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MEDIEN/460: US-Enthüllungsreporter Hastings stirbt seltsamen Tod (SB)


US-Enthüllungsreporter Hastings stirbt seltsamen Tod

Kam Michael Hastings bei einem Unglück oder einem Attentat ums Leben?



Vor dem Hintergrund der aktuellen Affäre um die anscheinend grenzenlose elektronische Abhör- und Überwachungspraxis der National Security Agency (NSA) ist in den frühen Morgenstunden des 18. Juni in Hancock Park, einem wohlhabenden Viertel von Los Angeles, der preisgekrönte Enthüllungsjournalist Michael Hastings unter seltsamen Umständen ums Leben gekommen. Sein Auto, ein Mercedes jüngeren Baujahres, ist explodiert, angeblich nachdem es von der Fahrbahn abkam und gegen einen Baum prallte. Merkwürdigerweise sind auf dem von der Los Angeles Times veröffentlichten Bild vom Unfallort keine schweren Schäden am vorderen Teil des Fahrzeugs zu erkennen, die man erwarten würde, wäre es bei hoher oder selbst verhaltener Geschwindigkeit von einem unüberwindlichen Hindernis plötzlich zum Stehen gebracht worden. Hinzu kommt, daß der Ausbruch eines Feuers infolge eines Verkehrunglücks wegen der Bauweise moderner Pkws extrem selten ist. Deshalb kursieren im Internet Gerüchte, wonach der 33jährige Hastings ermordet worden sein könnte. Ein Augenzeuge will gesehen haben, wie das Auto einfach "explodiert" ist, so der freiberufliche Reporter Jim Stone auf seiner Website.

Der Verdacht, Hastings sei nicht Opfer eines Unfalls, sondern eines Attentats gewesen, ist nicht gänzlich unbegründet. Während seiner kurzen Karriere hatte er sich durch kritische Berichte über den "globalen Antiterrorkrieg", den umstrittenen Einsatz von Kampfdrohnen und die Wikileaks-Affäre, darunter ein wohlwollendes Interview mit Julian Assange, mächtige Feinde im US-Sicherheitsapparat gemacht. Hastings, der sowohl aus dem Irak als auch aus Afghanistan berichtete, stand den Kriegen in beiden Ländern äußerst kritisch gegenüber. Von 2002 bis 2008 arbeitete er für das Nachrichtenmagazin Newsweek, das ihn 2005 als Kriegskorrespondent in das Zweistromland schickte. Dort kam 2007 seine Verlobte, die zivile Hilfsarbeiterin Andi Parhamovich, bei einem Überfall sunnitischer Aufständischer ums Leben. Die persönliche Tragödie hat Hastings in dem Buch "I Lost My Love in Baghdad: A Modern War Story" verarbeitet.

Während seiner Zeit im Irak hat Hastings hautnah jene Aufstandsbekämpfungsstrategie - die sogenannte "Surge" - beobachten können, mit der der damalige US-Oberbefehlshaber dort, General David Petraeus, und sein wichtigster Assistent, der für die Spezialstreitkräfte zuständige General Stanley McChrystal, das Zweistromland befrieden wollten. In der gängigen Version der Ereignisse wird der Erfolg der "Surge" auf die Entscheidung von Präsident George W. Bush zurückgeführt, auf Anraten von Petraeus und McChrystal die Zahl der US-Kampftruppen im Irak zu verdoppeln. Nach Ansicht der neokonservativen Befürworter des Irakkrieges haben die USA die Aufständischen im Irak durch Kampfwillen und erhöhte Militärpräsenz in die Knie gezwungen.

Doch die Gründe für das Abflauen des Aufstands liegen woanders. Ab 2005 haben sich die sunnitischen und schiitischen Milizen des Iraks eher gegenseitig bekämpft, als daß sie gegen die US-Streitkräfte vorgegangen wären. Unter dem Codenamen "Salvador Option" sollen McChrystals Spezialstreitkräfte diese Entwicklung unter anderem durch gezielte Bombenanschläge initiiert und vorangetrieben haben. Nach zwei Jahren des Bürgerkriegs waren die schiitischen und sunnitischen Milizen schließlich ausgelaugt. Daraufhin hatte Premierminister Nuri Al Maliki erstere in die neuen irakischen Sicherheitskräfte integriert, während Petraeus letztere mit Bestechungsgeldern in Millionenhöhe zur Waffenruhe bewegte.

Dafür, aus der drohenden militärischen Niederlage im Irak doch noch einen Sieg herausgeholt und somit den Ruf der Regierung von Bush jun. gerettet zu haben, wurden Petraeus und McChrystal in den US-Medien quasi wie Rockstars gefeiert. 2008 gab es innerhalb der republikanischen Partei sogar Bemühungen, Petraeus als Kandidat der GOP in das Rennen um das Weiße Haus zu schicken. Doch Amerikas großer Counterinsurgency-Experte winkte ab. Statt dessen wurde er Oberbefehlshaber des für Zentralasien und den Nahen Osten zuständigen Zentralkommandos (CENTCOM), während "Zen-Krieger" McChrystal zum Chef der ISAF-Truppen in Afghanistan avancierte. Als der Demokrat Barack Obama 2009 Präsident wurde, versuchten ihn die beiden Generäle, unterstützt von Verteidigungsminister Robert Gates und Generalstabschef Michael Mullen, für eine Eskalationsstrategie in Afghanistan ähnlich der "Surge" im Irak zu gewinnen.

