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NAHOST/985: Wassermangel - Waffe gegen abgeriegelten Gazastreifen (SB)


Israels Blockadepolitik verschärft akute Wasserkrise


Im Rahmen des gestern begangenen Weltwassertags haben Experten darauf hingewiesen, daß weltweit jeder fünfte Mensch keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser hat und 40 Prozent der Weltbevölkerung ohne angemessene sanitäre Anlagen auskommen müssen. Diese verheerende Notlage, die das Leben zahlloser Menschen schädigt, verkürzt und beendet, gilt auch für den Gazastreifen, der zu den extremsten Beispielen der Drangsalierung durch politische Eingriffe gehört, die geographische und ökologische Probleme in eine Waffe verwandeln.

Der gesamte Nahe Osten sieht sich mit dramatisch wachsenden Wasserproblemen konfrontiert, die auf lange Sicht nur regional gelöst werden können. Mehrere Länder durchquerende Flüsse, gemeinsame Grundwasservorkommen, ökologische Veränderungen und andere Voraussetzungen oder Verläufe kreuzen sich mit einem steigenden Verbrauch schwindender Ressourcen, der ebenfalls einer übergreifenden Abstimmung bedarf. Grundsätzlich sind zwei einander widersprechende Strategien denkbar: Zum einen die tendentielle Zurückstellung politischer Differenzen zugunsten einer engeren Zusammenarbeit der beteiligten Staaten und Bevölkerungen, um der existentiellen Problemlage mit dem bestmöglichen Einsatz aller koordinierten Mittel zu begegnen. Zum andern die absolute Vorrangstellung des eigenen Überlebens zu Lasten der Nachbarn, deren Situation nicht nur ignoriert, sondern gezielt verschlechtert wird.

Auch diese Vorgehensweise bedarf eines regionalen Ansatzes, jedoch in Gestalt der Durchsetzung einer Machtposition mit politischen, wirtschaftlichen und insbesondere militärischen Mitteln. Es liegt auf der Hand, daß die zweitgenannte Strategie unter den gegebenen Voraussetzungen in dieser Weltregion sehr viel wahrscheinlicher ist, aber zugleich nur für die stärksten Kräfte aussichtsreich erscheinen kann.

Wassermangel läßt sich insbesondere dann als Waffe einsetzen, wenn ein Besatzungsregime wie das israelische einen Landstrich wie den Gazastreifen in ein Freiluftgefängnis verwandelt, dessen Versorgung fast ausschließlich der Willkür der Übermacht ausgeliefert ist. Dabei gehen ökonomische Erwägungen nahtlos in rassistische Motive und diese in Strafmaßnahmen bis hin zum schleichenden Genozid über. Während der übervölkerte Gazastreifen zu den am dichtest besiedelten Gebieten weltweit zählt, sind seine Wasserressourcen zu gering, von rapide schwindender Qualität und überdies durch die weitgehend ungeklärten Abwässer zusätzlich belastet. Krankheiten greifen um sich, insbesondere Kinder sind vielfach regelrecht vergiftet, Lebensqualität und Lebensdauer nehmen deutlich ab.

Nach Angaben der Vereinten Nationen würde es Jahrhunderte dauern, um die dort herrschenden Umweltschäden rückgängig machen. Derzeit ist jedoch das Gegenteil der Fall, da die Blockade die Einfuhr dringend benötigter Güter verhindert, die für Reparaturen erforderlich sind. Was immer die Behörden im Gazastreifen oder internationale Hilfsorganisationen an der Wasserversorgung und dem Abwassersystem zu verbessern trachten, wird durch die Abriegelung zunichte gemacht. [1] Hinzu kommen massive Zerstörungen der Infrastruktur durch Angriffe der israelischen Streitkräfte.

Auch das Rote Kreuz und andere international tätige Hilfsorganisationen, die man gewiß nicht der einseitigen Parteinahme für die Palästinenser verdächtigen kann, bestätigen die katastrophale Lage und fordern als wichtigste unmittelbar wirksame Rettungsmaßnahme die Aufhebung der Blockade, wie sie jüngst auch UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon verlangt hat. Diesen Institutionen und Organisationen wie auch den Regierungen muß daher vollkommen klar sein, daß durch die Blockade im Gefängnis Gaza Menschen schwer drangsaliert und in wachsender Zahl getötet werden. Entscheidend bleibt jedoch, ob man über den Willen und die Mittel verfügt, diesen Vorgang zu beenden oder im Gegenteil die Vernichtungspolitik gegen die Palästinenser billigt.

