in erster Linie dem Umstand, daß im Zuge des sogenannten Antidrogenkriegs jährlich mehr Menschen im Land eines gewaltsamen Todes sterben, als Zivilisten im offiziellen Kriegsgebiet Afghanistan. Wie aus einem wenig später veröffentlichten Bericht von Associated Press hervorging, fliegen US-amerikanische Predator-Drohnen bereits seit 2009 am Himmel Mexikos. Im August 2010 ging man dazu über, das gesamte Grenzgebiet mit unbemannten Fluggeräten dieses Typs zu überwachen, wobei diverse grenznahe Distrikte zusätzlich entsprechende Pilotprogramme der Polizei und Sheriff-Büros ins Leben gerufen haben. Auf mexikanischer Seite kamen schon im Jahr 2008 Drohnen über Ciudad Juárez zum Einsatz, wobei sich die Zahl der heute landesweit eingesetzten Fluggeräte auf bis zu 30 belaufen soll. [1]

Mit diesem Programm steht Mexiko im lateinamerikanischen Umfeld keineswegs allein, da in Argentinien, Brasilien, Ecuador, Chile, Kolumbien, Peru, Uruguay und Venezuela diese Technologie ebenfalls in Dienst genommen wird. Damit faßt auch in dieser Weltregion eine Innovation Fuß, welche die Unterscheidung zwischen innen- und außenpolitischen oder zivilen und militärischen Sphären zunehmend obsolet macht. Mögliche Einsatzgebiete umfassen ein denkbar breites Spektrum von einer Überwachung der Bürger über die Beobachtung entlegener Gebiete bis hin zur Kriegführung. Da sich Varianten derselben Technologie zu den unterschiedlichsten Zwecken verwenden lassen, verschwimmen die Grenzen zwischen staatlichen Projekten und privaten Dienstleistern, Armee und Polizei bis zur Unkenntlichkeit.

Subsumiert unter einem erweiterten Sicherheitsbegriff faßt man Drogenbekämpfung, Eindämmung der Bandenkriminalität, Kontrolle illegaler Abholzung und andere Ziele zusammen, die als erstrebenswert zum Schutz der Bevölkerung wie auch der Umwelt ausgewiesen werden und somit den Bedarf des Drohneneinsatzes begründen und seine Akzeptanz befördern. Da es sich angeblich in allen Fällen um unbewaffnete Einsätze handelt, die allein Aufklärungszwecken dienen, scheint die Drohung eines Drohnenkrieges bislang so weit entfernt zu sein wie der Irak, Afghanistan und Pakistan.

Weil die unbemannten Fluggeräte Überwachungsfunktionen in Echtzeit mit schwerer Bewaffnung vereinen können, kostengünstiger als Flugzeuge sind und eigene Verluste an Menschenleben ausschließen, avancieren sie zu einer zentralen Komponente moderner Kriegsführung. Weltweit bekannt wurden die Folgen des Drohneneinsatzes unter anderem im irakischen Fallujah, wo 2004 im Zuge der Operation Phantom Fury mehrere tausend Menschen getötet und 36.000 Gebäude zerstört wurden, darunter zahlreiche Schulen, Krankenhäuser und Moscheen. Im letzten Jahr stellte das International Journal of Environmental Research and Public Health eine epidemiologische Studie vor, der zufolge die irakische Stadt in den Jahren 2005 bis 2009 höhere Raten an Krebserkrankungen und Leukämie aufwies als Hiroshima und Nagasaki nach der atomaren Bombardierung im Jahr 1945 - vermutlich eine Folge des Einsatzes von weißem Phosphor und mit abgereichertem Uran verstärkter Munition.

