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MILITÄR/945: USA - Umweltvergiftung ... (SB)


USA - Umweltvergiftung ...


In den USA wird allmählich eine umweltpolitische Katastrophe sichtbar, die man jahrzehntelang nicht erkennen wollte, jedoch inzwischen wegen der verheerenden Auswirkungen in Form chronischer Erkrankungen - darunter Krebs und Leukämie - nicht mehr ignorieren kann. Die Rede ist von der Vergiftung des Grundwassers in der Nähe zahlreicher US-Militärbasen durch den Einsatz eines nicht nur für den menschlichen Organismus toxischen Löschschaums, der aus per- und polyfluorierten Alkylverbindungen besteht. Sogenannte PFAS (vom englischen Per- and Polyfluoroalkyl Substances) weisen eine extrem hohe thermische und chemische Stabilität auf. Deswegen kamen sie nach ihrer Erfindung Mitte des 20. Jahrhunderts vielfach in den Foto-, Textil- und Verpackungsindustrie sowie in der Luftfahrt zum Einsatz. Weil sie aber in der Natur nicht abbaubar sind und inzwischen als bedeutende Krebsursache gelten, geht die industrielle Nutzung von PFAS seit einiger Zeit immer mehr zurück.

Nachdem jahrelang Bürgerinitiativen in den USA gegen die Vergiftung des Trinkwassers auf den US-Militärbasen zu Felde gezogen waren, ohne jedoch von den großen Medien allzuviel Aufmerksamkeit geschenkt zu bekommen, wurde 2019 das Thema PFAS für das Pentagon zum Politikum. Auslöser war eine Studie der in Washington ansässigen, regierungsunabhängigen Environmental Working Group (EWG), die neue erschreckende Daten bezüglich der Belastung des Trinkwassers mit PFAS präsentierte. EWG-Forscher hatten erhöhte Werte für PFAS im Trinkwasser von 43 Ortschaften in 31 Bundesstaaten nachgewiesen. Das öffentliche Trinkwasser mit der höchsten PFAS-Belastung wurde in Miami, Philadelphia, New Orleans, dem nördlichen Teil von New Jersey sowie den Vororten der Stadt New York gemessen.

Am 23. Juli 2019 und damit gleich an seinem ersten Tag als neuer US-Verteidigungsminister hat Mark Esper eine Expertengruppe eingerichtet, welche der Frage des Ausmaßes der Trinkwasservergiftung aufgrund des Einsatzes von militärischem Löschschaum mit der Bezeichnung AFFF nachgehen und Vorschläge in bezug auf alternative Stoffe machen sollte. Der PFAS-Löschschaum ist nicht deshalb in erster Linie zu einer Belastung für das Trinkwasser geworden, weil es hin und wieder bei gelegentlichen Flugzeugabstürzen, das heißt im Ernstfall, verwendet wurde. Die größeren Mengen, die von dem sogenannten Ewigkeitsgift in die Umwelt und damit ins Grundwasser gelangten, fielen bei Übungen an, die praktisch auf jedem Stützpunkt alle paar Monate und dann jedesmal im großen Stil durchgeführt wurden.

In einem Interimsbericht, den die Task Force im November 2019 den Militärausschüssen von Repräsentantenhaus und Senat in Washington vorlegte, waren mehr als 400 militärische Standorte identifiziert worden, bei denen der Boden und das darunter liegende Grundwasser mit PFAS verseucht wurde. In einer ersten Schätzung wurden die Sanierungskosten mit zwei Milliarden Dollar beziffert und der vollständige Verzicht auf den fraglichen Löschschaum erst 2024 in Aussicht gestellt. Inzwischen haben diese Angaben ihre Gültigkeit verloren. Im jüngsten Bericht der Expertengruppe, den das Pentagon am 13. März veröffentlichte, lautete die Zahl der belasteten Areale 651, während die geschätzten Sanierungskosten entsprechend um 50 Prozent auf drei Milliarden Dollar emporkletterten. Hinzu kommt, daß Umweltschützer gegen die geplante Methode der Entsorgung der AFFF-Restbestände Sturm laufen. Das Pentagon will den Schaum in regulären Verbrennungsanlagen verfeuern. Doch Wissenschaftler machen geltend, daß die PFAS durch Verfeuerung nicht nur in ihre Bestandteile zerlegt werden, sondern die Giftstoffe mittels der Verbrennungsanlagen über die Luft noch breitflächiger als bisher verteilt werden.

In Politik und Medien der USA findet die PFAS-Problematik immer mehr Resonanz nicht zuletzt deshalb, weil ehemalige oder noch im Dienst befindliche Militärangehörige mit ihren schrecklichen Leidensgeschichten an die Öffentlichkeit gehen. Am 11. März trat der ehemalige US-Kampfjetpilot Jim Holmes vor dem Haushaltsausschuß des Repräsentantenhauses. Von Auslandseinsätzen in Afghanistan und im Irak einmal abgesehen, hat Holmes den größten Teil der letzten 20 Jahre mit seiner Familie auf dem Gelände der Patrick Air Force Base in Florida verbracht. 2019 starb seine 17jährige Tochter Kaela, die Zeit ihres kurzen Lebens dort gewohnt hatte, nach einem 15monatigen Kampf gegen einen bösartigen Hirntumor.

Holmes und seine Frau sind überzeugt, daß der Tod der geliebten Tochter auf die jahrelange Einnahme von AFFF-Rückständen in der Trinkwasserversorgung am AFP Patrick zurückzuführen ist. Holmes wirft den Verantwortlichen bei den Militärbehörden vor, von der PFAS-Belastung im Trinkwasser in Florida gewußt und das Problem vertuscht bzw. heruntergespielt zu haben. "Ich werde mein restliches Leben mit dem Wissen verbringen müssen, daß meine Entscheidung, dem Militär zu dienen und auf einem Stützpunkt der Luftwaffe der Vereinigten Staaten gelebt zu haben, zum Tod meiner wunderschönen Tochter geführt hat." Mit diesen traurigen Worten wurde Holmes am 12. März in der US-Armeezeitung Stars & Stripes zitiert. In Sachen PFAS hat das Pentagon nicht nur ein gigantisches Umwelt-, sondern auch ein nicht unerhebliches PR-Problem.

24. März 2020


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