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MEDIEN/439: Das Pentagon benennt psychologische Kriegsführung um (SB)


Das Pentagon benennt psychologische Kriegsführung um

Obama-Regierung will in Afghanistan den Informationskrieg gewinnen


Im Kampf der USA gegen das Schreckgespenst des "islamischen Terrorismus", den George W. Bush nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 als "Global War on Terror" (GWoT) ausrief und Barack Obama kurz nach dem Einzug ins Weiße Haus im Januar 2009 in die weniger bombastisch klingenden "Overseas Contingency Operations" (OCO) umbenennen ließ, stehen die Dinge nicht zum Besten. Ungeachtet des angelaufenen Abzugs der US-Streitkräfte aus dem Irak kehren dort weder Ruhe noch Stabilität ein; anhaltende Anschläge, Attentate und Überfälle lassen Kurden, Schiiten und Sunniten nicht zu einer Beilegung ihres politischen Streits über die Zukunft des Landes kommen. Trotz bzw. wegen der Truppenaufstockungsstrategie der Obama-Regierung in Afghanistan haben sich dort die Verluste bei den NATO-Soldaten im ersten Halbjahr 2010 im Vergleich zum selben Zeitraum im letzten Jahr von 157 auf 322 mehr als verdoppelt. Dieser Juni war mit 102 getöteten Soldaten für die NATO der blutigste Monat seit dem Einmarsch in Afghanistan. Das Nachbarland Pakistan droht unter anderem infolge der Drohenangriffe der CIA auf Talibanziele in den Bürgerkrieg abzustürzen. Am Horn von Afrika - Jemen, Somalia und Sudan - sorgt der sich verschärfende Konflikt Dschihad gegen McWorld für das blanke Chaos.

Angesichts der negativen Entwicklung macht man sich im Pentagon große Sorgen um die Stimmung an der Heimatfront, die im Denken westlicher Geostrategen spätestens seit dem Vietnamkrieg als wichtigster Kriegsschauplatz überhaupt gilt. Vermutlich deshalb will man sich auch von dem Begriff der "psychologischen Kriegsführung" trennen. Wie die Nachrichtenagentur Associated Press am 2. Juli unter Verweis auf Ken McGraw, den Sprecher des Special Operations Command (SOCOM), berichtete, wurde Mitte Juni das in Fort Bragg, North Carolina, beheimatete Kommando "Psychological Operations" in das Kommando "Military Information Support Operations" (MISO) umbenannt. Verfügt wurde die Umbenennung von Verteidigungsminister Robert Gates und dem SOCOM-Chef Admiral Eric Olson. Als Grund für die Umbenennung nannte McGraw den negativen Beigeschmack des bisherigen Begriffs und sprach von "Empfindlichkeiten im In- und Ausland", die "häufig zu einem Mißverständnis" in Bezug auf Sinn und Zweck der "Mission" führten.

Beim Pentagon tut man so, als handele es sich bei den "Psy-Ops" lediglich um die positive Beeinflussung der Öffentlichkeit in den USA, am Kriegsschauplatz sowie in der übrigen Welt durch die Versorgung mit lückenlosen, objektiven Informationen über den laufenden Einsatz der amerikanischen Streitkräfte und ihrer Verbündeten. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Wie die vermeintliche "Rettung" der angeblich vom Feind gefangengenommenen Gefreiten Jessica Lynch beim Irakeinmarsch 2003, die US-Raketenangriffe auf die Büros des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera in Bagdad und Kabul, die hochpeinliche Enthüllung der monatelangen Vertuschung der wahren Umstände des Todes des Vorbildsoldaten und früheren American-Football-Profispielers Pat Tillman 2004 in Afghanistan und der 2008 aufgekommene Skandal um das Wirken namhafter ehemaliger Generäle und heutiger Rüstungslobbyisten als angeblich neutrale Militäranalysten bei den Nachrichtensendungen und Diskussionsrunden in Rundfunk und Fernsehen der USA gezeigt haben, ist den Informationskriegern Amerikas jedes Mittel recht. Es spricht auch Bände, daß die Aufdeckung des Skandals um die "medialen trojanischen Pferde", die 2009 David Barstow von der New York Times den Pulitzerpreis bescherte, zu keinerlei Konsequenzen führte. Die genannten Ex-Generäle setzen noch heute ohne die geringste Scham ihre Arbeit als Militärexperten bei den Nachrichtensendern fort.

