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MILITÄR/804: Netanjahu sagt Teilnahme am Atomgipfel in Washington ab (SB)


Israel entzieht seine Atomwaffen jeglicher internationalen Kontrolle


Wenn ein kleiner Staat über ein beträchtliches Arsenal an Atomwaffen verfügt, ohne daß dieses jemals Gegenstand einer Offenlegung oder auch nur einer Forderung nach Überprüfung geworden wäre, muß es einflußreiche Verbündete besitzen, die ein vitales Interesse an der Existenz dieses Potentials und der militärischen Schlagkraft ihres Juniorpartners haben. Grundsätzlich bestätigt dieses eigenartige Phänomen, daß die führenden Atommächte von ihrer gegenseitigen Bedrohung abgesehen den Atomwaffensperrvertrag und internationale Kontrollmechanismen als Instrumente zur Sicherung ihrer Überlegenheit und Drangsalierung potentieller oder realer Feinde entwickelt und eingesetzt haben, nicht jedoch zur proklamierten Abrüstung und Friedenssicherung in einer atomwaffenfreien Welt.

Israel, von dem hier die Rede ist, gilt seit Jahrzehnten als Atommacht, obwohl es den Besitz von Nuklearwaffen offiziell nie bestätigt hat. Die Regierung lehnt eine Stellungnahme dazu ab, ob das Land über Atomwaffen verfügt oder nicht. Mit der US-Regierung bestand stets eine stillschweigende Übereinkunft, wonach das israelische Atomwaffenpotential nicht offengelegt werden muß. Das Atomprogramm Israels setzte mit der Einweihung des Reaktors in Dimona in der Negev-Wüste im Jahr 1965 ein, wo mit Unterstützung französischer Experten die Voraussetzungen für die Produktion atomarer Waffen geschaffen wurden. Man geht heute davon aus, daß Israel im Besitz von mehreren hundert Atomsprengköpfen ist. [1]

Der Atomwaffensperrvertrag, der die Verbreitung von Nuklearwaffen verbietet, wurde bisher von knapp 190 Staaten unterzeichnet, nur nicht von Israel, Indien, Nordkorea und Pakistan. Da Israel den Vertrag nicht unterschrieben hat, gibt es keine Rechtsgrundlage für Inspektionen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien. Während Nordkorea von der US-Regierung und deren Verbündeten zu einem "Schurkenstaat" erklärt und zeitweise als aktuelles Kriegsziel ausgewiesen wurde, zählt Indien inzwischen zu den Verbündeten der USA, die ihren Krieg nach Pakistan tragen, um gemeinsame Anstrengungen zur Durchsetzung ihrer bellizistischen Expansion in dieser Weltregion zu erzwingen. Wie man unschwer erkennen kann, sind der Atomwaffensperrvertrag und die Inspektionen der IAEA ausschließlich in ihrer Funktion als diplomatische Waffen und Werkzeuge der Erpressung und Kriegsvorbereitung in Händen der führenden Mächte von Bedeutung.

Verhielte es sich anders, müßte Israel mit seinem gewaltigen Vernichtungspotential und der durch geschenkte U-Boote aus deutscher Produktion gewährleisteten Zweitschlagkapazität als Paria der sogenannten internationalen Gemeinschaft und akute Bedrohung eingestuft und behandelt werden. Statt dessen erwähnt man die israelischen Atomwaffen am liebsten mit keinem Wort und kündigt Teheran einen Angriffskrieg unter dem Vorwand an, die dortige Führung wolle ein Atomwaffenprogramm auflegen.

Die eklatante Doppelbödigkeit dieser Politik und Argumentation tritt nun auch im Vorfeld eines zweitägigen Gipfels ab kommenden Montag in Washington zutage, zu dem US-Präsident Barack Obama Vertreter aus 43 Staaten, darunter auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, eingeladen hat, um über die internationale Atomsicherheit zu beraten. Angestrebt wird eine Vereinbarung darüber, daß die Länder gefährliches Atommaterial in Militär- und Forschungseinrichtungen sowie in der Medizin so schützen, daß es "Terroristen" nicht in die Hände fallen kann. [2]

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat ungeachtet seiner zuvor vor Journalisten in Jerusalem geäußerten Absicht, er wolle nach Washington reisen, seine Teilnahme an dem internationalen Gipfel zur Atomsicherheit Anfang kommender Woche abgesagt. An seiner Stelle soll nun Geheimdienst- und Atomenergieminister Dan Meridor an der Konferenz teilnehmen. Da offiziell keine Gründe für diesen Sinneswandel genannt wurden, blieb es den Medien überlassen, der Sache auf den Grund zu gehen.

Wie einheimische Zeitungen berichteten, befürchte man auf der Konferenz massive Kritik am israelischen Atomprogramm. So sei zu erwarten, daß eine Gruppe muslimischer Staaten unter Führung Ägyptens und der Türkei die israelische Regierung zur Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrags drängen wolle, berichtete die Tageszeitung "Haaretz" unter Berufung auf Regierungskreise. Netanjahu rechne damit, daß Druck ausgeübt werden solle, damit Israel seine Atomanlagen für Inspektionen freigeben müsse. Die Arabische Liga setzt sich seit Jahren für eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten ein. [3]

Man sei "enttäuscht" von der Entwicklung im Vorfeld der Konferenz, zitierte "Haaretz" ein namentlich nicht genanntes Mitglied der israelischen Regierung. "Bei der Konferenz sollte es um den Umgang mit der Gefahr des nuklearen Terrors gehen (...) In den letzten Tagen haben wir aber Berichte über die Pläne einiger Teilnehmerstaaten erhalten, von der Frage des Kampfes gegen den Terror abzurücken und stattdessen die Veranstaltung dazu zu mißbrauchen, Israel beim Atomwaffensperrvertrag anzutreiben."

