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NAHOST/1046: Ägyptens Volk erhebt sich gegen das Mubarak-Regime (SB)


Ägyptens Volk erhebt sich gegen das Mubarak-Regime

Obama-Regierung läuft den geschichtlichen Ereignissen hinterher


Zwei Wochen nach den Massenprotesten in Tunesien, die den dortigen Machthaber Zine Al Abadine Ben Ali samt Gefolge zur Flucht nach Saudi-Arabien veranlaßt haben, wackelt das Regime des nächsten Despoten in der arabischen Welt, nämlich das Hosni Mubaraks in Ägypten. Unbestätigten Berichten zufolge ging dem Sturz Ben Alis ein Telefongespräch des tunesischen Generalstabschefs mit Vertretern der Regierung von Barack Obama voraus, die offenbar den langjährigen Verbündeten in der Hoffnung hat fallen lassen, die Lage in der nordafrikanischen Touristenhochburg wieder zu beruhigen. Daß die Amerikaner Mubarak der Meute vorwerfen, um Zeit zu gewinnen, ist unwahrscheinlich. Dafür ist Ägypten mit seinen 80 Millionen Einwohnern, dem Suez-Kanal und seiner Grenze zu Israel von viel zu großer strategischer Bedeutung. Ungeachtet dessen sieht alles nach der landesweiten Massenerhebung in Ägypten nach dem Freitagsgebet am 28. Januar aus, als läge die Entscheidung, wie es dort weitergeht, nicht mehr bei dem 82jährigen Mubarak oder bei dessen Amtskollegen in Washington.

Jetzt rächt sich für die Obama-Regierung, daß sie ohne nennenswerte Proteste im Mai Mubaraks Nationaldemokratische Partei (NDP) die Parlamentswahlen zu eigenen Gunsten hat manipulieren lassen und sich nicht stärker für die demokratischen Rechte der betrogenen Opposition, darunter die Nationale Front für Veränderung des Friedensnobelpreisträgers und ehemaligen Chefs der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA), Mohamed ElBaradei, und die Moslembruderschaft, eingesetzt hat. Vor diesem Hintergrund klingen die jüngsten Appelle von Obama und seiner Außenministerin Hillary Clinton, Kairo möge auf die Forderung der ägyptischen Protestbewegung nach mehr Demokratie und sozialer Gerechtigkeit eingehen, nicht nur hohl, sie sind auch überflüssig, denn auf der Straße erkämpfen sich die Menschen die Rechte, die ihnen seit der Ermordung des früheren Präsidenten Anwar Sadat durch islamistische Soldaten und der Einsetzung Mubaraks als Machthaber und Garant für Stabilität im Jahre 1981 vorenthalten worden sind. Seitdem herrscht in Ägypten eine Notstandsverordnung, die jede Regung nach echter demokratischer Erneuerung im Keim erstickt.

Nichts hat die zerbröselnde Macht des Mubarak-Regimes besser symbolisiert als die Fersehbilder davon, wie am Freitagabend das mehrstöckige Hauptquartier der NDP am Kairoer Nilufer in Flammen aufging und stundenlang lichterloh brannte, ohne daß die Behörden eingriffen. Dies war der Höhepunkt eines Tages, an dem es in allen ägyptischen Städten zu enormen, zum Teil gewaltätigen Demonstrationen gegen die Regierung Mubarak gekommen war. Jüngsten Berichten zufolge kamen bei den Ausschreitungen mehr als 95 Menschen ums Leben. Aus Alexandria wurde die Zahl der Getöteten mit 23, aus Suez-Stadt mit 15 und aus Kairo mit 15 angegeben. Mehr als 1000 Verletzte mußten im Krankenhaus behandelt werden.

Mubarak, der seit Beginn der Proteste am 25. Januar nichts von sich hatte vernehmen lassen, verkündete am späten Freitagabend in einer Fernsehansprache die Entlassung der bisherigen Regierung. Er versprach Reformen, drohte jedoch gleichzeitig damit, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um "Chaos" zu verhindern. Inwieweit der ehemalige Luftwaffenchef seine Drohung in die Tat umsetzen kann bzw. die Armeeführung hinter ihm steht, ist unklar. Als die Armee am Freitagnachmittag mit Panzern in die Städte fuhr, hat sie in die Kämpfe zwischen Polizei und Demonstranten nicht eingegriffen. Im Gegenteil wurden die Soldaten von den Protestierenden freudig begrüßt. Es kam zu Szenen der Verbrüderung. Im Fernsehen konnte man am Abend sehen, wie die Soldaten Positionen vor den wichtigsten Gebäuden in Kairo bezogen, jedoch keine Anstalten machten, das von der Regierung verhängte Ausgehverbot durchzusetzen. Und auch am heutigen Samstag formierten sich trotz Versammlungsverbots in den Innenstädten größere Menschenmengen. Auf dem Tahrir-Platz im Herzen Kairos skandierten 50.000 Demonstranten "Nieder mit dem Regime" und wollten erst abziehen, wenn Mubarak zurückgetreten ist.

Das politische Kräfteverhältnis in Ägypten scheint sich nach den gestrigen Ereignissen endgültig zu ungunsten des Mubarak-Regimes verschoben zu haben. Trotz der Verhaftung Tausender junger Menschen in den ernsten Tagen der Proteste kam es am 28. Januar zu den größten Massenkundgebungen seit 30 Jahren. Auch die Gefahr, ums Leben zu kommen, schüchtert die Menschen nicht mehr ein. Die Ägypter merken, daß die historische Chance, radikale Veränderungen im Land herbeizuführen, in ihren Händen liegt und wollen sie nicht mehr hergeben. Eher dürfte das Bewußtsein um die vielen Opfer der letzten Tage die Protestierenden zu größeren Anstrengungen bewegen, als daß es bei ihnen Resignation auslöst. Hinzu kommt, daß es politische Alternativen zum Mubarak-Regime in Form von ElBaradei und der Muslim-Bruderschaft gibt. Inwieweit die Opposition in der Lage sein wird, in Ägypten das Regierungsgeschäft zu übernehmen, muß sich noch zeigen. Die wichtigste Frage derzeit lautet, wie der Übergang von der Ära Mubarak zu einer veränderten politischen Konstellation in Ägypten bewältigt werden kann.

29. Januar 2011