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MILITÄR/944: Rüstung - USA setzen auf Stärke ... (SB)


Rüstung - USA setzen auf Stärke ...


Ausgerechnet am 21. Februar, jenem Tag, an dem die ersten von mehr als 20.000 US-Soldaten, die über die kommenden Monate an dem NATO-Großmanöver "Defender 2020" teilnehmen sollen, in Bremerhaven an Land gingen, fand im Atombunker der US-Regierung in Offutt, Nebraska, ein bedenkliches Kriegsspiel statt. Bei der Militärübung, bei der US-Verteidigungsminister Mark Espers persönlich zugegen war, kam es zum nuklearen Angriff der NATO auf russische Streitkräfte. Wie das Spiel ausging, ob die atomare Eskalationslogik in den Dritten Weltkrieg mündete oder die Beteiligten die Übung auf einer niedrigen Stufe der Auseinandersetzung abbrachen, ist unbekannt. Fest steht, daß die Durchführung des Kriegsspiels mit seinem brisanten Inhalt und Verlauf nicht geheimgehalten, sondern von der Presseabteilung des Pentagons den US-Medien bereitwillig mitgeteilt wurde - als versteckte Drohung an die Adresse Moskaus versteht sich.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die jüngste Einschätzung der Herausgeber des Bulletin of Atomic Scientists, deren berühmte "Doomsday Clock" nur 100 Sekunden bis Mitternacht zeigt und somit deutlich macht, daß die Menschheit aktuell dem Untergang sogar näher als auf dem Höhepunkt der Kuba-Krise 1962 steht, immer mehr als richtig heraus. Auf russischer Seite hat man auf die Provokation mit Empörung und Entsetzen reagiert, wie die harsche Kritik des Stellvertretenden Außenministers Sergej Riabkows zeigt, der den Amerikanern vorwarf, im Nuklearbereich ein "hochgefährliches Spiel" zu betreiben.

In Moskau fühlt man sich von den USA in mehrfacher Hinsicht verschaukelt. Erstens hatte US-Außenminister Mike Pompeo erst wenige Tage zuvor im Gespräch mit dem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow das Interesse Washingtons an einer Verlängerung des New-Start-Vertrags, der die Größe des aktiven Atomwaffenarsenals beider Seiten auf 1500 Sprengköpfe begrenzt, bekundet, aber offenbar lediglich vorgegaukelt. Zweitens wurde im Kriegspiel in Nebraska der Einsatz der amerikanischen Atomwaffen mit der Reaktion auf einen nuklearen Erstschlag der Russen begründet, Moskau somit zum eigentlichen Aggressor gestempelt. Das dabei entworfene Szenario entbehrt jedoch des Bezugs zur Realität und legt die Absichten der US-Militaristen bloß, denn im Gegensatz zu Washington hat Moskau dem atomaren Erstschlag gänzlich entsagt. Die Führung im Kreml werde einzig zum Einsatz von Atomwaffen greifen, wenn Rußland entweder selbst mit Nuklearwaffen angegriffen werde oder die Auslöschung des Staats unmittelbar drohe, lautet die offizielle Nukleardoktrin Moskaus.

Wie wir seit einigen Wochen wissen, ist kurz vor Weihnachten ein U-Boot der USA erstmals mit 50 "kleineren", das heißt leichter einsetzbaren Atomsprengköpfen, in See gestochen. Als mögliche Einsatzgebiete kommen für die USN Tennessee der Persische Golf mit dem Iran oder die Taiwan-Straße mit der Volksrepublik China als potentielle Angriffsziele der neuen W76-2-Bombe, die mittels Transport auf ballistischen Mittelstreckenraketen ihr Vernichtungswerk vollbringt, in Betracht. Ermöglicht wurde die Aufrüstung der amerikanischen U-Bootflotte durch solche "kleineren" Atomsprengköpfe durch den im vergangenen August vollzogenen Austritt der USA aus dem INF-Vertrag aus dem Jahr 1987, der Indienstnahme und Aufstellung von Nuklearraketen oder -marschflugkörpern mittlerer Reichweite zwischen 500 und 5.500 Kilometern verbot.

In den USA schreitet die Modernisierung des Atomwaffenarsenals, die von der Regierung des Friedensnobelpreisträgers Barack Obama in die Wege geleitet worden war, unter Amtsnachfolger Donald Trump mit gewaltigen Schritten voran. Im Wehretat für das kommende Fiskaljahr, den Trump dem Kongreß am 10. Februar vorlegte und der die gigantische Summe von 740,5 Milliarden Dollar umfaßt, ist eine Aufstockung der Ausgaben für neue Atomwaffen im Vergleich zum Vorjahr um 18 Prozent auf 29 Milliarden Dollar geplant. Welche Begehrlichkeiten der Geldregen bei den Atomkriegsplanern im Pentagon weckt, zeigt ein Bericht der Onlinezeitschrift Defense News vom 21. Februar.

Darin schwärmt ein ranghoher, nicht namentlich genannter Angehöriger der strategischen - sprich nuklearen - Streitkräfte, der am Luftwaffenstützpunkt Minot in North Dakota stationiert ist, von den neuen atomar bestückten Marschflugkörpern, die in den kommenden Jahren die US-Luftwaffe und -Marine erhalten sollen, und lobt die taktischen und strategischen Vorteile, welche die geplante Aufrüstungsmaßnahme mit sich bringen soll. Bei der Luftwaffe trägt das System den Namen Long Range Standoff Weapon (LRSO). Bei der Marine steht die Benennung noch aus. Durch den Einsatz solcher Marschflugkörper könnte die US-Marine die Zahl ihrer Schiffe, die Atomwaffen mitführen, von derzeit 12 - gemeint ist die U-Bootflotte - auf 20 oder 30 erhöhen, indem man auch Zerstörer damit bestückt. Das wäre "riesig" meinte der Militär und fügte triumphierend hinzu: "Packt man die Dinger auf U-Boote, haben die Russen keine Ahnung, wo sie sich befinden. Sie werden es hassen. Sie werden es absolut hassen". Daß die Umsetzung derlei krankhafter Fantasien à la Doktor Seltsam die Risiken eines durch Fehleinschätzungen ausbrechenden Atomkriegs drastisch erhöhen liegt auf der Hand.

25. Februar 2020


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