Monatelang tobte innerhalb der neuen US-Administration die Debatte um den richtigen Kurs in der Afghanistan-Politik. Gegen die Pläne von Petraeus und McChrystal wandten sich vor allem Vizepräsident Joseph Biden und der Af-Pak-Sondergesandte Richard Holbrooke. Die "Tauben"-Fraktion plädierte für eine drastische Truppenreduzierung bei verstärktem Einsatz von Spezialstreitkräften und Kampfdrohnen gegen Talibanziele im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet. Schon damals sorgte McChrystal im Weißen Haus für Verärgerung, als er seine Forderung nach 40.000 zusätzlichen Soldaten an die Presse lancierte und später bei einem öffentlichen Auftritt auf einer Sicherheitskonferenz in London die Vorstellungen Bidens als "kurzsichtig" und Rezept für ein "Chaosistan" abtat. Wegen der Londoner Rede wurde McChrystal demonstrativ nach Kopenhagen bestellt, wo Obama am Klimagipfel teilnahm, um bei einem Vier-Augen-Gespräch in der Air Force One, die auf dem Rollfeld des Flughafens der dänischen Hauptstadt stand, die Leviten gelesen zu bekommen.

Ende 2009 hat Obama trotz großer Bedenken die Entsendung von 30.000 weiteren US-Soldaten nach Afghanistan bewilligt. Doch die Spannungen zwischen dem übermächtigen Militär und der zivilen Führung in Washington rissen nicht ab. Zum reinigenden Gewitter kam es erst, als Michael Hastings im Juni 2010 in der Zeitschrift Rolling Stone den Artikel "The Runaway General" veröffentlichte. Der Journalist hatte zuvor mehrere Wochen mit McChrystal und dessen Stab in Afghanistan verbracht und deren abfällige Meinungen über ihre Auftraggeber in Washington mitbekommen. Aus ihrer Sicht seien die "Waschlappen im Weißen Haus" "der wirkliche Feind", so Hastings. Er zitierte unter anderem ein Mitglied des McChrystal-Stabs, der Obamas damaligen Nationalen Sicherheitsberater General a. D. James Jones als "Clown" bezeichnete. Wegen der großen Aufregung um die Rolling-Stone-Enthüllungen mußte McChrystal umgehend zurücktreten. Viele US-Journalisten, die ihre Kontakte beim eigenen Militär durch "positive" Berichterstattung pflegen, haben Hastings bezichtigt, das Vertrauen jener Offiziere, mit denen er mehrere Wochen im ersten Halbjahr 2010 in Afghanistan "eingebettet" war, mißbraucht zu haben. Hastings hielt dagegen, er habe als Vertreter der vierten Gewalt die Verantwortung gehabt, auf gefährliche, regierungsfeindliche Tendenzen innerhalb der Militärführung aufmerksam zu machen.

2011 hat Hastings mit zwei weiteren kritischen Artikeln im Rolling Stone - "King David's War" über die mißratene Afghanistanstrategie von Petraeus und "Another Runaway General: Army Deploys Psy-Ops on U.S. Senators" über die illegale Beeinflussung der gewählten Volksvertreter durch die PR-Abteilung im Pentagon - für Schlagzeilen gesorgt. 2012 legte er mit dem Buch "The Operators: The Wild and Terrifying Inside Story of America's War in Afghanistan" eine noch umfassendere Kritik des US-Militärabenteuers am Hindukusch vor. Außer für Newsweek und Rolling Stone hatte Hastings gelegentlich auch Artikel für die Los Angeles Times sowie die Zeitschriften Foreign Policy, Salon, Slate und Buzzfeed geschrieben. In seinem letzten Artikel, der am 7. Juni bei Buzzfeed erschien, behandelte er die aktuelle NSA-Affäre und warf in diesem Zusammenhang Obama und der demokratischen Führung im Kongreß "Scheinheiligkeit" vor. Seiner Ansicht nach verteidigten und bauten sie dieselben illegalen Spionagepraktiken aus, die sie früher in der Opposition, als Bush und die Republikaner an der Macht waren, selbst als Verrat an den amerikanischen Werten verteufelt hatten.

Ob Michael Hastings tatsächlich einem Attentat zum Opfer gefallen ist, läßt sich schwer beurteilen. Vielleicht war es doch nur ein Unglück. Nichtsdestotrotz stimmt sein überraschender Tod in einer Phase, in der führende Republikaner wie Ex-Vizepräsident Dick Cheney ranghohe Demokraten wie Dianne Feinstein, die Vorsitzende des geheimdienstlichen Ausschusses des Senats, und Edward Snowden, der die NSA-Affäre durch die Veröffentlichung brisanter Dokumente ins Rollen brachte, als "Landesverräter" bezeichnen und dafür die schwerste Strafe fordern, in der das FBI die Telefone der Nachrichtenagentur Associated Press abhört und den Internet-Verkehr des Journalisten James Rosen vom Nachrichtensender Fox News wegen Informationslecks im Regierungsapparat ausspioniert, und in der die Obama-Regierung für sich reklamiert, auch US-Bürger, die sich als Staatsfeinde im Sinne des "Antiterrorkrieges" entpuppen, einfach töten zu dürfen, mehr als nachdenklich.

20. Juni 2013