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MILITÄR/785: Streit um Raketenabwehr laut Theodor Postol lösbar (SB)


Streit um Raketenabwehr laut Theodor Postol lösbar

Führender BMD-kritiker legt vernünftigen Vorschlag in der NYT vor


Seit einigen Jahren nun belastet der Streit um das Streben der USA nach einem Raketenabwehrsystem, das "God's own country" vor ballistischen Raketen aus sogenannten "Schurkenstaaten" wie dem Iran oder Nordkorea schützen soll, die Beziehungen Amerikas nicht nur zu Rußland, sondern auch zu seinen NATO-Verbündeten schwer. Während der achtjährigen Amtszeit des Republikaners George W. Bush hielten die USA an dem ambitionierten Vorhaben fest, traten 2002 deswegen aus dem ABM- Vertrag mit Moskau aus und vereinbarten 2008 mit Warschau die Stationierung von Abwehrraketen in Polen und mit Prag den Aufbau einer entsprechenden Radaranlage in Tschechien. Bereits im Sommer 2004 - und zwar rechtzeitig zur Präsidentenwahl - hatten Bush und sein damaliger Verteidigungsminister Donald Rumsfeld demonstrativ die ersten Abwehrraketen des Systems in Alaska stationieren lassen.

Die Russen mißtrauen den Absichten der USA unter anderem deshalb, weil weder der Iran noch Nordkorea über Raketen, welche das amerikanische Festland erreichen könnten, geschweige denn die dazu passenden atomaren Sprengköpfe, verfügen. Die Tatsache, daß die Bush-Regierung den Vorschlag Moskaus zur Nutzung einer großen Radaranlage Rußlands im Südkaukasus durch das US-Militär zur Überwachung iranischer Raketenaktivitäten ausgeschlagen hat, hat im Kreml den Verdacht bestätigt, daß es sich beim Ballistic Missile Defense System (BMD) um kein defensives, sondern um ein offensives Waffensystem handelt. Demnach würden die BMD-Installationen in Polen und Tschechien den USA im Extremfall einen nuklearen Erstschlag gegen Rußland ermöglichen, indem sie das amerikanische Festland vor den wenigen Raketen der Moskauer Zweitschlagskapazität schützen. Erst wenn man dies begriffen hat, kann man die gereizten Reaktionen in Moskau auf die BMD-Pläne Washingtons verstehen.

Seit dem Einzug des Demokraten Barack Obama ins Weiße Haus Ende Januar macht sich im Streit um das amerikanische Raketenabwehrsystem eine gewisse Entspannung bemerkbar. Der neue US-Präsident hat signalisiert, das System erst in Polen und Tschechien zu installieren, wenn der Beweis erbracht ist, daß es tatsächlich funktioniert. Das kann natürlich lange dauern. Seit Ronald Reagan 1983 seine als "Krieg der Sterne" belächelte Vision einer satellitengestützten Raketenabwehr, die den offiziellen Namen Space Defense Initiative (SDI) trug, vorstellte, zeichnen sich die Tests des Projektes durch Pleiten, Pech und Pannen aus. Des weiteren stellt sich die Frage, ob Obama angesichts der prekären wirtschaftlichen Lage der USA bereit ist, das Raketenabwehrsystem, das bislang ohne nennenswerte Ergebnisse rund 150 Milliarden Dollar verschlungen hat, weiterhin zu finanzieren.

Vor diesem Hintergrund hat am 12. März Theodore Postol, Amerikas führender Kritiker des Raketenabwehrsystems, in einem Gastkommentar in der New York Times einen sinnvollen Vorschlag gemacht, wie der ganze nicht nur überflüssige, sondern allen Bemühungen um internationale Abrüstung schädigende Streit beigelegt werden könnte, während man gleichzeitig die USA vor den postulierten Gefahren schützt. Der Professor der Wissenschaft, Technologie und nationalen Sicherheitspolitik am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT), der in den achtziger Jahren Berater der US-Marine im Bereich der ballistischen Raketentechnologie war, hat 2000 durch einen öffentlichen Brief an den damaligen US-Präsidenten Bill Clinton einen handfesten Skandal ausgelöst. Postol hatte herausgefunden, daß einige der am BMD-Projekt beteiligten Rüstungsunternehmen die Testreihen mit denjenigen Sensoren, welche, auf der Abfangrakete montiert, die feindliche Rakete samt Sprengkopf identifizieren und lokalisieren sollen, manipuliert hatten, um erfolgreiche Ergebnisse vorzutäuschen. 2002 gab das General Accountability Office (GAO) des Kongresses, vergleichbar dem deutschen Rechnungshof, Postol Recht mit seiner These.

Der MIT-Professor, der davon ausgeht, daß die Sensoren der geplanten Abwehrraketen niemals in der Lage sein werden, zwischen dem echten Sprengkopf und den von der feindlichen Rakete gegen Ende ihres Flugs gleichzeitig ausgesetzten Attrappen zu unterscheiden, plädiert deshalb für eine ganz andere Vorgehensweise. Postol regt an, im Falle einer Konfrontation eine oder zwei mit Marschflugkörpern ausgerüstete Drohnen im Luftraum vor dem betreffenden "Schurkenstaat" zu stationieren. Diese könnte die Interkontinentalrakete, die wegen ihrer Größe und des Gewichts der mitgeführten Menge an Treibstoff in den ersten Sekunden und Minuten unmittelbar nach dem Start verhältnismäßig langsam unterwegs ist, abschießen. Er behauptet, daß die Technologie für eine solche flexible und relativ billige Abwehr gegen Interkontinentalraketen bereits vorhanden ist. Darüber hinaus müßte eine solche schnellgreifende Schutzmaßnahme der Führung eines Landes, dessen Streitkräfte die USA mit einer Interkontinentalrakete angreifen sollten, fürchten lassen, daß der zerstörte Flugkörper samt Sprengkopf auf das eigene Territorium fiele.

Postols gedankenanregender Gastbeitrag für Amerikas "Paper of Record" trug den doppeldeutigen Titel "Defensible Missile Defense", was soviel wie "Raketenabwehr, die funktioniert" als auch gleichzeitig "Raketenabwehr, die man vertreten kann" bedeutet. Nun liegt es an der Obama-Regierung zu zeigen, ob ihr der Schutz der USA und ihrer Bevölkerung vor unüberlegten Handlungen feindlich gesonnener "Schurkenstaaten" tatsächlich am Herzen liegt oder ob sie sich wie die Vorgänger-Administration von Bush jun. dem heimlichen Traum aggressiver Elemente innerhalb des US-Militärestablishments nach einer atomaren Erstschlagskapazität verpflichtet fühlt.

13. März 2009