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MILITÄR/946: USA - Militär in gespaltener Bereitschaft ... (SB)


USA - Militär in gespaltener Bereitschaft ...


"You're fired!" ("Du bist gefeuert!"), lautete der Satz, mit dem Donald Trump jahrelang jede Woche zur Freude von Millionen von Zuschauern seiner erfolgreichen Reality-Fernsehsendung "The Apprentice" einen der erfolglosen Bewerber um eine Stelle als Lehrling in seinem Bau- und Immobilienimperium für ungenügend befand und in die Wüste schickte. Mit derselben Masche des gnadenlosen "Hire and Fire" betreibt Trump als US-Präsident seit Januar 2017 die Personalpolitik im Weißen Haus. Lang ist die Liste derjenigen, denen von Trump mit großen Tamtam wichtige Posten anvertraut wurden, nur um von ihm nach relativ kurzer Zeit hochkantig rausgeworfen zu werden. Die prominentesten Opfer des Trumpschen Personalkarussells sind Ex-Präsidentenberater Steve Bannon, Ex-Pressesprecher Sean Spicer, Ex-Außenminister Rex Tillerson, Ex-Verteidigungsminister James "Mad Dog" Mattis sowie die ehemaligen Nationalen Sicherheitsberater Herbert McMaster und John Bolton.

Keine Entlassung der letzten drei Jahre hat in den USA jedoch so hohe Wellen geschlagen wie die von Brett Crozier, der Anfang April seiner Position als Kapitän des Flugzeugträgers U. S. S. Theodore Roosevelt enthoben wurde. In der zweiten Märzhälfte, wenige Tage nach einem Hafenbesuch im vietnamesischen Da Nang, waren auf der Theodore Roosevelt erste Infektionen mit dem neuartigen Corona-Virus diagnostiziert worden. Das Schiff lief daraufhin Guam an, wo Crozier jedoch die 4000köpfige Besatzung nicht evakuieren und seine Leute nicht an Land in Quarantäne schicken durfte. Wegen der großen Seuchengefahr aufgrund der beengten Wohn- und Arbeitsverhältnisse auf dem Schiff wandte sich Crozier am 30. März in einem elektronischen Rundbrief an 30 führende Marinekollegen um Hilfe bzw. Unterstützung gegenüber dem Pentagon. Am darauffolgenden Tag erschienen Auszüge aus dem Brief beim San Francisco Chronicle und sorgten für Furore. Der wichtigste Ausschnitt aus der Email lautete: "Wir befinden uns nicht im Krieg. Seeleute müssen nicht sterben. Wenn wir jetzt nicht handeln, haben wir es versäumt, uns um unsere wichtigste Ressource, unsere Seeleute, zu kümmern."

Nur zwei Tage danach, am 2. April, wurde Crozier von Marinestaatssektretär im US-Verteidigungsministerium Thomas Modly gefeuert. Die Entlassung des Kapitäns der Theodore Roosevelt erfolgte gegen den ausdrücklichen Rat führender Admiräle, die der Auffassung waren, daß es angesichts einer so schweren Entscheidung geboten sei, zuvor alle Umstände der Verbreitung von Covid-19 auf dem Flugzeugträger sowie die von Crozier ergriffenen Maßnahmen von einer marineinternen Kommission untersuchen zu lassen. Nach einer Kollision des Zerstörers U. S. S. Fitzgerald mit einem Containerschiff im Juni 2017 vor der Küste Japans, die sieben US-Militärangehörige das leben kostete, dauerte es 24 Tage, bis der Kapitän aus dem Dienst entlassen wurde. Als der Zerstörer U. S. S. John McCain im August desselben Jahres vor Singapur mit einem Tanker zusammenstieß und zehn Besatzungsmitglieder dabei ums Leben kamen, verstrichen 41 Tage, bis der Kriegsschiffsführer seinen Hut nehmen mußte.

Wieso also die große Eile im Falle Crozier? Die Antwort ist einfach. Trump wollte ein Exempel statuieren. Dem stets auf aggressive Vorwärtsverteidigung setzenden New Yorker Prahlhans zufolge habe der Kapitän der Theodore Roosevelt "Schwäche" gezeigt und den Familien der Seeleute "Sorge bereitet" - als interessiere sich Trump die Bohne für diese Menschen, was, wie jeder weiß, nicht der Fall ist. Noch drastischer klang die Begründung in dem Schreiben, mit dem Modly Crozier entließ. Dort nahm der Zivilbeamte, der zuletzt als Manager beim Beratungsunternehmen PriceWaterhouseCoopers (PwC) gearbeitet hat, Anstoß an Croziers Aussage, die USA befänden sich "nicht im Krieg". "Wir sind nach herkömmlichen Maßstäben nicht im Krieg, aber gleichzeitig sind wir nicht im Frieden", so Modly.

