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MILITÄR/822: Bilder des Krieges - Eden Abergil versteht die Welt nicht mehr (SB)


Nicht die Bilder sind das Ärgernis, sondern Krieg und Besatzung


Eden Abergil versteht die Welt nicht mehr. Die ehemalige Soldatin der israelischen Armee, deren Namen auf unabsehbare Zeit in einem Atemzug mit dem Lynndie Englands im irakischen Gefängnis Abu Ghraib genannt werden wird, ist sich keiner Schuld bewußt. Unter der Überschrift "Die Armee - die beste Zeit meines Lebens" hatte die junge Frau jene Bilder im Online-Netzwerk Facebook veröffentlicht, die nun tagtäglich eine Projektionsfläche für Abscheu, Entsetzen, Wut und Haß abgeben. Abergil, die sich in einem Forum als politisch rechts und religiös aktiv bezeichnet und Teilnehmerin mehrerer religiöser Gruppen sowie einer Anti-Hamas-Gruppe gewesen sein soll, war nach eigenen Angaben eine "Modellsoldatin". Eine Gesprächsanfrage der israelischen Bloggerin Lisa Goldberg wies sie mit der Begründung ab, sie spreche "nicht mit Linken".

Wie sie dem israelischen Militärrundfunk sagte, verstehe sie noch immer nicht, was sie falsch gemacht habe. Auf den Bildern sei keine Gewalt zu sehen und sie habe auch nicht beabsichtigt, jemanden zu demütigen. Die Bilder habe sie einfach aus Begeisterung gemacht, um sich später an das Erlebte erinnern zu können. "Das war keine politische Erklärung oder sonst eine Aussage. Es ging nur darum, meine Erlebnisse in der Armee festzuhalten". Aus ihrer Sicht war alles nur ein unschuldiger Spaß, die Häftlinge hätten es doch gut gehabt. Man solle bloß nicht so tun, "als ob ich diejenige bin, die den Frieden ruiniert". Nun fühle sie sich als Sündenbock mißbraucht: "Ich bin keine Ausnahme - auch Kommandeure lassen sich so fotografieren." Daß die Streitkräfte ihr jetzt den Rang absprechen und sie nicht mehr zum Reservedienst einziehen wollten, zeuge von Undankbarkeit der Armee, die sie im Stich gelassen habe: "Ich wünschte, ich hätte niemals in dieser Armee gedient!" [1] Und an die Adresse der Medien gerichtet fügte sie hinzu: "Wenn ihr Bilder von mit Handschellen gefesselten Gefangenen fürs Fernsehen macht, fragt ihr sie da um Erlaubnis? Geben diese arabischen Männer ihr Einverständnis? Ich verstehe wirklich nicht, was daran falsch sein soll!" [2]

Angesichts dieser Rechtfertigung, die nicht das geringste Verständnis für die Erniedrigung palästinensischer Gefangener erkennen läßt, wird folgende Äußerung Ghassan Chatibs unmittelbar nachvollziehbar. Wie der Sprecher der Palästinensischen Autonomiebehörde erklärte, zeigten die Bilder "die Mentalität des israelischen Besatzers, der stolz darauf ist, Palästinenser zu demütigen". Die Besatzung sei "ungerecht, unmoralisch und - wie diese Bilder zeigen - korrumpierend." [3] Andere Kritiker sehen die Fotos als Beleg für eine verkommene Kultur innerhalb der israelischen Armee: "Das Verhalten der Soldatin ist ein Ergebnis der israelischen Militärkultur, die junge Israelis systematisch dazu bringt, die grundlegenden Rechte der Palästinenser zu mißachten", sagte Ishay Menuchin, Direktor des Öffentlichen Ausschusses gegen Folter in Israel, der Tageszeitung Jerusalem Post.

