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MILITÄR/900: Vier Ex-Militärs prangern den Drohnenkrieg der USA an (SB)


Vier Ex-Militärs prangern den Drohnenkrieg der USA an

Ex-Luftwaffenangehörige halten den Drohneneinsatz für kontraproduktiv


In den USA haben vier ehemalige Teilnehmer des Drohnenprogramms der amerikanischen Luftwaffe in einem offenen Brief an US-Präsident Barack Obama die Art, wie CIA und Pentagon die neue Waffentechnologie gebrauchen, heftig kritisiert. Nach Meinung der ehemaligen Militärs sind die US-Drohnenangriffe kontraproduktiv, da sie mehr "Terroristen" produzierten als sie beseitigten. Darüber hinaus forderten sie unter der Zivilbevölkerung im Einsatzgebiet einen zu hohen Blutzoll und machten aus den Piloten der unbemannten Flugzeuge menschliche Wracks, die auf Jahre hinaus unter Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) litten.

Seit dem Einzug Obamas ins Weiße Haus im Jahr 2009 ist die Zahl der US-Drohnenangriffe in Ländern wie Afghanistan, Pakistan, Jemen, Somalia, Irak und Syrien regelrecht explodiert. Ein Grund für den inflationären Einsatz dieser Technologie sind die Schwierigkeiten, die sich Obamas Vorgänger George W. Bush nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 durch die Inhaftierung und Folter Hunderter mutmaßlicher "Terroristen" aus der internationalen islamistischen Szene in geheimen "black sites" der CIA im Ausland oder auf dem Gelände des US-Marinestützpunkts Guantánamo Bay eingehandelt hat. Um nicht in dieselbe juristische Zwickmühle wie Bush jun. zu geraten, war Obamas Einfall ebenso genial wie menschenverachtend. Statt die "Terrorverdächtigen" wie bis dahin zu verhaften und sich einen ganzen Wust an logistischen, finanziellen und rechtlichen Problemen aufzuhalsen, gingen ab Januar 2009 Pentagon und CIA dazu über, solche Personen, sofern sie sich auf dem Territorium schwacher Dritte-Welt-Staaten in Asien oder Afrika aufhielten, per Drohne zu liquidieren.

Im vergangenen April wartete das in London ansässige Bureau for Investigative Journalism mit einer vernichtenden Auswertung des US-Drohnenkrieges im Ausland auf, die sowohl auf den offiziellen CIA- und Pentagon-Daten als auch auf Augenzeugenberichten aus den betroffenen Regionen basierte. In der Studie kamen die BIJ-Autoren zu dem Ergebnis, daß bis zu 90 Prozent jener Tausenden von Personen, deren Leben durch die Explosion von per Drohne abgefeuerten Hellfire-Raketen ausgelöscht wurde, unschuldige Zivilisten waren. Die hohe Tötungsrate unter der Zivilbevölkerung überrascht wenig; schließlich führen die US-Behörden in ihren Listen prinzipiell alle männlichen Opfer im wehrfähigem Alter als "feindliche Kombattanten". Mitte Oktober hat die US-Onlinezeitung The Intercept anhand ihr zugespielter vertraulicher Regierungsdokumente einen umfassenden Enthüllungsbericht zum Stand des US-Drohnenkrieges veröffentlicht. Leider wurde der sensationelle Bericht von den Mainstream-Medien aus politisch-ideologischen Gründen ignoriert und folglich von der breiteren Öffentlichkeit, die er verdient hätte, einfach nicht wahrgenommen.

Diese mediale Vertuschung hat die vier ehemaligen Teilnehmer am US-Drohnenkrieg dazu veranlaßt, den offenen Brief an Präsident Obama zu schreiben und am 19. November in New York eine entsprechende Pressekonferenz abzuhalten. Bei den vier Männern handelt es sich um die Ex-Luftwaffenoffiziere Brandon Bryant, Cian Westmoreland, Stephen Lewis und Michael Haas, die in den letzten Jahren im Rahmen ihrer Arbeit bei der Aufklärung bzw. den Spezialstreitkräften hauptsächlich mit der Durchführung von Drohnenangriffen befaßt waren. Anwaltlich vertreten werden die vier Ex-Luftwaffenangehörigen, die wegen ihres Gangs an die Öffentlichkeit mit Repressalien rechnen müssen, von der Anwältin Jesselyn Radack, die in den letzten Jahren den beiden NSA-Whistleblowern Thomas Drake und William Binney im Rechtsstreit mit der US-Regierung zur Seite gestanden hat.

Bryant, der von 2007 bis 2011 Pilot einer Predator-Drohne war, nahm persönlich an der umstrittenen außergerichtlichen Hinrichtung des "Terrorpredigers" Anwar Al Awlaki 2009 im Jemen teil. Der Fall Al Awlaki ist politisch hochbrisant, weil der ehemalige Ansprechpartner des Pentagons in Sachen Islamismus Bürger der Vereinigten Staaten war. Bryant ging auf der Pressekonferenz in New York zur damaligen Aktion auf Distanz: "Man sagte uns, daß Al Awlaki es verdient habe zu sterben, es verdient habe, als Verräter getötet zu werden. Doch in Teil II Artikel III der US-Verfassung steht, daß selbst der Verräter ein ordentliches Verfahren vor einem Geschworenengericht von Seinesgleichen verdient." Unter Verweis auf die jüngsten Anschläge der militanten Gruppe Islamischer Staat (IS) in Paris beklagte Bryant, daß die Drohnenangriffe das Problem des "Terrorismus" nicht linderten, sondern nur noch verschlimmerten: "Während wir vier Militante töten, schaffen wir zehn neue. Töten wir den unbeteiligten Vater, Onkel oder Bruder eines solchen Menschen, wird sich dessen Familie nach Rache sehnen."

Die vier Männer beschwerten sich darüber, daß die Teilnehmer des Drohnenprogramms praktisch dazu gezwungen werden, ihr Gewissen und ihr Mitgefühl zu unterdrücken. Haas berichtete, wie er gerügt wurde, nur weil er bei einem jüngeren Drohnenpiloten dessen "Blutlust" moniert hatte. Offenbar ziehen die Verantwortlichen für das Drohnenprogramm Kadavergehorsam moralischen Bedenken vor. Das Resultat ist, daß die meisten Ex-Drohnenoperateure später unter ihren Erlebnissen und dem, was sie eigenhändig angerichtet haben, schwer leiden. Nach Angaben von Anwältin Radack sind die meisten ehemaligen Drohnenpiloten arbeitslos, einige sogar obdachlos, wobei viele ein Drogen- und/oder Alkoholproblem haben. Hinzu kommt, daß ihre psychologischen Leiden vom Pentagon als Rechtfertigung für die Zahlung einer Invalidenrente oder die Finanzierung einer Therapie nicht anerkannt werden, da sie sich niemals im eigentlichen Kriegsgebiet aufgehalten haben. Im Brief an Obama hatten die vier ehemaligen Soldaten in bezug auf den inzwischen seit über vierzehn Jahren andauernden globalen Antiterrorkrieg gefragt: "Haben wir im Streben nach Vergeltung und Sicherheit unsere Menschlichkeit vergessen?" Wenngleich aufrüttelnd gemeint, war die Frage - leider - eher rhetorischer Natur.

23. November 2015


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