Berühmt ist der Leitspruch der Außenpolitik Theodore Roosevelts als 26. Präsident der USA von 1901 bis 1909 in Lateinamerika und im asiatisch-pazifischen Raum: "Sprich sanft und trage einen großen Knüppel, dann wirst du weit kommen." In Anlehnung daran lautet bei der US-Kriegsmarine der Spitzname des atomgetriebenen Flugzeugträgers Theodore Roosevelt "The big stick". In Anspielung darauf und vor allem mit Blick auf China schrieb Modly in seinem Brief weiter: "Die Nation muß wissen, daß der große Knüppel unerschrocken und nicht aufzuhalten ist - unsere Gegner müssen dies auch wissen. Sie respektieren den großen Knüppel und fürchten sich vor ihm; das sollen sie auch. Wir werden nichts zulassen, was diesen Respekt und diese Furcht schmälert."

Der kriegstreiberische Pathos von Modly kam - vielleicht vom Oval Office des Weißen Hauses abgesehen - nirgendwo gut an. In Guam wurde Crozier bei seinem letzten Gang auf der Theodore Roosevelt von seiner Mannschaft frenetisch gefeiert. Die Bilder der bewegenden Episode, aufgenommen mit Mobiltelefonen der Matrosen und Kampfjetpiloten des Schiffs, wurden im US-Fernsehen ausgestrahlt und bezeugten die Popularität des geschaßten Kapitäns und die große Zustimmung bezüglich seines Einsatzes für die eigene Crew. In Washington regten sich inzwischen Kongreßabgeordnete und Senatoren über den Fall auf. Dort wurde der Ruf nach einer Anhörung laut. Die Kontroverse kochte hoch.

Also flog Modly am 5. April nach Guam, um im Sinne Trumps ein Machtwort zu sprechen. Der Staatssekretär hielt von der Brücke der Theodore Roosevelt, wo inzwischen die Evakuierung wegen Covid-19 am Laufen war, eine Standpauke, die von den Besatzungsmitgliedern mit Pfiffen und Buhrufen kommentiert wurde. Laut Modly hätte Crozier wissen müssen, daß seine Email an die Presse durchsickern würde. Sie trotzdem loszuschicken habe gezeigt, daß er "entweder zu naiv oder zu dumm" sei, um Oberbefehlshaber einer so wertvollen Kriegsmaschine wie der Theodore Roosevelt zu sein. Mit der Rede, die in allen US-Medien bis auf Trumps Lieblingssender Fox News auf einhellige Kritik stieß, schoß der arme Modly weit übers Ziel hinaus. Um Dampf aus dem Kessel zu nehmen und der Trump-Regierung weiteren Ärger in der Crozier-Affäre zu ersparen, stürzte sich Modly nur einen Tag nach dem denkwürdigen Auftritt in Guam gewissermaßen ins eigene Schwert, entschuldigte sich für seine beleidigende Wortwahl bei Crozier und reichte seinen Rücktritt als Staatssekretär ein.

Die Affäre deutet auf eine beträchtliche Verunsicherung innerhalb der US-Streitkräfte hin, die auf Trumps Mangel an Respekt für bewährte Traditionen und Bräuche zurückzuführen ist. Modly war nur geschäftsführender Staatssekretär der Marine. Diesen Posten hatte er Ende letzten Jahres erhalten, nachdem sein Vorgänger Richard Spencer über den Casus Eddie Gallagher gestolpert war. Das Mitglied der US-Navy-SEALs stand 2019 wegen schwerer Kriegsverbrechen - darunter die Ermordung von Zivilisten im Irak - vor einem Militärtribunal. Noch während des laufenden Prozesses hatte Trump im Interview mit Fox News Gallagher als Kriegshelden gelobt, der völlig zu Unrecht von den liberalen Medien und einer verängstigten Militärführung zum Sündenbock abgestempelt werde.

Am Ende wurde Gallagher lediglich dafür verurteilt, die US-Streitkräfte in Mißkredit gebracht zu haben. Deswegen wollte die Marineführung, vertreten durch Spencer, Miller eine Ehrenauszeichnung der SEALS aberkennen. Doch als Oberbefehlshaber Trump davon erfuhr, verbat er ausdrücklich die Maßregelung, weil sie angeblich unangebracht sei. Daraufhin erklärte der düpierte Spencer seinen Rücktritt. In eigenen Erklärungen behauptete Modly, mit der schnellen Demission Croziers Trump ähnlichen Ärger wie im Falle Gallagher ersparen zu wollen. Dank Trump verwandeln sich Teile der US-Streitkräfte in eine Art präsidialer Prätorianergarde. Eine ähnliche Entwicklung hat vor fast 2000 Jahren das Ende des römischen Imperiums eingeleitet. Den USA wird es nicht anders ergehen.

11. April 2020


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