Der offenbar geplante Vorstoß muslimischer Staaten, die Atomwaffen Israels bei dieser Gelegenheit endlich doch zu thematisieren, dient dem Zweck, die unter israelischer Führerschaft forcierte Bezichtigung des Irans in den Kontext tatsächlich vorhandener nuklearer Bedrohungspotentiale im Nahen Osten zu stellen und damit unter internationaler Beteiligung die Kriegsgefahr zurückzuschrauben. Dies als "Mißbrauch" des Gipfeltreffens zu diskreditieren und es als antiisraelische Kampagne zu verwerfen, ist zweifellos dem dringenden Wunsch geschuldet, den Status quo der Ausnahmestellung Israel unter dem Schutz seiner Verbündeten unberührt und die Stoßrichtung des Sanktionsdrucks gegen angeblichen "nuklearen Terror" unbeschädigt zu lassen.

Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats der USA, Mike Hammer, bestätigte die Absage Netanjahus. Zugleich begrüßte er die Teilnahme Meridors und schwor die Teilnehmer am Gipfel darauf ein, dessen Zielsetzung nicht in Frage zu stellen: "Israel ist ein enger Verbündeter, und wir freuen uns darauf, die enge Zusammenarbeit in Fragen der nuklearen Sicherheit fortzusetzen", sagte Hammer nach Berichten des Fernsehsenders CNN in Washington. "Dies ist ein Gipfel, der auf die Sicherheit von Nuklearmaterial zielt und darauf ausgerichtet ist, die Teilnehmerstaaten dazu zu bewegen, praktische Maßnahmen zu ergreifen, damit Terroristen keinen Zugriff auf dieses Material erhalten."

Der Bürgermeister von Washington, Adrian Fenty, äußerte die Erwartung, der von Obama einberufene Atomgipfel werde "eines der prestigeträchtigsten" Treffen sein, das jemals stattgefunden habe. Er unterstrich die Bedeutung der Konferenz unter Verweis auf die Teilnahme von 46 Staats- und Regierungschefs, die entsprechend umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen erforderlich mache.

Da das Verhältnis zwischen Israel und den USA in den vergangenen Monaten als belastet galt und die Kritik an der israelischen Obstruktion des Friedensprozesses wuchs, muß Netanjahu befürchten, daß der Monolith des Schweigepakts um das israelische Atomwaffenarsenal Risse bekommen könnte. Als der Premierminister Mitte März in Washington mit Präsident Obama zusammentraf, reichten die Politiker einander weder vor laufender Kamera die Hand, noch gab es eine gemeinsame Abschlußerklärung. Daraufhin sprachen israelische Beobachter von einer Demütigung ihres Regierungschefs. Wenngleich derartige Signale diplomatischer Verstimmung eine inszenierte Kontroverse vermuten lassen, welche die grundsätzliche Übereinkunft verschleiern und den unverminderten Gleichschritt übertönen soll, ist doch nicht auszuschließen, daß einige Regierungen der Staaten des Nahen Ostens diesen Streit für bare Münze nehmen und ungeachtet aller sonstigen Widerspruchslagen keinesfalls einen Krieg gegen den Iran wünschen, der die gesamte Region in Mitleidenschaft zu ziehen droht.

Wenn die israelische Regierung einigen Teilnehmern des bevorstehenden Gipfels vorwirft, sie wollten dessen Tagesordnung unzulässigerweise verändern und die Veranstaltung mißbrauchen, so dient dieser Vorwurf nicht zuletzt dem Zweck, die heimliche Agenda der Zusammenkunft nicht beeinträchtigen zu lassen. Obgleich sich die Beratungen bei dem Treffen offiziellen Angaben zufolge nicht auf einzelne Länder konzentrieren sollen, geht man doch davon aus, daß die Atomwaffen Nordkoreas und das angebliche Nuklearwaffenprogramm des Irans durchaus Gegenstand der Diskussionen sein werden. [4] Berücksichtigt man zudem, daß Vertreter der fünf ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats und Deutschlands derzeit in New York über der Formulierung einer Resolution brüten, die Teheran neue Sanktionen aufzwingt, kommt dem Atomgipfel in Washington eine Bedeutung zu, die nicht durch irritierende Fragen nach dem israelischen Atomwaffenarsenal eingeschränkt werden soll.

Anmerkungen:

[1] Israel. Netanjahu verweigert sich Obamas Atomgipfel (09.04.10)
http://www.welt.de/politik/ausland/article7106626/Netanjahu-verweigert-sich-Obamas-Atomgipfel.html

[2] Israel. Netanjahu bleibt Obamas Atomgipfel fern (09.04.10)
http://www.focus.de/politik/ausland/israel-netanjahu-bleibt-obamas-atomgipfel-fern_aid_496966.html

[3] Atom. Netanjahu sagt Teilnahme an Obamas Atomgipfel ab (09.04.10)
http://www.zeit.de/newsticker/2010/4/9/iptc-bdt-20100409-46-24455948xml

[4] Netanyahu Cancels Trip to U.S. Nuclear Summit (09.04.10)
New York Times

9. April 2010