Ganz anders reagiert das Pentagon auf den Sturz Stanley McChrystals, der von Obama am 23. Juni als Oberkommandierender der NATO-Streitkräfte in Afghanistan gefeuert wurde, nachdem am Tag davor ein Artikel der Zeitschrift Rolling Stone erschienen war, in dem der frühere Oberbefehlshaber der US-Spezialstreitkräfte und seine engsten Stabsmitglieder mit zahlreichen Despektierlichkeiten gegenüber den politischen Führungen in Washington und Paris zitiert worden waren. Wie die New York Times am 3. Juli berichtete, hat am Tag davor der Pentagonchef Gates allen Kommandeuren im Ausland und der höheren Beamtenschaft im Arlingtoner Verteidigungsministerium eine dreiseitige Mitteilung zukommen lassen, in der der Umgang mit Vertretern der Medien neuen, strengeren Regeln unterworfen wird. In der Mitteilung mit Namen "Interaction With the Media" heißt es, die Kommandeure und höheren Pentagonbeamten müßten vorher die Genehmigung des Büros des Staatssekretärs für Öffentlichkeitsarbeit im Verteidigungsministerium einholen, bevor sie sich gegenüber der Presse zu Themen von "nationaler oder internationaler Bedeutung" äußerten. Durch die Durchsetzung bzw. Beachtung dieses Ukas sowie durch eine Rückbesinnung auf "die bestehenden Regeln" will Gates nach eigenen Angaben eine "Laschheit", die sich im Umgang der US-Militärs mit den Vertretern der Medien eingeschlichen haben soll, wieder aus der Welt schaffen.

In dem Artikel "Gates Tightens Rules for Military and the Media", der am 3. Juli bei der New York Times erschienen ist, schreibt Thom Shanker, die neuen Regeln bedeuteten eine Aufwertung der Arbeit der Public-Affairs-Offiziere der US-Streitkräfte gegenüber privaten Medienexperten, die in den letzten Jahren verstärkt Amerikas Generäle in Sachen "strategischer Kommunikation" beraten hätten. Dies ist nur konsequent. Schließlich war es ein externer Medienberater, der den Rolling-Stone-Reporter Michael Hastings bei McChrystals Stab für einen Monat in diesem Frühjahr "eingebettet" und offenbar mit diesem die Spielregeln - welche Zitate benutzt werden konnten und welche nicht - nicht eindeutig geklärt hatte.

In einer am 3. Juni veröffentlichten Meldung der Nachrichtenagentur Associated Press wird der Ex-CIA-Chef Gates mit den Worten aus der neuen Anweisung zitiert: "Es gibt bei uns zu viele Leute, die außerhalb der [vorgesehenen] Kanäle mit den Medien reden und manchmal Informationen weitergeben, die einfach inkorrekt, aus dem Kontext gerissen, nicht autorisiert sind oder sich nicht mit den Perspektiven derjenigen, die am meisten wissen, decken." Über diese Formulierung kann man nur schmunzeln, bedenkt man die Tatsache, daß Gates in den achtziger und neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts seinen Aufstieg zum Chef des US-Auslandsgeheimdienstes vor allem dadurch bewerkstelligte, daß er zunächst als Leiter der Analyseabteilung und später als Stellvertretender CIA-Direktor stets dafür sorgte, die Erkenntnisse der eigenen Mitarbeiter bezüglich der von der Sowjetunion ausgehenden Bedrohung aufzubauschen, um sie mit den Vorstellungen der Kalten Krieger der republikanischen Regierungen von Ronald Reagan und George Bush sen. in Einklang zu bringen. Somit hatte er an einem der größten Fehlleistungen der CIA, nämlich der ausgebliebenen Antizipation des Zusammenbruchs des Warschauer Paktes und der Sowjetunion, wesentlichen Anteil.

So gesehen soll die neue Anweisung von Gates die Öffentlichkeit mitnichten vor Informationen schützen, "die einfach inkorrekt" sind, sondern vor allem verhindern, daß Erkenntnisse von der Front im Antiterrorkrieg, die "nicht autorisiert", das heißt mit den politischen Verantwortlichen abgesprochen worden sind, publik werden. Auch künftig werden die Artikel der New York Times, der Washington Post und des Wall Street Journal von Zitaten und Angaben strotzen, die von anonym gebliebenen, nicht namentlich genannten "höheren Regierungsbeamten", "Mitgliedern des Sicherheitsapparats" oder "Mitarbeitern des Pentagons" stammen. Sollte wie befürchtet der "Atomstreit" mit dem Iran eskalieren, dürfte gegen das "Mullah-Regime" in Teheran eine Desinformationskampagne ähnlich der, mit der 2002 und 2003 die Regierung von George W. Bush mit Hilfe der obengenannten Zeitungen Saddam Husseins Irak den Besitz von Massenvernichtungswaffen und den Unterhalt von Kontakten zum Al-Kaida-"Netzwerk" Osama Bin Ladens andichtete, anrollen. Nicht zuletzt für diese Eventualität hat Obama Gates von der Regierung von Bush jun. übernommen. In einem solchen Fall werden dem gestandenen Veteranen des Iran-Contra-Skandals die jüngst umbenannten Psychokrieger des Kommandos "Military Information Support Operations" (MISO) zur Seite stehen.

5. Juli 2010