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MILITÄR/932: Rüstung - der Wettlauf beginnt aufs Neue ... (SB)


Rüstung - der Wettlauf beginnt aufs Neue ...


Mit der offiziellen Aufkündigung der weiteren Beteiligung der USA am Intermediate-Range Nuclear Forces Treaty durch Außenminister Mike Pompeo am 2. Februar ist die Gefahr eines verheerenden Weltkrieges erheblich gestiegen. In Washington setzen sich diejenigen größenwahnsinnigen Kräfte durch, die seit Hiroshima und Nagasaki nukleare Abrüstung prinzipiell ablehnen, weil sie mit den globalen Machtansprüchen der USA nicht vereinbar sei. Eine neue Ära des atomaren Wettrüstens hat begonnen, welches das Risiko in Kauf nimmt, die gesamte Menschheit auszulöschen. Verantwortliches Handeln - von Moral oder Ethik ganz zu schweigen - sähe anders aus.

Hinter der umstrittenen Entscheidung der Regierung von Präsident Donald Trump zum Austritt aus dem INF-Vertrag, der Erforschung, Besitz und Indienststellung ballistischer Raketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 Kilometer verbietet, steht John Bolton. Trumps Nationaler Sicherheitsberater ist seit mehr als 20 Jahren ein prominenter Vertreter jener Neokonservativen, welche die Führungsposition Amerikas für einen göttlichen Auftrag halten und deshalb stets auf die militärische Überlegenheit in jeder erdenklichen Lage insistieren.

Als der für Rüstungskontrolle zuständige Staatssekretär im Außenministerium in der Regierung George W. Bushs hat Bolton 2002 den Austritt der USA aus dem ABM-Vertrag durchgesetzt, damit das Pentagon in Asien und Europa ein offiziell gegen Nordkorea und den Iran, jedoch inoffiziell gegen China und Rußland gerichtetes Raketenabwehrsystem installieren konnte. Das Projekt hat bis heute seine Funktionsfähigkeit nicht bewiesen, dafür jedoch Amerikas Rüstungskonzernen Aufträge in Milliardenhöhe beschert. Das Ballistic Missile Defense System (BMD) der Amerikaner dient mitnichten der Abwehr, sondern soll die Durchführung eines atomaren Erstschlags ermöglichen, ohne einen Zweitschlag des Gegners befürchten zu müssen.

Bolton hat am 11. Januar Charles Kupperman zum neuen Stellvertretenden Nationalen Sicherheitsberater ernannt. Der frühere Manager bei Boeing und Lockheed Martin, der in den achtziger Jahren der Regierung Ronald Reagans angehörte und von 2001 bis 2010 Leiter der erzkonservativen Denkfabrik Center for Security Policy (CSP) war, gilt genau wie sein Chef als ein energischer Verfechter der These vom "gewinnbaren Atomkrieg". Hierzu paßt die Bekanntgabe der National Nuclear Security Administration (NNSA) Ende Januar, wonach in der Pantex-Atomwaffenfabrik in Texas bereits die ersten neuen taktischen Nuklearsprengköpfe vom Typ W76-2 von Band rollen.

Pompeo hat den Austritt der USA aus dem INF-Abkommen, der in sechs Monaten wirksam wird, mit etwaigen Verstößen Rußlands gegen den Vertrag begründet, die Washington bis heute nicht zweifelsfrei bewiesen hat und die Moskau energisch bestreitet. Es geht hier um eine zweistufige russische Rakete, von der die USA behaupten, Moskau habe nicht nur die Langstreckenversion getestet, was völlig legal wäre, sondern auch die Mittelstreckenversion, was den INF-Vertrag verletzte. Auf das Angebot des Kremls, die fragliche Rakete von eigenen Experten inspizieren zu lassen, sind Pentagon und Weißes Haus nicht eingegangen, sondern haben Moskau 60 Tage gegeben, alle Exemplare zu verschrotten. Als das von Washington gesetzte Ultimatum am 1. Februar unerfüllt blieb, hat Pompeo am selben Tag den Rücktritt der USA aus dem INF-Vertrag verkündet.

Aus früheren Reden von Trump, Pompeo und Bolton geht klar hervor, daß hinter der Aktion Washingtons weniger die Absicht steckt, Rußland zu bestrafen, als vielmehr der Wunsch des Pentagons, China in seine Schranken zu weisen. Die Volksrepublik, die den INF-Vertrag von 1987 zwischen der Sowjetunion und den USA niemals unterzeichnet hatte, hat sich in den letzten Jahren ein beachtliches Arsenal an atomwaffenfähigen Mittelstreckenraketen angelegt, um sich im Notfall - etwa einer Krise in der Taiwanstraße - erfolgreich gegen die US-Streitkräfte zur Wehr setzen zu können. Angesichts der zunehmenden Konfrontation zwischen der alten und der neuen Supermacht wollen die Kriegsplaner im Pentagon die entstandene Lücke in diesem einen Waffenbereich wieder schließen - ungeachtet der absehbaren, negativen Folgen für die strategische Rüstungskontrolle.

Aktuell gibt es Bemühungen seitens der Demokraten im Kongreß, die seit Januar wieder die Mehrheit im Repräsentantenhaus innehaben, die Atomkriegsgefahr zu verringern. Adam Smith, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Repräsentantenhaus, und Senatorin Elizabeth Warren, die als Hoffnungsträgerin der Demokraten bei der Präsidentenwahl 2020 gehandelt wird, haben einen Gesetzesentwurf eingebracht, der eine Abkehr der USA von ihrer offiziellen nuklearen Erstschlagsdoktrin vorsieht. Leider hat die Initiative wegen der republikanischen Mehrheit im Senat keine Aussicht auf Erfolg. Hinzu kommt, daß die Demokraten in beiden Kongreßhäusern ihren Widerstand gegen den Austritt der USA aus dem INF-Vertrag tatsächlich mit dem hergeholten Argument begründen, damit habe Trump Rußland in die Hände gespielt, die NATO gespalten und dem Kreml erweiterte Möglichkeiten zu Entwicklung und Bau neuer atomarer Mittelstreckenraketen gegeben.

3. Februar 2019


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