Da für 1,5 Millionen Menschen nur noch drei funktionsfähige Kläranlagen zur Verfügung stehen, müssen die Abwässer größtenteils in Tanks oder Becken gesammelt und unbehandelt ins Meer geleitet werden, soweit sie nicht im Boden versickern und das Grundwasser verseuchen. Diese Vergiftung des Erdreichs und Trinkwassers könnte gebremst oder womöglich sogar abgewendet werden, verhinderte die Blockade nicht die Lieferung von Rohren, Zement und anderen erforderlichen Materialien zur Ausbesserung beschädigter oder dem Bau neuer Anlagen.

Ein Grundwasserspeicher an der Küste stellt die einzige Trinkwasserquelle für den Gazastreifen dar, wobei dieser Vorrat durch einsickernde Abwässer und eindringenden Salzwasser qualitativ immer schlechter und absehbar unbrauchbar wird. Inzwischen gelten 90 Prozent dieses Wassers als ungenießbar, und da dem Vorrat mehr entnommen wird, als an Frischwasser nachfließen kann, dringt um so mehr Salzwasser nach, das notgedrungen von vielen Menschen getrunken wird. Untersuchungen von Amnesty International und anderen Organisationen haben im Trinkwasser deutlich überhöhte Werte von Salz und Nitraten gemessen, die insbesondere für Säuglinge und Kleinkinder eine akute Gefahr darstellen und in der Konsequenz immer größere Teile der palästinensischen Bevölkerung vergiften.

Israel hat im Januar zynischerweise die Einfuhr von Wasserflaschen aus eigener Produktion zugelassen und gleicht damit einem Gefängniswärter, der sich durch den Verkauf überteuerter Mangelwaren an den Insassen auch noch bereichert. Wer sich den Erwerb dieser Importe nicht leisten kann, muß sich mit einheimischen Produkten minderer Qualität, dem Einbau von Filtern oder kleinen Entsalzungsgeräten begnügen, wobei vielen armen Leuten keine andere Hoffnung bleibt, als irgendwo noch einen Brunnen mit halbwegs sauberem Wasser zu finden, für das man oft weite Wege zurücklegen muß.

Die Katastrophe abwenden können diese Behelfsmaßnahmen aber nicht, da der einzig realistisch anmutende Ansatz die Schonung des Grundwasserspeichers in der Hoffnung wäre, daß dieser sich wieder auffüllen und erholen kann. Zugleich müßte der Gazastreifen eine andere Wasserversorgung erhalten, während zugleich das Abwassersystem repariert wird. Experten schätzen die Kosten einschließlich der Behebung gröbster Umweltschäden auf 1,2 Milliarden Dollar in den nächsten zwanzig Jahren, wofür internationale Spender aufkommen müßten, da sich Israel hinsichtlich der Versorgung des von ihm drangsalierten Gazastreifens für nicht zuständig erklärt.

Vorstellbar wäre die Errichtung einer leistungsfähigen Anlage zur Entsalzung von Meerwasser oder die Einhaltung des 1995 unterzeichneten Oslo-Abkommens, in dem sich Israel zur Versorgung des Gazastreifens mit einer festgelegten Menge Trinkwasser verpflichtet hat. In diesem Abkommen wurden der Gazastreifen und das Westjordanland als eine territoriale Einheit definiert, deren gemeinsame Wasserversorgung der Palästinensischen Autonomiebehörde obliegt. Wie viele andere Abkommen und Vereinbarungen zwischen Israel und den Palästinensern war auch die vermeintlich historische Übereinkunft von Oslo nur Schall und Rauch für die schwächere Seite, deren Forderungen im Zuge des angeblichen Friedensprozesses Schub um Schub zurückgewiesen und über die Jahre immer weiter zusammengestrichen wurden. Für die nicht nur unter akutem Wassermangel leidenden Bewohner des Gazastreifens dürfte kaum noch nachvollziehbar sein, welche Vorteile ihnen diese Bereitschaft zu immer neuen Kompromissen auf noch niedrigerem Niveau gebracht haben sollte.

Anmerkungen:

[1] World Water Day: Thirsty Gaza residents battle salt, sewage (22.03.10)
The Christian Science Monitor

23. März 2010