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LATEINAMERIKA/2479: Trumpwandlungen - das Tempo wird raketenschnell (SB)



Neuer US-Präsident nimmt Mexiko in den Schwitzkasten

"Armes Mexiko, so fern von Gott und so nah an den USA!" Dieses geflügelte Wort, das dem Diktator Porfirio Díaz zugesprochen wird, trifft gut hundert Jahre später angesichts der Präsidentschaft Donald Trumps mehr denn je zu. Wenngleich das südliche Nachbarland aus Perspektive des Hegemons nie über den Status ökonomischer Ausbeutbarkeit und einer Pufferzone gegen die Armut Lateinamerikas und den maßgeblich von Washington losgetretenen Antidrogenkrieg hinausgekommen ist, bricht "Tromp", wie ihn die Mexikaner nennen, mit allen maßgeblichen Arrangements in den beiderseitigen Beziehungen. Er hat das Pazifische Freihandelsabkommen TTP aufgekündigt, will die NAFTA mit Kanada und Mexiko neu verhandeln, eine Mauer an der Südgrenze errichten, Millionen Einwanderer ohne Aufenthaltsberechtigung abschieben und Strafzölle für US-Firmen erheben, die ihre Produktion ins Nachbarland auslagern.

Mexiko ist als NAFTA-Mitglied und TPP-Unterzeichner wirtschaftlich eng mit den USA verflochten, wohin 80 Prozent der Exporte gehen. Umgekehrt ist das südliche Nachbarland in den Vereinigten Staaten nicht nur als Absatzmarkt, sondern vor allem als Fertigungsort beliebt: Während etwa der Autobauer GM daheim in Detroit 58 Dollar pro Arbeitsstunde aufwenden muß, sind es südlich des Rio Grande ganze acht Dollar. Angeführt von den Amerikanern haben allein die großen westlichen und fernöstlichen Pkw-Hersteller in den letzten fünf Jahren mehr als 30.000 Arbeitsplätze in Mexiko geschaffen und beliefern von dort aus vor allem die Märkte Nord- und Südamerikas.

Die Produktionsverlagerungen sind ein Grund dafür, daß sich der Handel der USA mit Mexiko und Kanada seit 1994 vervierfacht hat. Strittig ist jedoch die Bilanz der Arbeitsplätze. Während das Economic Policy Institute in Washington 850.000 verloren gegangene Industriearbeitsplätze in den USA beklagt, kommt die US-Handelskammer auf ein Plus von mehr als fünf Millionen Stellen. Nach Berechnungen des überparteilichen Congressional Research Service hat NAFTA das Wirtschaftswachstum in den USA nur leicht beflügelt, die Industrie aber durch effizientere Lieferketten global wettbewerbsfähiger gemacht.

Trump will diese Entwicklung rückgängig machen und möglichst viele Jobs in die USA zurückholen. Dazu beitragen soll ein Strafzoll von 35 Prozent für US-Firmen, die Stellen nach Mexiko verlagern und die dort gefertigten Waren anschließend in der Heimat verkaufen wollen. Wenngleich das Vorhaben des US-Präsidenten noch mit diversen technischen und juristischen Problemen verbunden ist, stellt es für Mexiko, das die von ausländischen Unternehmen geschaffenen Arbeitsplätze dringend braucht, eine akute Bedrohung dar.

In einem Krisentreffen hat Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto führende Politiker, Manager und Gewerkschafter des Landes um sich versammelt, um Trump die Botschaft zu senden: Mexiko ist "zum Dialog und zu Verhandlungen" bereit. "Unterwerfung" aber komme nicht in Frage. Um die Abhängigkeit von den USA zu verringern, strebt er den raschen Abschluß bilateraler Handelsverträge mit den bisherigen TPP-Partnern in Asien an. Zudem legt er einen Zehn-Punkte-Katalog vor, in dem er neue NAFTA-Gespräche an Bedingungen knüpft: Trump soll garantieren, daß Mexikaner in den USA human behandelt werden und Teile ihrer Einkünfte weiter problemlos in die Heimat überweisen können. Die Rückführung illegaler Immigranten soll geordnet vonstatten gehen, der illegale Waffenhandel von den USA nach Mexiko gestoppt werden. Vor allem aber soll der nordamerikanische Handel frei von allen Zöllen und Quoten bleiben. Trumps Plan zum Bau einer Grenzmauer, lehnt Peña Nieto ab: "Mexiko glaubt nicht an Mauern, Mexiko glaubt an Brücken." [1]

