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MEDIEN/459: Amerikas "freie Presse" unter FBI-Beobachtung (SB)


Amerikas "freie Presse" unter FBI-Beobachtung

Antiwar.com setzt sich gegen Polizeirepression zur Wehr



Seit am 13. Mai publik wurde, daß Justizministerium und Federal Bureau of Investigation (FBI) im Frühjahr 2012 die wichtigsten Telefonverbindungen von Associated Press zwei Monate lang observiert haben, um eine Quelle im Regierungsapparat ausfindig zu machen, welche die größte Nachrichtenagentur der USA mit Informationen über die angebliche Vereitelung eines geplanten Flugzeuganschlages der Al Kaida auf der arabischen Halbinsel versorgt hatte, stellt sich heraus, daß Amerikas Presse nicht mehr unbedingt das Prädikat frei verdient. Gegen die zunehmende Drangsalierung setzten sich die US-Medien, allen voran die Website Antiwar.com, zur Wehr.

Am 19. Mai enthüllte die Washington Post, daß FBI und Justizministerium 2011 heimlich gegen James Rosen, den Washingtoner Korrespondenten des konservativen Nachrichtensenders Fox News, ermittelt und dabei seinen E-Mail-Verkehr kontrolliert. Rosen hatte ein Jahr zuvor als erster von einem bevorstehenden Raketentest Nordkoreas in Reaktion auf Sanktionsmaßnahmen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen berichtet. Den Hinweis darauf hatte er von einem Informanten im US-Außenministerium namens Stephen Jin-Woo Kim erhalten. Dieser steht nun wegen der unerlaubten Weitergabe vertraulichen Dienstmaterials unter Anklage. Die Spionageaktion gegen Rosen, die in keiner Anklage mündete, wurde mit dem Argument begründet, er hätte - allein durch seine journalistische Arbeit - Kim zu der Tat angestiftet und wäre daher ein "Mitverschwörer".

Im einem am 22. Mai erschienenen Leitartikel mit der Überschrift "Another Chilling Leak Investigation" hat die New York Times das drakonische Vorgehen von Justizministerium und Inlandsgeheimdienst gegen Rosen scharf kritisiert. Damit hätte die Regierung Barack Obama "den Schutz von Staatsgeheimnissen überschritten und die grundlegende Freiheit der Presse zur Nachrichtengewinnung bedroht", so die einflußreichste Zeitung der Welt. Doch während die altehrwürdige New York Times es bei Ermahnungen beläßt, tritt die Anti-Kriegswebsite antiwar.com energischer für die Pressefreiheit ein. Am 21. Mai hat sie bei einem Bezirksgericht in Nordkalifornien eine Klage gegen das FBI wegen illegalen Ausspionierens eingereicht. Als Nebenklägerin hat sich die American Civil Liberties Union (ACLU) an dem juristischen Streit beteiligt.

Antiwar.com ist 1996 in San Francisco gegründet worden. Jeden Tag veröffentlichte sie Dutzende Artikel aus der internationalen Presse zu den aktuellsten und wichtigsten Verteidigungs- und sicherheitspolitischen Themen, angereichert durch eigene Kommentare und Gastbeiträge. Die witzigsten Artikel entstammen der Feder von Website-Gründer und -Chefredakteur Justin Raimondo, der mindestens zweimal die Woche in seiner flapsig-sarkastischen Art die außenpolitische Elite in Washington in all ihrer Arroganz bloßstellt. Raimondo selbst ist ein rechter Libertär. Antiwar.com bringt dennoch nicht nur Artikel von "isolationistischen" Rechten wie Patrick Buchanan oder Robert Higgs, sondern auch von anti-imperialistischen Linken wie Noam Chomsky und Chris Hedges. Als Medienressource sucht sie ihresgleichen und wird deshalb von Journalisten, Akademikern und Friedensaktivisten auf der ganzen Welt geschätzt.

