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NAHOST/1038: US-Saudi-Allianz nimmt sich des Problems Jemen an (SB)


US-Saudi-Allianz nimmt sich des Problems Jemen an

Stabilisierungsbemühungen Riads und Washingtons führen zum Chaos


Mit der beunruhigenden Entdeckung zweier Paketbomben am 29. Oktober im internationalen Luftverkehr, die in Sana'a als Frachtgut aufgegeben worden und an die früheren Adressen zweier Synagogen in Chicago adressiert waren, jedoch auf Flughäfen in Dubai und England abgefangen und entschärft werden konnten, ist der Jemen vollends ins Blickfeld der internationalen Aufmerksamkeit geraten. Wenngleich Unklarheit über die Identität der Absender und deren Motive herrscht - schließlich wurde der geplante Anschlag mit Hilfe eines Doppelagenten "aufgedeckt" -, so steht eines fest. Mit der Begründung, eine vom Jemen angeblich ausgehende, "terroristische" Bedrohung bekämpfen zu wollen, werden die USA und Saudi-Arabien weit stärker als bisher in das krisengeschüttelte Land eingreifen. Da der Ansatz Riads und Washingtons hauptsächlich militärisch ist und bleibt, was aus dem am 1. November beim Wall Street Journal erschienenen Artikel "Yemen Covert Role Pushes - Foiled Bomb Plot Heightens Talk of Putting Elite U.S. Squads in CIA Hands" von Julian E. Barnes und Adam Entous mehr als deutlich hervorgeht, steht den Jemeniten statt einer Stabilisierung der Verhältnisse im positiven Sinne nur Chaos bevor.

Zu den geplanten Anschlägen hat sich die Gruppe Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel bekannt, für deren Namen die Riege der sogenannten "Sicherheitsexperten" das Akronymen AQAP (Al-Qaeda in the Arabian Peninsula) benutzt. Als Auftragsgeber wird Kassim Al Raimi gehandelt, der angebliche Militärchef der AQAP, der sich in den unzugänglichen Bergen der zentraljemenitischen Provinz Marib aufhalten soll. Al Raimi verbrachte einen Teil der neunziger Jahre in Afghanistan, wo er angeblich von talibanfreundlichen, ausländischen Mudschaheddin militärisch ausgebildet wurde. Nach der Rückkehr in sein Heimatland wurde er 2002 dort unter dem Verdacht der Verwicklung in den Anschlag auf einen die jemenitische Küste passierenden, französischen Supertanker verhaftet. 2006 gelang ihm mit 22 Kampfgefährten der spektakuläre Ausbruch aus dem Zentralgefängnis in Sana'a.

In der Presse heißt es unter Berufung auf US-Ermittler, die beiden Paketbomben, die den Sprengstoff PETN (Pentaerythritol Tetranitrat) enthielten, wurden vermutlich von Ibrahim Al Asiri gebaut. Das saudische AQAP-Mitglied soll derjenige sein, der letztes Jahr Abu Farouk Abdulmutallab zu einem Selbstmordanschlag in die USA schickte. Der nigerianische Student wurde am 25. Dezember festgenommen, nachdem er als Passagier versuchte hatte, eine zur Landung auf dem Flughafen Detroit ansetzende Maschine der Northwest Airlines mit einer PETN-Bombe, die in seine Unterhose eingenäht war, in die Luft zu jagen.

Al Nasiris Bruder Abdullah Hassan Al Nasiri ist am 27. August 2009 in der Hafenstadt Dschidda am Roten Meer bei einem gescheiterten Selbstmordanschlag auf Prinz Mohammed Bin Najef, den Stellvertretenden Innenminister Saudi-Arabiens, der den internen Kampf Riads gegen Al Kaida leitet, ums Leben gekommen. Al Nasiri hatte vorgegeben, sich ergeben und dem Kampf gegen das saudische Königshaus abschwören zu wollen. Deshalb wurde ihm als Zeichen des guten Willens eine Audienz bei Prinz Mohammed gewährt, dessen Vater, Prinz Najef Bin Abdel Asis, Innenminister ist und als potentieller Nachfolger von König Abdullah gehandelt wird. Doch die PETN-Bombe, die Al Nasiri in seinem After versteckt hatte, tötete nach der Zündung nur ihn selbst. Die Wucht der Explosion wurde durch Al Nasiris Körper weitestgehend abgefangen. Prinz Mohammed trug von der direkten Begegnung mit dem Selbstmordattentäter nur leichte Verletzungen davon.