Die Grenze zwischen den USA und Mexiko ist mit rund 350 Millionen Überquerungen jährlich eine der meistfrequentierten weltweit. Für eine legale Einreise benötigen Menschen, die keine US-Bürger sind, einen Paß und ein Visum oder ein anderes offizielles Dokument, das sie zur Einreise berechtigt. Schätzungen zufolge reisen 350.000 Menschen pro Jahr illegal in die USA ein. In den vergangenen Jahren ist die Anzahl der Festnahmen von mexikanischen Immigranten an der amerikanischen Grenze jedoch stetig zurückgegangen. Im Jahr 2015 lag sie mit knapp 200.000 Festnahmen sogar auf dem Rekordtief der vergangenen 50 Jahre. Auch hat sich zwischen 2007 und 2014 die Anzahl von mexikanischen Einwohnern in den USA um gut eine Million verringert. Im gleichen Zeitraum ging die Anzahl der Menschen, die illegal einwanderten, von 6,9 auf 5,6 Millionen zurück. Diese Entwicklung wird auf einen wirtschaftlichen Aufschwung in Mexiko zurückgeführt. Würgen die Maßnahmen Washingtons die mexikanische Ökonomie ab, steht den USA eine neue Einwanderungswelle in Aussicht. [2]

Diese und weitere Argumente trägt eine mexikanische Delegation vor, die sich derzeit zu Gesprächen in Washington aufhält. An dem Treffen nehmen der Stabschef im Weißen Haus, Reince Priebus, Trumps Schwiegersohn und enger Berater Jared Kushner, Trumps Chefstratege Stephen Bannon und der Nationale Sicherheitsberater Michael Flynn teil. Mexiko hat Außenminister Luis Videgaray und Wirtschaftsminister Ildefonso Guajardo geschickt, auf der Agenda stehen unter anderem Handel, Sicherheit und Migration. "Es gibt klare rote Linien, die wir von Anfang an festlegen", hatte Guajardo zuvor erklärt. Notfalls werde er die Gespräche abbrechen. "Jeder Vertrag, der die wirtschaftlichen und sozialen Interessen Mexikos verletzt, ist nicht hinnehmbar", sagte Außenminister Videgaray. Präsident Peña Nieto wird am 31. Januar zu einem Gespräch mit Trump im Weißen Haus erwartet. Dabei wollen die Präsidenten unter anderem klären, ob, wann und wie der NAFTA-Vertrag aufgeschnürt und neu verhandelt werden soll: "Den Vereinigten Staaten nutzt es, wenn es Mexiko gut geht und Mexiko nutzt es, wenn es den USA gut geht." Daß die neue US-Regierung zu dem offenen Dialog bereit ist, den der mexikanische Staatschef anmahnt, darf jedoch bezweifelt werden.

Trumps Signale könnten schlechter nicht sein. Hatte er in chauvinistischen und rassistischen Ausfällen im Wahlkampf die Mexikaner als Drogenhändler, Kriminelle und Illegale beschimpft, so machte er bereits an seinem dritten Tag im Amt den angedrohten Mauerbau wahr. Bei einem Besuch im Heimatschutzministerium unterzeichnete er ein entsprechendes Dekret. Für die Kosten der Mauer werde das Nachbarland Mexiko "zu 100 Prozent" aufkommen, hatte Trump zuvor dem Sender ABC News gesagt. Die Planungen begännen sofort, der Baustart sei "in einigen Monaten" vorgesehen. Weiter kündigte er an, 5000 neue Beamte für den Grenzschutz einzustellen, die Zahl der Beamten in der Zollbehörde zu verdreifachen und die Abschiebungen von Einwanderern ohne Dokumente deutlich zu forcieren.