Gegenwärtig gehört das pakistanische Grenzgebiet zu Afghanistan zu den Haupteinsatzgebieten US-amerikanischer Drohnen, die ferngesteuert aus Leitzentralen in den USA auf der Jagd nach angeblichen Zielpersonen zahlreiche Menschenleben vernichten. Die Propaganda, es handle sich um eine präzise Handhabung, die unbeabsichtigte Schäden weitestmöglich ausschließt, soll die Faktenlage verschleiern, daß die von den Tätern an der Konsole als entscheidender Vorteil verbuchte Distanz zu ihren Opfern zu irrtümlich oder gleichgültig verübten Massakern an hilflos ausgelieferten Menschen führt, die nachträglich als feindliche Kämpfer deklariert werden: Für jeden Verdächtigten werden derzeit im Schnitt sechs Unbeteiligte getötet.

Das Drohnenprogramm der CIA auf dem Territorium Pakistans stellt eine Form nicht offiziell erklärter Kriegsführung dar, die sich zudem der gezielten Tötung verdächtiger Personen oder Gruppen bedient, was einer Hinrichtung ohne Verhandlung und Schuldspruch gleichkommt. Auf diese Weise werden humanitäres Völkerrecht, Genfer Konventionen und Rechtsstaatlichkeit der unmittelbar beteiligten Länder für irrelevant erklärt und zugunsten einer legalistischen Verankerung der Suprematie überlegener Waffengewalt in Händen der Führungsmächte entsorgt.

Noch sind die Länder Lateinamerikas weit davon entfernt, Drohnen in größerem Umfang einzusetzen, doch steht eine Entwicklung zu befürchten, die so rasant und zügellos wie die entufernde Anwendung dieser Technologie in Europa und den USA verläuft. Vorreiter ist neben Mexiko insbesondere Brasilien, dessen Streitkräfte im Januar die ersten beiden Hermes-Drohnen aus israelischer Produktion gekauft haben, während die Bundespolizei im Juli mit ihrem ersten unbemannten Fluggerät nachziehen will. Präsidentin Dilma Rousseff hatte sich bereits in ihrem Wahlkampf im August 2010 für einen Drohneneinsatz stark gemacht, der die Überwachung des Transports von Waffen und Drogen wesentlich verbessere. Neben der Kontrolle der durchlässigen westlichen Grenze, die Brasilien von zehn Nachbarländern trennt, steht vor allem der Einsatz über dem Amazonasgebiet sowie urbanen Konfliktzentren auf der Wunschliste der Sicherheitskräfte.

Wichtigste Lieferanten sind derzeit die israelischen Unternehmen Israel Aerospace Industries, das seine Drohne Heron in mehreren Ländern der Region vermarktet, und Elbit Systems Ltd., das sein Produkt Hermes bislang in Mexiko und Brasilien verkauft hat. Im Frühjahr schloß Elbit ein strategisches Abkommen mit dem brasilianischen Flugzeugbauer Embraer, das Herstellung und Absatz beflügeln dürfte. Die Polizei will bis 2014 insgesamt vierzehn Heron-Drohnen zum Preis von fast 400 Millionen Dollar erwerben, wobei man mit einer steigenden Nachfrage auch seitens der Agrarindustrie und Umweltverbände rechnet.

Der Unaufhaltsamkeit dieser Entwicklung ebenso wie der Notwendigkeit ihrer Kodifizierung bewußt, verhandelt Brasilien derzeit mit Bolivien, Kolumbien, Uruguay und Paraguay über ein Abkommen, das den Einflug brasilianischer Drohnen in den fremden Luftraum regulieren soll. Die brasilianische Regierung stellt dabei in Aussicht, die Zahl der Überflüge zu begrenzen und die gewonnenen Daten mit den Nachbarländern zu teilen.

Soll der Traum der Herrschaftssicherung, unangefochten und allumfassend überwachen, kontrollieren und sanktionieren zu können, nicht auch in Lateinamerika in einen nicht länger futuristischen Alptraum der Opfer dieser Omnipräsenz münden, bedarf es freilich weitreichenderer Erwägungen und schärferer Kontrollmechanismen als ein derartiges Abkommen, das den brasilianischen Übergriff legalisieren soll.

Anmerkungen:

[1] Spread of drone programs in Latin America sparks calls for code of conduct (20.04.11)
Christian Science Monitor

26. April 2011