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NAHOST/966: Streit um Irans Atomprogramm gewinnt an Schärfe (SB)


Streit um Irans Atomprogramm gewinnt an Schärfe

Washington und Teheran schaukeln sich gegenseitig wieder hoch


Im Streit um das iranische Atomprogramm arbeitet die Zeit gegen eine friedliche Beilegung. Noch Mitte Oktober schien der große Durchbruch erzielt worden zu sein, als die Vertreter der USA, Rußlands und Frankreichs mit denen des Irans bei Verhandlungen in Genf vereinbarten, Teheran solle den größten Teil seines selbst gewonnenen, schwach angereicherten Uran-235 exportieren und dieses kurze Zeit später in Form mäßig angereicherter Brennstäbe, aus denen in einem Forschungslabor in Teheran Isotope zur Behandlung von Krebserkrankten gewonnen werden könnten, zurückbekommen. Seitdem findet jedoch die Führung der Islamischen Republik zu keiner Einigung, ob sie mit diesem Kompromißvorschlag einverstanden ist. Im Westen fühlt man sich angesichts des undurchsichtigen Entscheidungsprozesses in Teheran immer mehr verschaukelt. Die unterschiedlichen Signale aus der iranischen Hauptstadt sind Wasser auf die Mühlen derjenigen Scharfmacher in den USA und Israel, die behaupten, den Iranern sei nicht über den Weg zu trauen, und die diesen unterstellen, unter dem Vorwand der zivilen Kernenergie heimlich die Entwicklung der Atombombe zu betreiben. Erklärt sich Teheran nicht bald zur Annahme des Kompromisses bereit, werden Anfang kommenden Jahres die USA beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Verhängung schwerer Wirtschaftssanktionen beantragen und vermutlich auch bekommen. Damit wären die Weichen für eine deutliche Eskalation bis hin zur militärischen Auseinandersetzung gestellt.

Bedenkt man, was auf dem Spiel steht, dann fällt es wirklich schwer, Verständnis für das wochenlange Hin und Her in Teheran aufzubringen. Auf der einen Seite gibt es vernünftige Stimmen wie die des Generalstabchefs Hassan Firouzabadi, der sich am 13. November für eine Annahme des Deals aussprach, weil damit der Iran der Welt den friedlichen Charakter seines Atomprogramms demonstrieren könne und im Gegenzug Material für den Forschungsreaktor in Teheran erhielte, was für die medizinische Behandlung von rund einer Million Bürger von großem Nutzen sei. Andererseits vermuten die Gegner des Deals, darunter der vom Westen im vergangenen Sommer nach der umstrittenen Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad als "Reformer" gefeierte Oppositionsführer Mir Hossein Mousavi, eine Finte und verlangen, der Iran dürfe sein schwach angereichertes Uran erst aus der Hand geben, wenn er gleichzeitig die mäßig angereicherte Gegenmenge erhalte.

Der Einwand ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Schließlich haben die Franzosen schon einmal die Iraner schlecht behandelt, als sie nach dem Sturz des Schahs 1979 die von diesem unterzeichneten Verträge über eine Zusammenarbeit im nuklearen Bereich stornierten und die bereits geleistete Anzahlung Teherans, rund eine Milliarde Dollar, einfach behielten. Doch während sich die Regierung der Türkei um eine Lösung im Sinne der Bedenken Teherans bemüht, schaukeln sich die verfeindeten Parteien - USA und Iran - in alter Konfrontation wieder hoch.

Fünf Tage nach dem 30. Jahrestag der Erstürmung der US-Botschaft in Teheran - jenes Ereignis, das eine 444tägige Geiselnahme der amerikanischen Diplomaten nach sich zog und die bilateralen Beziehungen nachhaltig störte - erklärten am 9. November die iranischen Behörden, drei freiberuflichen US-Journalisten, die im Juli nach einem angeblich illegalen Grenzübertritt vom irakischen Kurdistan aus festgenommen worden waren, den Prozeß machen zu wollen. Gegen die Entscheidung legte Außenministerin Hillary Clinton lautstarken Protest ein. Dafür haben am 12. November die US-Bundesbehörden bei einem Gericht in New York die Beschlagnahmung des gesamten, auf 500 Millionen Dollar geschätzten Vermögens der islamischen Wohltätigkeitsorganisation Alavi, darunter Schulen und Moscheen in den Bundesstaaten Kalifornien, Maryland, New York und Texas, beantragt, weil diese angeblich - entgegen amerikanischen Gesetzes - finanzielle Beziehungen zum Iran unterhalten. Das Vorgehen gegen die Alavi Foundation, das praktisch zeitgleich mit der Verlängerung der US-Sanktionen gegen den Iran um ein weiteres Jahr durch Präsident Obama erfolgte, veranlaßte am 14. November den iranischen Parlamentsprecher Ali Larijani zu der Erklärung, der Nachfolger George W. Bushs gebe nur "leeres Gerede" von sich, das Verhalten des früheren demokratischen Senators von Illinois sei "nicht besser" als das des ehemaligen republikanischen Gouverneurs von Texas.

Zur gleichen Zeit befand sich Obama in Singapur beim APEC-ASEAN-Gipfel, wo er mit den russischen und chinesischen Amtskollegen Dmitri Medwedew und Hu Jintao unter anderem über das Problem Iran sprach. Über das Gespräch zwischen Obama und Hu ist nichts bekannt geworden. Bekanntlich nutzt China den westlichen Wirtschaftsboykott des Irans, um sich langfristig als wichtigster Partner der Islamischen Republik im Energiesektor zu etablieren, und plädiert deshalb stets für eine friedliche Beilegung des Atomstreits und gegen die Verhängung von Sanktionen. Nach dem Treffen mit Obama brachte Medwedew seine Ungeduld mit der Dauer der Entscheidungsfindung in Teheran zum Ausdruck und erklärte, Rußland werde die Verhängung von Sanktionen durch den UN-Sicherheitsrat mittragen, sollte es bis zum Ende des Jahres keine befriedigende Antwort seitens der Iraner geben.

Am darauffolgenden Tag gab der russische Energieminister Sergei Schmatko bekannt, der mit Hilfe Moskaus fast fertiggestellte Atomreaktor im iranischen Buschehr werde nicht wie geplant bis Ende dieses Jahres in Betrieb gehen. Bei den Iranern, die von der bisherigen Weigerung Rußlands, das von Teheran bestellte Raketenabwehrsystem S-300 zu liefern, kam die erneute Verschiebung des Datums für die Inbetriebnahme von Buschehr auf den Sanktnimmerleinstag ganz schlecht an. Es ist sogar zu befürchten, daß sie die Gegner der Kompromißformel von Genf stärken wird. Das gleiche gilt für die Verdächtigungen der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO), die Iraner könnten neben der erst kürzlich bekanntgewordenen Urananreicherungsanlage bei Qom weitere "geheime" Nukleareinrichtungen besitzen.

17. November 2009