Die saudischen Behörden haben die versuchte Ermordung des auf dem dritten Rang in der Thronfolge stehenden Prinzen Mohammed zum Anlaß genommen, sich mehr als nur diplomatisch, politisch, geheimdienstlich und rüstungstechnologisch in das Nachbarland Jemen einzumischen. Im November letzten Jahres griffen die saudischen Streitkräfte am Boden sowie auch in der Luft erstmals auf der Seite der jemenitischen Zentralregierung in die Kämpfe ein, welche diese seit 2004 gegen die schiitischen Houthi-Rebellen im Norden des Landes führen. Seit Saudi-Arabien 1994 dem religiös geprägten Nordjemen bei der Zwangsvereinigung mit dem bis dahin sozialistisch-säkulären Südjemen half, steht es als Schutzmacht des kleineren Nachbarn da. Berichten zufolge haben die saudischen Luftangriffe und Artilleriebombardements Hunderten von Zivilisten das Leben gekostet und Zehntausende zur Flucht aus der Grenzregion veranlaßt. Im Januar 2010 wurde bekannt, daß im Dezember 2009, und zwar bereits vor dem mißlungenen Anschlagsversuch des Unterhosenbombers Abdulmutallab, die CIA und das Joint Special Operations Command (JSOC) der US-Armee mit Erlaubnis der Regierung Barack Obamas an Anti-Terroperationen im Jemen an der Seite der Truppen Sana'as teilnahmen.

Angesichts schwerer Armut, einer explodierenden Bevölkerung und nachlassender Wasserressourcen sieht sich die Regierung von Ali Abdullah Saleh inzwischen mit einem zunehmenden Aufstand nicht nur der Houthi-Rebellen im Norden, sondern auch unzufriedener, ehemaliger Bürger des Südjemens konfrontiert. Um die Unterdrückung dieser Bevölkerungsgruppen zu rechtfertigen und sich die finanzielle und militärische Unterstützung Saudi-Arabiens und der USA zu sichern, wird jeder Widerstand sozialer oder ethnischer Gruppen zum "Terrorismus" erklärt. Angesichts einer solchen durchsichtigen Propagandastrategie überraschen nicht die vielen Äußerungen jemenitischer Bürger in der westlichen Presse, die Al Kaida für ein Märchen halten und vom Antiterroranssatz Abdullahs, Obamas und Salehs nichts halten - als Beispiel siehe hierzu den am 4. November in der New York Times erschienenen und von den Korrespondenten Mona El-Naggar und Robert F. Worth geschriebenen Artikel "Yemen's Drive on Al Qaeda Faces Internal Skepticism". Die große Mehrheit der Jemeniten zöge es vor, wenn ihr Land wirtschaftliche statt militärische Hilfe bekäme.

Die bisherigen Operationen der US-Spezialstreitkräfte und der saudischen Armee und die Drohnenangriffe der CIA und Luftangriffe der saudischen Luftwaffe haben aufgrund der zivilen Opfer viele junge Männer in die Arme der Aufständischen getrieben. Eine weitere militärische Eskalation dürfte die Zahl der Toten und Verletzten auf allen Seiten erhöhen. Daß auf diese Weise das Salameh-"Regime" stabilisiert werden kann, ist zu bezweifeln. Im Gegenteil ist zu befürchten, daß die Dinge einen ähnlich furchterregenden Verlauf nehmen werden wie in dem auf der anderen Seite der strategisch wichtigen Meerenge Bab al-Mandab ("Tor der Träne") liegenden Nachbarland Somalia.

5. November 2010