Die israelische Menschenrechtsgruppe "Das Schweigen brechen" stellte auf einer Facebook-Seite Abergils Bild in eine Reihe ähnlicher Aufnahmen, die sie in den letzten zehn Jahren gesammelt hat, und schrieb: "Dieses Bild zeigt nicht das abstoßende Verhalten einer Person, sondern eine Norm in der gesamten Armee." [4] Da inzwischen im Internet weitere Fotos aufgetaucht sind, auf denen israelische Soldaten mit palästinensischen Gefangenen posieren, sagte der Vertreter einer Menschenrechtsorganisation, für israelische Wehrdienstleistende sei es inzwischen Normalität, Bilder der "von ihnen und von Palästinensern täglich erlebten Situationen" zu machen. "Das Überraschendste ist, daß diese Fotos in Israel schockieren konnten, obwohl sich viel schlimmere Dinge ereignen." [5]

Gemäß der Dritten Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen sind diese unter allen Umständen menschlich zu behandeln (Artikel 13). Dort heißt es: "Kriegsgefangene müssen unter allen Umständen geschützt werden, insbesondere gegen Akte der Gewalt oder Einschüchterung und gegen Beleidigung und öffentliche Zurschaustellung." Israel hat das Abkommen ratifiziert.

Der israelische Armeesprecher Arye Shalicar distanzierte sich in der Tageszeitung Haaretz von den Fotos und nannte es "ekelhaft und unverantwortlich", daß die junge Frau solche Bilder ins Netz gestellt hat. "Sie macht aus einer ernsten Sicherheitssituation einen Witz", sagte er. Wie diese Aussage unterstreicht, nimmt die Armee Anstoß an der Veröffentlichung der Fotos, also einer Sicherheitslücke, und moniert am Inhalt der Bilder den fehlenden Ernst für die Situation. Von der Lage der palästinensischen Gefangenen auf diesen Abbildung ist hingegen keine Rede.

Der in Deutschland geborene Hauptmann Shalicar sieht in den Bildern einen Verstoß gegen die Vorgaben der Streitkräfte, da es klare Anweisungen gebe, wie man sich in sozialen Netzwerken wie Facebook zu verhalten hat: "Es ist kein Problem, wenn Soldaten Bilder von sich zeigen, etwa wenn sie zusammensitzen, am Strand, im Museum oder im Kino." Es sei Aufgabe der Kommandeure, ihren Soldaten deutlich zu machen, "wie man sich zu benehmen hat". Strikt verboten seien vor allem Bilder oder Informationen, die der Sicherheit des Staates Israel schaden könnten.

Verhindern können auch die israelischen Streitkräfte nicht, daß trotz dieser strengen Informationssperre im Zeitalter von Youtube, WikiLeaks und Digitalkameras immer wieder mediale Lücken entstehen. Da Eden Abergil die Fotos bereits im Jahr 2008 aufgenommen und im vergangenen Jahr ihren Dienst beendet hat, war es der Armee nicht möglich, unmittelbar einzuschreiten. Die Militärgesetze wurden 2009 dahingehend verschärft, daß es Angehörigen der Streitkräfte grundsätzlich verboten ist, Fotos von Armeestützpunkten und Aktionen zu veröffentlichen. Die Organisation "Das Schweigen brechen" zeigt derzeit unter anderem Bilder, auf denen Soldaten mit den Leichen der von ihnen Getöteten posieren. Bereits vor sechs Jahren veröffentlichten israelische Medien grauenvolle "Trophäenbilder", auf denen Soldaten den durch eine Explosion abgetrennten Kopf eines getöteten mutmaßlichen Attentäters auf einen Pfahl steckten und ihm eine Zigarette in den Mund schoben. [6]

Im März dieses Jahres plauderte in Facebook ein israelischer Soldat eine geheime Militäraktion gegen ein palästinensisches Dorf im Westjordanland mit genauem Ort und Zeitpunkt aus. Die Razzia wurde daraufhin abgeblasen und der junge Soldat vor ein Kriegsgericht gestellt. Bei Youtube war jüngst ein Video populär, das sechs israelische Soldaten bei einer Patrouille in der Stadt Hebron im Westjordanland zeigte. Die Soldaten in voller Kampfmontur tanzten plötzlich im Macarena-Stil zu Klängen des Songs "Tik Tok" der US-Rapperin Kesha auf der Straße. In Hebron leben 150.000 Palästinenser und tausend jüdische Siedler, wobei die Armee in der gezeigten Straße zum Schutz der Siedler unter anderem die Türen palästinensischer Häuser versiegeln ließ.