2011 hat ein Leser Raimondo und Eric Garris, dem Webmaster von Antiwar.com, eine 94seitige Dokumentensammlung übergeben, deren Aushändigung er unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz erwirkt hatte. Aus der brisanten Akte ging hervor, daß das FBI - darunter die Abteilung für Terrorbekämpfung - antiwar.com seit spätestens 2002 unter Beobachtung hält. Die Initialzündung zur polizeilichen Observation waren offenbar mehrere Artikel, die Raimondo Ende 2001, Anfang 2002 zum Fall der sogenannten "Urban Movers" geschrieben hatte. Es handelt sich dabei um eine Gruppe Israelis, die am Nachmittag des 11. September 2001 in New Jersey wegen des Verdachtes der Verwicklung in die Flugzeuganschläge festgenommen worden war. Zuvor hatten die fünf Männer, die in den USA für eine Speditions- bzw. Tarnfirma namens "Urban Moving Systems" arbeiteten, vom gegenüberliegenden Ufer des Hudson den Kollaps der Zwillingstürme des New Yorker World Trade Center per Video aufgenommen und waren durch ihr unangebrachtes Verhalten - Händeklatschen, lautes Jubeln - aufgefallen. Bei der Festnahme erklärten sie den Polizeibeamten, nicht sie, sondern die Palästinenser wären die Feinde der USA. Nach mehreren Monaten im Untersuchungsgefängnis schob man sie in ihre Heimat ab. Im israelischen Fernsehen erklärte einer von ihnen später, sie sollten lediglich die Flugzeuganschläge "dokumentieren".

In bezug auf Antiwar.com haben die FBI-Beamten zudem festgestellt, daß bestimmte Artikel von der Website 2002 bei einer Blockadeaktion vor einer US-Kaserne in Großbritannien verteilt wurden und daß zu den Lesern des Internetportals offenbar die eine oder andere Person gehöre, die auf der vom State Department geführten Liste der ausländischen "Terrorverdächtigen" stehe. Aus solchen Lappalien ergab sich für das FBI die Frage, ob Antiwar.com nicht eine "Bedrohung der nationalen Sicherheit" der USA darstelle und eventuell von einer "fremdländischen Macht" finanziert werde, weswegen man sich offenbar für eine langfristige Observation allen Verkehrs auf der Website sowie für den Versuch der Identifizierung aller Spender, die das winzige publizistische Unternehmen am Leben erhalten, entschieden habe.

Laut Raimondo und Garris, die beide in San Francisco ansässig sind und bei der Klage gegen das FBI als Beschwerdeführer auftreten, haben einige der großzügigsten Spender nach Bekanntwerden der Ausspähung von Antiwar.com kalte Füße bekommen und ihre Überweisungen an die Website eingestellt. Als Grund gaben sie die offensichtlich nicht unbegründete Angst vor behördlicher Überwachung an. Deshalb und nicht nur wegen der Wirtschaftskrise in den USA seien die Spendenbeiträge seit zwei Jahren rückläufig, behaupten die Antiwar-Verantwortlichen. Nach ihrer Einschätzung hat der Ausstieg jener vier Spender Antiwar.com um 75.000 Dollar pro Jahr gebracht.

In einem Artikel, der am 22. Mai bei Antiwar.com erschienen ist, bezeichnete Garris gegenüber der Journalistin Kelley B. Vlahos es einerseits als "fast lachhaft", daß er und Raimondo als Gefahr für die nationale Sicherheit gelten könnten, aber andererseits wiederum als "sehr beängstigend". "Schließlich nehmen wir bei dem, was wir tun, unser Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch", sagte er. Laut Harris, der dabei auf die Fälle AP und Rosen verwies, kann die Regierung freie Meinungsäußerungen von Bürgern und Journalisten nur zur Bedrohung der nationalen Sicherheit aufbauschen, solange sie den Beweis für den Vorwurf nicht antreten muß und sich hinter der staatlichen Geheimhaltung verstecken kann. Damit die Regierung zu keiner Position der "grenzenlosen Macht" gegenüber Presse und Zivilgesellschaft gelange, wolle Antiwar.com nun den juristischen Kampf aufnehmen, erklärte er. Man kann den beiden Antiwar-Machern bei ihrem Ansinnen nur viel Glück wünschen.

23. Mai 2013