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MILITÄR/842: USA verlegen tonnenweise waffenfähiges Uran und Plutonium (SB)


USA verlegen tonnenweise waffenfähiges Uran und Plutonium

Transparenz bezüglich Amerikas Spaltmaterialbestände - Fehlanzeige


"Alarmed West dismisses Iran nuclear 'charm offensive'" ("Alarmierter Westen tut nukleare 'Charmeoffensive' des Irans ab") meldete am 14. September die Nachrichtenagentur Reuters und machte damit Hoffnungen auf eine baldige Beilegung des sogenannten Atomstreits zwischen dem Iran und den NATO-Verbündeten USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien zunichte. Teheran hatte Ende August ausländische Inspekteure der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) zu einer außerplanmäßigen Besichtigung der iranischen Nuklearanlagen eingeladen und kurz danach die "internationale Gemeinschaft" zur Wiederaufnahme der Verhandlungen aufgerufen, die im Januar ergebnislos zu Ende gegangen waren.

Die genannten westlichen Mächte, die in den letzten Jahren als Sechsergruppe zusammen mit den offiziellen Atommächten China und Rußland die Gespräche mit dem Iran geführt haben, wiesen den jüngsten Vorstoß Teherans aus mehreren Gründen als ungenügend zurück. Um die Äußerungen Glyn Davies', des US-Vertreters bei der in Wien ansässigen UN-Unterorganisation, gegenüber Reuters mit anderen Worten wiederzugeben, könnten die Iraner den Verdacht - eigentlich ist es nur eine Unterstellung -, sie betrieben hinter dem Vorwand eines Kernenergieprogramms heimlich Atomwaffenforschung, nur aus dem Weg ausräumen, indem sie auf die Urananreicherung im eigenen Land verzichteten und umfassende, weitergehende Kontrollbesuche der IAEA zuließen, um größtmögliche "Transparenz" über die nuklearen Aktivitäten in der Islamischen Republik zu gewährleisten. Doch die Regierung in Teheran lehnt einen Verzicht auf die Urananreicherung, mittels derer Material für die Herstellung von Brennstäben für die zivile Kernenergie gewonnen wird und zu der der Iran als Unterzeichnerstaat des Nicht-Verbreitungsvertrages berechtigt ist, kategorisch ab, weswegen bei einem Festhalten an dieser Forderung ein Krieg unvermeidlich erscheint.

Der Vorwurf, wonach das iranische Kernenergieprogramm es an Transparenz missen läßt, trifft zu, nur hat dieser Umstand seinen guten Grund. Nach der Islamischen Revolution 1979 hatten westliche Konzerne den Bau des Kernkraftreaktors Buschehr am Persischen Golf eingestellt. Die Bemühungen des Irans, zivile Nukleartechnologie oder spaltbaren Brennstoff über den regulären Handelsweg zu besorgen, wurden von den westlichen Regierungen regelrecht torpediert. Deshalb und auch wegen der Gefahr irgendwelcher "Überraschungsangriffe" seitens Israels oder der USA haben die Iraner seit den neunziger Jahren ihre Anstrengungen um den Aufbau einer zivilen Kernkraftinfrastruktur zum Teil heimlich betrieben. Anlagen wurden unterirdisch eingerichtet, und sogar vom Vater der pakistanischen Atombombe, Abdul Qadeer Khan, hat man Spezialkomponenten und Fertigungspläne gekauft. Nichtdestotrotz wurde die Existenz fraglicher Anlagen gemäß den Vorschriften des Atomwaffensperrvertrages rechtzeitig vor der Inbetriebnahme bei der IAEA gemeldet. Bis heute haben die Inspekteure keinerlei Hinweise auf eine etwaige Abzweigung spaltbaren Materials zu militärischen Zwecken entdecken können, sondern den Iranern die Einhaltung dieser wichtigsten Verpflichtung nach dem Nicht-Verbreitungsvertrages bescheinigt.

Inzwischen stellt sich heraus, daß es weniger die Iraner als vielmehr die Amerikaner, Briten, Deutschen und Franzosen sind, an die die Frage der Transparenz in nuklearen Angelegenheiten gerichtet werden müßte. Aus einem hochbrisanten Bericht, den das Government Accountability Office (GAO) in Washington, vergleichbar dem deutschen Bundesrechnungshof, nicht zufällig am späten Freitagnachmittag des 16. September veröffentlicht hat, geht hervor, daß die USA tonnenweise waffenfähiges Uran und Plutonium verlegt haben. Bedenkt man das Riesentheater, das die Regierung George W. Bush und die US-Medien veranstaltet haben, als die IAEA 2003 an Zentrifugen im iranischen Natans mikroskopisch kleine Spuren von hochangereichertem Uran gefunden haben - 2005 stellte sich heraus, daß sie vom vormaligen Betrieb in Pakistan stammten -, dann spricht die ausbleibende öffentliche Reaktion auf die Feststellungen des GAO für eine sehr einseitige Betrachtungsweise nach dem Motto, "was kümmert mich der Balken im eigenen Auge, wenn ich alle auf den Splitter im Auge des Gegners aufmerksam machen kann?".

Lediglich Noah Shachtman in dem nicht umsonst vielbeachteten Blog Danger Room auf der Website der US-Technologiezeitschrift Wired fand das Abhandenkommen größerer Mengen Uran und Plutonium "Made in the USA" für erwähnenswert. Laut GAO-Bericht haben die USA seit den Tagen der Regierung Dwight D. Eisenhowers und dessen Programm "Atoms for Peace" zur weltweiten Verbreitung der Kernkraft 17.500 Kilogramm spaltbares Material an befreundete Staaten verkauft. Davon befinden sich der Buchführung zufolge heute noch 12.400 Kilogramm im Besitz der ursprünglichen Empfänger. Weitere 2.400 Kilogramm wollen die Amerikaner selbst wieder sichergestellt bzw. in die USA reimportiert und entweder gelagert oder zur Verfeuerungszwecken oder zur Herstellung von DU-Munition benutzt haben. Das ergibt eine Differenz von 2.700 Kilogramm - fast drei Tonnen - an Uran und Plutonium, die ausreichen würde, "um Dutzende Atombomben bauen zu können", so Shachtman. An diese Tatsache sollte man sich erinnern, wenn Washington, Berlin, London und Paris ihre nächste Bezichtigungstour gegenüber Teheran wegen der angeblichen Intransparenz des iranischen Atomprogramms fahren.

20. September 2011