Auch die US-Streitkräfte versuchen nach Kräften, die Veröffentlichung unerwünschter Bilder zu verhindern. So durften keine Aufnahmen von den Tribunalen in Guantanamo publiziert werden, und die Bush-Administration versuchte, die Veröffentlichung der Folterbilder von Abu Ghraib zu blockieren. Bei der Untersuchung zu den Vorfällen in diesem Gefangenenlager fand man weiteres Bildmaterial, das unter Verschluß gehalten wurde. Auch die Obama-Regierung verhinderte die Veröffentlichung der Fotos, wobei sie sich sogar auf die Genfer Konventionen berief und zudem argumentierte, andernfalls wären US-Militärangehörige gefährdet.

Den Feind zu erniedrigen, zu verhöhnen und zu entmenschlichen ist genuiner Teil jeder Kriegs- und Besatzungspolitik, die andernfalls auch mit Blick auf die eigenen Soldaten nicht aufrechtzuerhalten wäre. Unter den vielen Spielarten dieser Verrohung und Abstumpfung stellen die unter der Bezeichnung "war porn" subsumierten Phänomene nur die kontemporäre Spitze solcher unter Frontsoldaten populären Produkte dar. Hinterlegt mit Speed Metal oder Gangster Rap zeigen die Clips aus den Kameras der Kampfhubschrauber das Morden mit Raketen oder Schnellfeuerkanonen als aufreizenden Höhepunkt, der die üblichen Soldatenbilder im Stützpunkt oder Arm in Arm mit Kameraden kontrastiert.

Wie eine abschließende kurze Presseschau deutscher Medien zeigt, wird das brisante Thema hierzulande trotz unverhohlener Sensationslust allenfalls mit Samthandschuhen angefaßt. So titelt Die Welt "Geschmacklose Trophäenfotos auf Facebook", als habe man es mit einem rüden, weil übertriebenen Scherz zu tun. Der Stern ist der Ansicht, daß man über das Video der tanzenden Soldaten in Hebron "noch lachen konnte", während "die entwürdigenden Aufnahmen der Soldatin aus Aschdod eine bitterernste Angelegenheit" seien. Und die Süddeutsche legt Wert auf die Unterscheidung, daß auf den neuen Bildern aus dem Online-Netzwerk Facebook "die meisten Fotos (...) die Gefangenen in erniedrigenden Situationen, allerdings keine Mißhandlungen" zeigen.

Indem man geflissentlich betont, daß die Affäre zwar schlimm, aber so schlimm nun auch wieder nicht sei, enthält man sich nicht nur der Offenlegung des "Schlimmeren", sondern insbesondere einer Parteinahme dagegen. Im Falle Eden Abergils von einem Skandal, einer peinlichen Enthüllung oder einer Perversion zu sprechen, hieße, sich der permanenten Verdrängung von Krieg und Besatzung anzuschließen, mithin die eigene Beteiligung an dem darin zum Ausdruck kommenden Raubsystem zu unterschlagen.

Anmerkungen:

[1] Ehemalige israelische Soldatin erregt Ärger im Internet. Bilder mit palästinensischen Gefangenen auf Facebook veröffentlicht (17.08.10)
NZZ Online

[2] Israeli soldier Facebook photos: Youth culture and rules of war collide (17.08.10)
The Christian Science Monitor

[3] Zynische Facebook-Bilder: Israelische Soldatin posiert mit palästinensischen Häftlingen (19.08.10)
www.stern.de

[4] Israel: Ex-Soldier Speaks on Photos (17.08.10)

New York Times

[5] Weitere Gefangenenfotos (19.08.10)

www.sueddeutsche.de

[6] Geschmacklose Trophäenfotos auf Facebook. Israelische Soldatin zeigt Bilder von sich und gefesselten Palästinensern (19.08.10)
www.welt.de

19. August 2010