Zudem erließ er ein zweites Dekret, mit dem Finanzhilfen für US-amerikanische Städte gestrichen werden, wenn diese nicht hart gegen illegal eingereiste Zuwanderer vorgehen, sie also beispielsweise festnehmen. Metropolen wie San Francisco und New York, die häufig auch von Demokraten regiert werden, kooperieren aus Sicht des US-Präsidenten nur ungenügend mit den Bundesbehörden bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung. Diesen "Zufluchtsstätten" will der Präsident künftig die Bundesmittel streichen. [3]

Bei der Grenzsicherung ist die US-Regierung an ein Abkommen mit Mexiko aus dem Jahr 1970 gebunden. Es gibt bereits Grenzabschnitte im Westen, an denen Mauern oder Zäune errichtet worden sind, die mancherorts mitten durch Orte verlaufen. Die bereits bestehenden Barrieren, meist Zäune und andere Hindernisse, stehen auf einem Drittel des Grenzverlaufs und haben 2,5 Milliarden Dollar gekostet. Die Kosten der neuen Mauer sind ungewiß, aber zweifellos astronomisch: Die Schätzungen von Experten schwanken derzeit zwischen 26 und 40 Milliarden Dollar. Trump setzt offenbar auf vorgefertigte Mauerteile aus Beton, verstärkt mit Stahlelementen. Wie das Sperrwerk aussehen soll, ist nicht bekannt. Im Februar 2016 sprach er von einer zehn bis zwölf Meter hohen Mauer, wobei seine Angaben in der Vergangenheit zwischen zehn und 27 Metern schwankten.

Die Grenze zwischen Mexiko und den USA ist 3144 Kilometer lang. Der Bau einer Betonmauer, der die ohne vorhandene Abschottung vervollständigen würde, wäre neben den gewaltigen Kosten auch mit einem gigantischen logistischen Aufbau verbunden. Trump hält solche Einwände für übertrieben und erklärt, daß China den Bau der etwa 21.000 Kilometer langen "Großen Mauer" ohne "Kräne und Bagger" bewerkstelligt habe. Daß die Chinesische Mauer über Jahrhunderte errichtet wurde und Hunderttausende Menschen bei ihrem Bau starben, ließ er unerwähnt. Die Kosten für den Bau der Mauer sollen von der USA vorgestreckt werden. Da die mexikanische Regierung kategorisch erklärt hat, daß sie keinesfalls für die Kosten aufkommen werde, will sich der US-Präsident das Geld über Strafzölle auf in Mexiko gefertigte Produkte oder mit Steuern auf Überweisungen von in den USA arbeitenden Mexikanern in die Heimat zurückholen. [4]

Im Jahr 2000 hat der US-Kongreß per Gesetz beschlossen, daß rund 1100 Kilometer Grenzsicherung gebaut werden sollen. Davon sind bislang knapp 1050 Kilometer fertig, womit Trump auf Grundlage dieses Gesetzes einen Spielraum für weitere 50 Kilometer hat. Um die restlichen Zweidrittel der Grenze einzumauern, braucht er die Unterstützung des Repräsentantenhauses wie auch des Senats. Die Führung seiner Partei hat ihm zwar Unterstützung bei der Grenzsicherung zugesagt, jedoch nicht für die immensen Kosten des Mauerbaus. Hinzu kommen rechtliche Probleme, da sich das Land entlang der Grenze teilweise in Privatbesitz befindet und Enteignungen erforderlich wären, die langwierige Rechtsstreitigkeiten zur Folge haben könnten. Der Grenzfluß Rio Grande stellt eine weitere Hürde dar, da Bautätigkeiten in unmittelbarer Nähe des Gewässers gesetzlich verboten sind. [5]

Abgesehen davon, wie rasch und umfangreich Trump den Mauerbau in die Tat umsetzen kann, geht er doch auf diesem wie auch anderen politischen Feldern mit einer beispiellosen Brachialgewalt und Geschwindigkeit vor. Nicht nur die Menschen in Mexiko müssen mit Umwälzungen rechnen, die die Lebensverhältnisse in ihrem Land wie auch weltweit noch wesentlich rasanter und massiver als ohnehin schon in Mitleidenschaft ziehen.


Fußnoten:

[1] http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/nafta-bruecken-statt-mauern-1.3347300

[2] http://www.bild.de/politik/ausland/donald-trump/trump-mauer-49948970.bild.html

[3] http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-01/trump-ordnet-mauerbau-an-grenze-zu-mexiko-an

[4] http://www.bild.de/politik/ausland/donald-trump/trump-mauer-49948970.bild.html#abcdefgh

[5] http://www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/trump-unterzeichnet-dekret-fuer-mauerbau-14756204.html

26. Januar 2017


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