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MILITÄR/936: Afghanistan - kriminalprophylaktisch ... (SB)


Afghanistan - kriminalprophylaktisch ...


Die langjährigen Bemühungen um Gerichtsbarkeit bei Kriegsverbrechen haben am 12. April einen schweren Rückschlag erlitten. An diesem Tag entschied der Internationale Strafgerichtshof (International Criminal Court - ICC), der Empfehlung seiner eigenen Chefanklägerin Fatou Bensouda, Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen und schweren Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan aufzunehmen, nicht zu folgen. Mit diesem Entschluß beugte sich der ICC den unverhohlenen Drohungen der USA, gegen deren Soldaten und CIA-Mitarbeiter ebenso ermittelt werden sollte wie gegen Angehörige der Taliban, des Hakkani-Netzwerks und der regulären afghanischen Streitkräfte. Vom Einknicken des ICC gegenüber Washington geht eine eindeutige Botschaft aus: Das einzige Recht, das international zählt, ist das Recht des Stärkeren. Auch im 21. Jahrhundert herrscht in den zwischenmenschlichen Beziehungen derselbe Stand wie bereits in der Steinzeit. Soviel zum vermeintlichen Fortschritt.

Angefangen hat die ganze Geschichte im Dezember 2017, als ICC-Chefanklägerin Bensouda aus Gambia die Eröffnung von Anklagen gegen US-Militär- und CIA-Personal wegen Folter und sexueller Mißhandlungen von Kriegsgefangenen auf dem "Territorium von Afghanistan, Polen, Rumänien und Litauen" anregte. Alle vier genannten Länder sind Vertragsstaaten des 1998 mit dem Statut von Rom gegründeten ICC. Damit sollte erstmals die Möglichkeit eröffnet werden, gerichtlich gegen US-Bürger vorzugehen, die sich seit dem 11. September 2001 an der Verschleppung und Folter sogenannter "Terrorverdächtiger" beteiligt hatten. Im Falle erfolgreicher Verfahren gegen Personen, die in die "außergewöhnlichen Überstellungen" sowie den Betrieb der als "black sites" bekannt gewordenen, geheimen Foltergefängnisse der CIA in Übersee direkt involviert waren, hätte man eventuell auch Anklagen gegen die eigentlichen Verantwortlichen wie Ex-Präsident George W. Bush, Ex-Vizepräsident Dick Cheney, Ex-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, Ex-CIA-Direktor George Tenet und ihre wichtigsten Mitarbeiter erheben können. Doch dazu wird es niemals kommen. Das steht nun eindeutig fest.

Weil sie das Land sind, welches unter dem Vorwand der Sicherung von "Frieden" und "Stabilität" sowie des Exports von "Demokratie" und "Menschenrechten" mit weitem Abstand vor allen anderen militärisch im Ausland interveniert, mit Waffengewalt mißliebige Regierungen stürzt und befreundete Vasallen an die Macht hievt, sind die USA niemals dem Statut von Rom beigetreten und haben sich dem ICC nie untergeordnet. Das Gegenteil ist der Fall. Zum Schutz der eigenen Militär- und CIA-Angehörigen vor Inhaftierung durch den ICC hat der US-Kongreß 2002 und damit rechtzeitig vor dem illegalen Einmarsch in den Irak ein Jahr später auf Grundlage des sogenannten "Hague Invasion Act" Bush junior und dessen Nachfolger den Einsatz "jedes Mittels" gestattet, um ein solches Szenario zu verhindern bzw. auszuschließen.

Zu den führenden Verfechtern der These von den USA als Ausnahmestaat, dessen historische Mission in der Durchsetzung internationaler Regeln bestehe, die sie selbst als Weltsouverän mißachten dürfe, gehört John Bolton. Dessen Respekt gegenüber den Vereinten Nationen ist in etwa so unterentwicklet wie der Kaiser Wilhelm II. gegenüber dem Reichstag zu Berlin. 2002 drohte der damalige Staatssekretär im US-Außenministerium dem Leiter der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen, José Bustani, mit Repressalien gegen dessen in New York studierende Kinder, damit die UN-Unterorganisation vor dem geplanten Überfall auf den Irak Saddam Hussein nicht vom Vorwurf des Besitzes von "Massenvernichtungswaffen" freisprach und Washington um seinen Kriegsvorwand brachte. Heute dient Bolton US-Präsident Donald Trump als Nationaler Sicherheitsberater. In dieser Funktion hat er bei einer Rede im vergangenen September vor der reaktionären Federalist Society in Washington allen ICC-Mitarbeitern mit harten Konsequenzen gedroht, sollte es das Gericht in den Haag wagen, Anklage wegen Kriegsverbrechen gegen US-Bürger oder mit den USA befreundeter Staaten zu erheben. Letzteres bezog sich auf Israel, dessen unablässige Mißachtung internationaler Regeln ihm ebenfalls einem Beitritt zum Statut von Rom verbietet.

Boltons direkte und indirekte Androhung, die Anwälte und Richter des ICC quasi auf dieselbe Stufe wie "Terroristen" zu stellen, Finanzsanktionen gegen sie zu verhängen und sie notfalls in die USA oder nach Guantánamo zu verschleppen, löste international große Empörung aus. In Reaktion auf die skandalöse Einschüchterungsrede Boltons ist der deutsche Jurist Christoph Flügge im Januar nach 11 Jahren als Richter am internationalen Straftgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien zurückgetreten. Im Interview mit der Wochenzeitung Zeit erklärte Flügge, es sei mehr als offensichtlich, daß die "diplomatische Welt" kein Interesse an einer unabhängigen Justiz habe.

Mitte März verhängte Trumps Außenminister Mike Pompeo ein Einreiseverbot für alle ICC-Mitarbeiter einschließlich Fatou Bensoudas, die an Ermittlungen gegen US-Soldaten wegen Handlungen in Afghanistan oder anderswo auf der Welt beteiligt sind. Wenige Tage später kritisierte die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, die ehemalige chilenische Präsidentin Michelle Bachelet, die Drohungen der USA gegenüber dem ICC und dessen Vertretern in scharfer Form. Welch geringen Wert diese Einlassung hat, kann man anhand der Entscheidung des ICC ermessen, seine Afghanistan-Ermittlungen einzustellen. Schlimmer noch, begründet wurde der Entschluß mit der fehlenden Kooperationsbereitschaft der betroffenen Staaten, allen voran der USA. Dies mache den juristischen Ansatz zwecklos, den Foltervorwürfen von damals nachzugehen. Die Erfolgsaussicht sei zu gering, als daß sich die Mühe lohne, so die ICC-Verantwortlichen.

Bezeichnenderweise erfolgte der Kniefall des ICC vor der brutalen Macht des Washingtoner Sicherheitsapparats nur zwei Tage nach einem Besuch von Gina Haspel in Kabul. Dort wollte die amtierende CIA-Direktorin, die selbst nachweislich während der Ära George W. Bushs in die Folter mutmaßlicher Al-Kaida-Mitglieder verstrickt war, nach offiziellen Angaben mit den afghanischen Kollegen über die künftige Zusammenarbeit auch nach einem eventuellen Abzug der amerikanischen Streitkräfte aus Afghanistan beraten. Völlig schamlos bereiten CIA, Pentagon und das Weiße Haus die nächsten Kriegsverbrechen am Hindukusch - und nicht nur dort - vor.

15. April 2019


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